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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Tiflis

russischer Oberhoheit. Grusinier beanspruchen die Stadt als ihre Hauptstadt,
während die Armenier sie als armenische Handelsstadt betrachtet wissen wollen.
Außerdem fristen Teile aller andern Völker und Völkchen, zwischen und neben
beiden stehend, hier ihr Leben. Und wie russische Kolonisten mit einem guten
Teil deutschen Blutes die besten Striche des Landes an sich genommen haben,
so haben sie sich auf dem größten und besten Raum des engen Kurätals aus¬
gedehnt und den kaukasischen Stadtvierteln von Tiflis einen oberflächlichen An¬
strich europäischer Städteordnung gegeben.

Die Bedeutung von Tiflis wurzelt in der günstigen Lage im Kreuzpunkt
der uralten Straßen vom Schwarzen zum Kaspischen Meer, nach Kleinasien über
Kars, nach Persien über Eriwcm und nach Südrußland über den Kaukasus, endlich
nach den fruchtbaren Weinlandschaften in Kachetien, und ist für den Touristen
von Wichtigkeit, weil er diese Ziele heutzutage alle auf sehr bequeme Weise
erreichen kann. Nicht ohne Interesse ist es auch für uns Deutsche, die Kultur¬
arbeit von Landsleuten unter russischem Zepter zwischen Asiaten dort gut ge¬
deihen zu sehen. Und Deutsche sind es, die im Dienste des Rusfentums für die
Erforschung und die Erschließung des Landes viel getan und in Tiflis gewirkt
haben, wie der verdienstvolle Begründer des Kaukasischen Museums, Geheimrat
Radde. Dennoch bereitete uns Tiflis eine kleine Enttäuschung, mag es nun
sein, daß uns das Scheitern unsrer Pläne zu Ausflügen gegen die Stadt vor¬
eingenommen, oder daß Konstantinopel mit seinem vielgestaltigen Leben unsre
Phantasie und Aufnahmefähigkeit zu nachhaltig in Anspruch genommen hat, oder
daß unsre Erwartung zu hoch gespannt gewesen ist.

Tiflis ist auch einer von den Orten, die der Sage nach von jagenden
Herrschern als Badeort entdeckt worden sind. Heiße Schwefelquellen haben ihm
seinen Namen gegeben, der mit Teplitz -- wohl nicht bloß zufällige -- Ähnlichkeit
hat. Die heißen Schwefelquellen speisen eine Anzahl Bäder, von denen die des
Fürsten Orbeliani die großartigsten und entschieden sehenswert sind -- aber
besser bei Tage, denn bei Nacht soll der Ton darin etwas frei sein. An die
glückseligen Jagdgefilde des glücklichen Entdeckers erinnert jetzt schlechterdings
nichts mehr. Dank dem steinigen Grund und Boden, auf dem Tiflis steht,
erfreut es sich nicht gerade üppigen Pflanzenwachstums. Die Unterhaltung der
drei öffentlichen Parks: Muschtaid-, Alexander- und Botanischer Garten, ver¬
ursacht deshalb nicht wenig Mühe und Kosten, sorgsame Pflege und künstliche
Bewässerung. Diese spielt bei der hohen Jahrestemperatur von 12,7 Grad eine
besonders wichtige Rolle und vermag doch trotz aller Arbeit keine großen Erfolge
zu erreichen. Am interessantesten für uns ist der Botanische Garten, der am
Südhang des Festungsberges in einem schmalen Tal gegenüber dein moham¬
medanischen Kirchhof liegt. Vom Maidan, dem Zentrum der Basarstadt, aus
gelangt man durch enge Gassen, über schmale, in den Fels gehauene Treppen,
ungeschickte Stufen und durch ganz enge Passagen an den Eingang dieses Para¬
dieses. Ein wahres Wunder erschien es uns, wie sich ein mohammedanischer


Tiflis

russischer Oberhoheit. Grusinier beanspruchen die Stadt als ihre Hauptstadt,
während die Armenier sie als armenische Handelsstadt betrachtet wissen wollen.
Außerdem fristen Teile aller andern Völker und Völkchen, zwischen und neben
beiden stehend, hier ihr Leben. Und wie russische Kolonisten mit einem guten
Teil deutschen Blutes die besten Striche des Landes an sich genommen haben,
so haben sie sich auf dem größten und besten Raum des engen Kurätals aus¬
gedehnt und den kaukasischen Stadtvierteln von Tiflis einen oberflächlichen An¬
strich europäischer Städteordnung gegeben.

Die Bedeutung von Tiflis wurzelt in der günstigen Lage im Kreuzpunkt
der uralten Straßen vom Schwarzen zum Kaspischen Meer, nach Kleinasien über
Kars, nach Persien über Eriwcm und nach Südrußland über den Kaukasus, endlich
nach den fruchtbaren Weinlandschaften in Kachetien, und ist für den Touristen
von Wichtigkeit, weil er diese Ziele heutzutage alle auf sehr bequeme Weise
erreichen kann. Nicht ohne Interesse ist es auch für uns Deutsche, die Kultur¬
arbeit von Landsleuten unter russischem Zepter zwischen Asiaten dort gut ge¬
deihen zu sehen. Und Deutsche sind es, die im Dienste des Rusfentums für die
Erforschung und die Erschließung des Landes viel getan und in Tiflis gewirkt
haben, wie der verdienstvolle Begründer des Kaukasischen Museums, Geheimrat
Radde. Dennoch bereitete uns Tiflis eine kleine Enttäuschung, mag es nun
sein, daß uns das Scheitern unsrer Pläne zu Ausflügen gegen die Stadt vor¬
eingenommen, oder daß Konstantinopel mit seinem vielgestaltigen Leben unsre
Phantasie und Aufnahmefähigkeit zu nachhaltig in Anspruch genommen hat, oder
daß unsre Erwartung zu hoch gespannt gewesen ist.

Tiflis ist auch einer von den Orten, die der Sage nach von jagenden
Herrschern als Badeort entdeckt worden sind. Heiße Schwefelquellen haben ihm
seinen Namen gegeben, der mit Teplitz — wohl nicht bloß zufällige — Ähnlichkeit
hat. Die heißen Schwefelquellen speisen eine Anzahl Bäder, von denen die des
Fürsten Orbeliani die großartigsten und entschieden sehenswert sind — aber
besser bei Tage, denn bei Nacht soll der Ton darin etwas frei sein. An die
glückseligen Jagdgefilde des glücklichen Entdeckers erinnert jetzt schlechterdings
nichts mehr. Dank dem steinigen Grund und Boden, auf dem Tiflis steht,
erfreut es sich nicht gerade üppigen Pflanzenwachstums. Die Unterhaltung der
drei öffentlichen Parks: Muschtaid-, Alexander- und Botanischer Garten, ver¬
ursacht deshalb nicht wenig Mühe und Kosten, sorgsame Pflege und künstliche
Bewässerung. Diese spielt bei der hohen Jahrestemperatur von 12,7 Grad eine
besonders wichtige Rolle und vermag doch trotz aller Arbeit keine großen Erfolge
zu erreichen. Am interessantesten für uns ist der Botanische Garten, der am
Südhang des Festungsberges in einem schmalen Tal gegenüber dein moham¬
medanischen Kirchhof liegt. Vom Maidan, dem Zentrum der Basarstadt, aus
gelangt man durch enge Gassen, über schmale, in den Fels gehauene Treppen,
ungeschickte Stufen und durch ganz enge Passagen an den Eingang dieses Para¬
dieses. Ein wahres Wunder erschien es uns, wie sich ein mohammedanischer


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[0163] Tiflis russischer Oberhoheit. Grusinier beanspruchen die Stadt als ihre Hauptstadt, während die Armenier sie als armenische Handelsstadt betrachtet wissen wollen. Außerdem fristen Teile aller andern Völker und Völkchen, zwischen und neben beiden stehend, hier ihr Leben. Und wie russische Kolonisten mit einem guten Teil deutschen Blutes die besten Striche des Landes an sich genommen haben, so haben sie sich auf dem größten und besten Raum des engen Kurätals aus¬ gedehnt und den kaukasischen Stadtvierteln von Tiflis einen oberflächlichen An¬ strich europäischer Städteordnung gegeben. Die Bedeutung von Tiflis wurzelt in der günstigen Lage im Kreuzpunkt der uralten Straßen vom Schwarzen zum Kaspischen Meer, nach Kleinasien über Kars, nach Persien über Eriwcm und nach Südrußland über den Kaukasus, endlich nach den fruchtbaren Weinlandschaften in Kachetien, und ist für den Touristen von Wichtigkeit, weil er diese Ziele heutzutage alle auf sehr bequeme Weise erreichen kann. Nicht ohne Interesse ist es auch für uns Deutsche, die Kultur¬ arbeit von Landsleuten unter russischem Zepter zwischen Asiaten dort gut ge¬ deihen zu sehen. Und Deutsche sind es, die im Dienste des Rusfentums für die Erforschung und die Erschließung des Landes viel getan und in Tiflis gewirkt haben, wie der verdienstvolle Begründer des Kaukasischen Museums, Geheimrat Radde. Dennoch bereitete uns Tiflis eine kleine Enttäuschung, mag es nun sein, daß uns das Scheitern unsrer Pläne zu Ausflügen gegen die Stadt vor¬ eingenommen, oder daß Konstantinopel mit seinem vielgestaltigen Leben unsre Phantasie und Aufnahmefähigkeit zu nachhaltig in Anspruch genommen hat, oder daß unsre Erwartung zu hoch gespannt gewesen ist. Tiflis ist auch einer von den Orten, die der Sage nach von jagenden Herrschern als Badeort entdeckt worden sind. Heiße Schwefelquellen haben ihm seinen Namen gegeben, der mit Teplitz — wohl nicht bloß zufällige — Ähnlichkeit hat. Die heißen Schwefelquellen speisen eine Anzahl Bäder, von denen die des Fürsten Orbeliani die großartigsten und entschieden sehenswert sind — aber besser bei Tage, denn bei Nacht soll der Ton darin etwas frei sein. An die glückseligen Jagdgefilde des glücklichen Entdeckers erinnert jetzt schlechterdings nichts mehr. Dank dem steinigen Grund und Boden, auf dem Tiflis steht, erfreut es sich nicht gerade üppigen Pflanzenwachstums. Die Unterhaltung der drei öffentlichen Parks: Muschtaid-, Alexander- und Botanischer Garten, ver¬ ursacht deshalb nicht wenig Mühe und Kosten, sorgsame Pflege und künstliche Bewässerung. Diese spielt bei der hohen Jahrestemperatur von 12,7 Grad eine besonders wichtige Rolle und vermag doch trotz aller Arbeit keine großen Erfolge zu erreichen. Am interessantesten für uns ist der Botanische Garten, der am Südhang des Festungsberges in einem schmalen Tal gegenüber dein moham¬ medanischen Kirchhof liegt. Vom Maidan, dem Zentrum der Basarstadt, aus gelangt man durch enge Gassen, über schmale, in den Fels gehauene Treppen, ungeschickte Stufen und durch ganz enge Passagen an den Eingang dieses Para¬ dieses. Ein wahres Wunder erschien es uns, wie sich ein mohammedanischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/163>, abgerufen am 15.05.2024.