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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

sichert." Simson schreibt über die tiefe Bewegung des Königs, man werde
gewissermaßen an Karl den Großen erinnert, dem nach der Erzählung seines
Biographen Einhardt der Kaisername anfangs so unerwünscht gewesen sein soll,
daß er versicherte, er würde an jenem Weihnachtstage des Jahres 800 die
Peterskirche in Rom nicht betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes
vorausgesehen hätte. Simson war in einem ziemlich defekten Wagen, den ein
Kanonier lenkte, vor die Prüfektur gekommen. Der König scherzte zu ihm
über das eigentümliche Fuhrwerk, das er vom Fenster aus beobachtet habe.
Simson antwortete: "Das bedeutet, daß es die Armee ist, welche uns so weit
gebracht hat", eine Erwiderung, der der König zustimmte.

Nachdem nun die Zustimmung aller deutschen Fürsten vorlag, war weiter
zu erwägen, wie die Wiederaufrichtung der Kaiserwürde dem deutschen Volke
bekannt zu geben sei, damit sie zugleich mit der neuen Reichsverfassung am
Neujahrstage 1871 in Kraft und Übung treten könne. Der König selbst war
von der Wichtigkeit dieses Schrittes ganz außerordentlich erfüllt, und seine Ge¬
danken suchten nach geschichtlichen Beispielen. Das Nächstliegende war ja die
Kaiserkrönung Karls des Großen am Weihnachtstage des Jahres 800, und es
lag nahe, auch das jetzt herannahende Christfest als passenden Termin in Aus¬
sicht zu nehmen. Nach der Tafel am Abend des 18. Dezembers ersuchte der
König den Großherzog um einen Vorschlag, in welcher Weise das Kaisertum
nun zu proklamieren sei. Der Großherzog bezeichnete als den geeignetsten Weg,
der König von Bayern möge, nachdem ihm König Wilhelm schriftlich seine Zu¬
stimmung dazu gegeben habe, im Namen und unter Anführung aller mitwirkenden
Fürsten eine Urkunde ausfertigen lassen, die dem Könige in feierlicher Ver¬
sammlung vorgelesen und überreicht werden solle. Darauf würde die inzwischen
ausgefertigte Zustimmungs- und Annahmeurkunde des Königs von Preußen
zu verlesen sein, und beide Schriftstücke würden sodann den Fürsten und den freien
Städten in vervielfältigten Exemplaren übermittelt werden, damit durch diese
die Publikation in den einzelnen Staaten stattfinden könne. Dem Könige gefiel
dieser Vorschlag sehr, und er wünschte, daß dieser Gedanke dem Bundeskanzler
mitgeteilt würde, wozu der Großherzog noch an demselben Abend Gelegenheit
fand, als er den Besuch vou Abeken empfing, der im Auftrage Bismarcks zu
ihm kam. Es stellte sich aber leider nur zu bald heraus, daß die kurze Frist
von einer Woche für die Herstellung, Ausfertigung und Übersendung der Ur¬
kunden nicht ausreichen würde, auch lagen allerlei Anzeichen vor, daß es nicht
leicht sein werde, den König von Bayern noch einmal zu einer Tätigkeit in der
Kaiserfrage veranlassen zu können. Die Berichte aus München stimmten darin
überein, daß es höchst zweifelhaft wäre, ob der bayrische Landtag die Verträge
mit dem Norddeutschen Bunde genehmigen würde, und daß entschieden eine der
Reichsidee unfreundliche Stimmung am Münchner Hofe Boden gewonnen und
auch den König Ludwig nicht unberührt gelassen hätte, Stimmungen, die um
die Mitte Januar sogar zu einem recht bedenklichen Ausdruck gelangten. Die


Grenzboten IV 1906 20
Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

sichert." Simson schreibt über die tiefe Bewegung des Königs, man werde
gewissermaßen an Karl den Großen erinnert, dem nach der Erzählung seines
Biographen Einhardt der Kaisername anfangs so unerwünscht gewesen sein soll,
daß er versicherte, er würde an jenem Weihnachtstage des Jahres 800 die
Peterskirche in Rom nicht betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes
vorausgesehen hätte. Simson war in einem ziemlich defekten Wagen, den ein
Kanonier lenkte, vor die Prüfektur gekommen. Der König scherzte zu ihm
über das eigentümliche Fuhrwerk, das er vom Fenster aus beobachtet habe.
Simson antwortete: „Das bedeutet, daß es die Armee ist, welche uns so weit
gebracht hat", eine Erwiderung, der der König zustimmte.

Nachdem nun die Zustimmung aller deutschen Fürsten vorlag, war weiter
zu erwägen, wie die Wiederaufrichtung der Kaiserwürde dem deutschen Volke
bekannt zu geben sei, damit sie zugleich mit der neuen Reichsverfassung am
Neujahrstage 1871 in Kraft und Übung treten könne. Der König selbst war
von der Wichtigkeit dieses Schrittes ganz außerordentlich erfüllt, und seine Ge¬
danken suchten nach geschichtlichen Beispielen. Das Nächstliegende war ja die
Kaiserkrönung Karls des Großen am Weihnachtstage des Jahres 800, und es
lag nahe, auch das jetzt herannahende Christfest als passenden Termin in Aus¬
sicht zu nehmen. Nach der Tafel am Abend des 18. Dezembers ersuchte der
König den Großherzog um einen Vorschlag, in welcher Weise das Kaisertum
nun zu proklamieren sei. Der Großherzog bezeichnete als den geeignetsten Weg,
der König von Bayern möge, nachdem ihm König Wilhelm schriftlich seine Zu¬
stimmung dazu gegeben habe, im Namen und unter Anführung aller mitwirkenden
Fürsten eine Urkunde ausfertigen lassen, die dem Könige in feierlicher Ver¬
sammlung vorgelesen und überreicht werden solle. Darauf würde die inzwischen
ausgefertigte Zustimmungs- und Annahmeurkunde des Königs von Preußen
zu verlesen sein, und beide Schriftstücke würden sodann den Fürsten und den freien
Städten in vervielfältigten Exemplaren übermittelt werden, damit durch diese
die Publikation in den einzelnen Staaten stattfinden könne. Dem Könige gefiel
dieser Vorschlag sehr, und er wünschte, daß dieser Gedanke dem Bundeskanzler
mitgeteilt würde, wozu der Großherzog noch an demselben Abend Gelegenheit
fand, als er den Besuch vou Abeken empfing, der im Auftrage Bismarcks zu
ihm kam. Es stellte sich aber leider nur zu bald heraus, daß die kurze Frist
von einer Woche für die Herstellung, Ausfertigung und Übersendung der Ur¬
kunden nicht ausreichen würde, auch lagen allerlei Anzeichen vor, daß es nicht
leicht sein werde, den König von Bayern noch einmal zu einer Tätigkeit in der
Kaiserfrage veranlassen zu können. Die Berichte aus München stimmten darin
überein, daß es höchst zweifelhaft wäre, ob der bayrische Landtag die Verträge
mit dem Norddeutschen Bunde genehmigen würde, und daß entschieden eine der
Reichsidee unfreundliche Stimmung am Münchner Hofe Boden gewonnen und
auch den König Ludwig nicht unberührt gelassen hätte, Stimmungen, die um
die Mitte Januar sogar zu einem recht bedenklichen Ausdruck gelangten. Die


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[0161] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles sichert." Simson schreibt über die tiefe Bewegung des Königs, man werde gewissermaßen an Karl den Großen erinnert, dem nach der Erzählung seines Biographen Einhardt der Kaisername anfangs so unerwünscht gewesen sein soll, daß er versicherte, er würde an jenem Weihnachtstage des Jahres 800 die Peterskirche in Rom nicht betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes vorausgesehen hätte. Simson war in einem ziemlich defekten Wagen, den ein Kanonier lenkte, vor die Prüfektur gekommen. Der König scherzte zu ihm über das eigentümliche Fuhrwerk, das er vom Fenster aus beobachtet habe. Simson antwortete: „Das bedeutet, daß es die Armee ist, welche uns so weit gebracht hat", eine Erwiderung, der der König zustimmte. Nachdem nun die Zustimmung aller deutschen Fürsten vorlag, war weiter zu erwägen, wie die Wiederaufrichtung der Kaiserwürde dem deutschen Volke bekannt zu geben sei, damit sie zugleich mit der neuen Reichsverfassung am Neujahrstage 1871 in Kraft und Übung treten könne. Der König selbst war von der Wichtigkeit dieses Schrittes ganz außerordentlich erfüllt, und seine Ge¬ danken suchten nach geschichtlichen Beispielen. Das Nächstliegende war ja die Kaiserkrönung Karls des Großen am Weihnachtstage des Jahres 800, und es lag nahe, auch das jetzt herannahende Christfest als passenden Termin in Aus¬ sicht zu nehmen. Nach der Tafel am Abend des 18. Dezembers ersuchte der König den Großherzog um einen Vorschlag, in welcher Weise das Kaisertum nun zu proklamieren sei. Der Großherzog bezeichnete als den geeignetsten Weg, der König von Bayern möge, nachdem ihm König Wilhelm schriftlich seine Zu¬ stimmung dazu gegeben habe, im Namen und unter Anführung aller mitwirkenden Fürsten eine Urkunde ausfertigen lassen, die dem Könige in feierlicher Ver¬ sammlung vorgelesen und überreicht werden solle. Darauf würde die inzwischen ausgefertigte Zustimmungs- und Annahmeurkunde des Königs von Preußen zu verlesen sein, und beide Schriftstücke würden sodann den Fürsten und den freien Städten in vervielfältigten Exemplaren übermittelt werden, damit durch diese die Publikation in den einzelnen Staaten stattfinden könne. Dem Könige gefiel dieser Vorschlag sehr, und er wünschte, daß dieser Gedanke dem Bundeskanzler mitgeteilt würde, wozu der Großherzog noch an demselben Abend Gelegenheit fand, als er den Besuch vou Abeken empfing, der im Auftrage Bismarcks zu ihm kam. Es stellte sich aber leider nur zu bald heraus, daß die kurze Frist von einer Woche für die Herstellung, Ausfertigung und Übersendung der Ur¬ kunden nicht ausreichen würde, auch lagen allerlei Anzeichen vor, daß es nicht leicht sein werde, den König von Bayern noch einmal zu einer Tätigkeit in der Kaiserfrage veranlassen zu können. Die Berichte aus München stimmten darin überein, daß es höchst zweifelhaft wäre, ob der bayrische Landtag die Verträge mit dem Norddeutschen Bunde genehmigen würde, und daß entschieden eine der Reichsidee unfreundliche Stimmung am Münchner Hofe Boden gewonnen und auch den König Ludwig nicht unberührt gelassen hätte, Stimmungen, die um die Mitte Januar sogar zu einem recht bedenklichen Ausdruck gelangten. Die Grenzboten IV 1906 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/161>, abgerufen am 15.05.2024.