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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Akt der Proklamierung ein Hoch auf den Kaiser aufdringe. Dem Großherzog
blieb nichts andres übrig, als bei Beginn der Festversammlung mit Bismarck noch
einmal Rücksprache zu nehmen, der aber ebenso ans seinem Standpunkte ver¬
harrte wie der König auf dem seinigen. Der Großherzog erwiderte, es könne
für ihn nur noch den einen Weg geben, noch in der letzten Stunde eine Vermittlung
der Gegensätze zu versuchen, indem er den König von der Lage unterrichte und
ihm die Bedenken des Bundeskanzlers mitteile. Die Züge des Grafen Bismarck
verrieten, wie der Großherzog hinzufügt, eine von jenen tiefen Erregungen, "in
denen er sogar dem unzweideutigsten und aufrichtigsten Ausspruch mißtraut".
Wenig Minuten darauf erschien der König, tief ergriffen. Seine innere Be¬
wegung war so groß und durch das rasche Ersteigen der großen Marmortreppe
noch vermehrt, daß er Mühe hatte, die Fürsten mit einer kurzen Ansprache zu
begrüßen. Die Aufzeichnungen des Großherzogs berichten nun: "Ich benutzte
einen freien Augenblick, dem König die vorhin bezeichnete Lage zu schildern und
hob hervor, daß nach erfolgter königlicher Sanktion es mir ratsam scheine, bei
diesem feierlichen Akt nur die Ausdrücke zu gebrauchen, welche streng den gegebnen
Bestimmungen entsprächen, da ja jeder hier von offizieller Bedeutung sei. Der
König war sehr ungehalten darüber und äußerte sich in heftigen Ausdrücken über
den Grafen Bismarck. Ich suchte ihn dadurch zu beruhigen, daß ich ihm vorschlug,
ich wolle das Hoch so ausdrücken, daß weder die eine noch die andre Bezeichnung
genannt werde, worauf der König etwas unwillig erwiderte: "Du kannst es
machen, wie Du willst, ich werde mich später doch nur so nennen, wie ich es will,
nicht wie Bismarck es bestimmen will." Nun war ich wieder auf mich selbst
angewiesen, da der König sich abwandte und uns aufforderte, ihm in den großen
Saal zu folgen. Da ich dem Könige mit dem Kronprinzen folgte, so machte
ich letzterm den Vorschlag, nur Kaiser Wilhelm zu sagen, womit er einverstanden
war." Als der gegebne Augenblick gekommen war, rief der Großherzog, so laut
er konnte, in die lautlos harrende Versammlung: "Seine kaiserliche und könig¬
liche Majestät Kaiser Wilhelm lebe hoch!" was sechsfach wiederholt wurde.
Damit hatte die weise Vermittlung des Großherzogs auch diese Frage unter
den denkbar schwierigsten Verhältnissen glücklich gelöst. Wie er der erste gewesen
war, der die Kaiserfrage erhoben, sie amtlich sowohl als im Verkehr von Fürst
zu Fürst geschäftlich angeregt hatte, so war ihm auch in der feierlichen Stunde,
die seine Wünsche und zugleich das Sehnen ganzer Geschlechter erfüllte, die
Aufgabe zugefallen, vor und mit allem Volk und seinen Fürsten zuerst den
Kaiser zu grüßen.

Die nach jeder Richtung schwere Geburt schien mit dem 18. Januar glücklich
beendet zu sein, aber der Großherzog hatte selbst noch im März in Berlin, zur
Zeit der Beratung des Reichsverfassuugsgesetzes, als Bayern für seine Ansprüche
auch noch die Unterstützung Sachsens fand, das nicht schlechter als die beiden
andern Königreiche gestellt sein wollte, mit klugem Ratschlag fördernd und helfend
einzugreifen. Ebenso war er in Versailles für den König wie für den Bundes-


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Akt der Proklamierung ein Hoch auf den Kaiser aufdringe. Dem Großherzog
blieb nichts andres übrig, als bei Beginn der Festversammlung mit Bismarck noch
einmal Rücksprache zu nehmen, der aber ebenso ans seinem Standpunkte ver¬
harrte wie der König auf dem seinigen. Der Großherzog erwiderte, es könne
für ihn nur noch den einen Weg geben, noch in der letzten Stunde eine Vermittlung
der Gegensätze zu versuchen, indem er den König von der Lage unterrichte und
ihm die Bedenken des Bundeskanzlers mitteile. Die Züge des Grafen Bismarck
verrieten, wie der Großherzog hinzufügt, eine von jenen tiefen Erregungen, „in
denen er sogar dem unzweideutigsten und aufrichtigsten Ausspruch mißtraut".
Wenig Minuten darauf erschien der König, tief ergriffen. Seine innere Be¬
wegung war so groß und durch das rasche Ersteigen der großen Marmortreppe
noch vermehrt, daß er Mühe hatte, die Fürsten mit einer kurzen Ansprache zu
begrüßen. Die Aufzeichnungen des Großherzogs berichten nun: „Ich benutzte
einen freien Augenblick, dem König die vorhin bezeichnete Lage zu schildern und
hob hervor, daß nach erfolgter königlicher Sanktion es mir ratsam scheine, bei
diesem feierlichen Akt nur die Ausdrücke zu gebrauchen, welche streng den gegebnen
Bestimmungen entsprächen, da ja jeder hier von offizieller Bedeutung sei. Der
König war sehr ungehalten darüber und äußerte sich in heftigen Ausdrücken über
den Grafen Bismarck. Ich suchte ihn dadurch zu beruhigen, daß ich ihm vorschlug,
ich wolle das Hoch so ausdrücken, daß weder die eine noch die andre Bezeichnung
genannt werde, worauf der König etwas unwillig erwiderte: »Du kannst es
machen, wie Du willst, ich werde mich später doch nur so nennen, wie ich es will,
nicht wie Bismarck es bestimmen will.« Nun war ich wieder auf mich selbst
angewiesen, da der König sich abwandte und uns aufforderte, ihm in den großen
Saal zu folgen. Da ich dem Könige mit dem Kronprinzen folgte, so machte
ich letzterm den Vorschlag, nur Kaiser Wilhelm zu sagen, womit er einverstanden
war." Als der gegebne Augenblick gekommen war, rief der Großherzog, so laut
er konnte, in die lautlos harrende Versammlung: „Seine kaiserliche und könig¬
liche Majestät Kaiser Wilhelm lebe hoch!" was sechsfach wiederholt wurde.
Damit hatte die weise Vermittlung des Großherzogs auch diese Frage unter
den denkbar schwierigsten Verhältnissen glücklich gelöst. Wie er der erste gewesen
war, der die Kaiserfrage erhoben, sie amtlich sowohl als im Verkehr von Fürst
zu Fürst geschäftlich angeregt hatte, so war ihm auch in der feierlichen Stunde,
die seine Wünsche und zugleich das Sehnen ganzer Geschlechter erfüllte, die
Aufgabe zugefallen, vor und mit allem Volk und seinen Fürsten zuerst den
Kaiser zu grüßen.

Die nach jeder Richtung schwere Geburt schien mit dem 18. Januar glücklich
beendet zu sein, aber der Großherzog hatte selbst noch im März in Berlin, zur
Zeit der Beratung des Reichsverfassuugsgesetzes, als Bayern für seine Ansprüche
auch noch die Unterstützung Sachsens fand, das nicht schlechter als die beiden
andern Königreiche gestellt sein wollte, mit klugem Ratschlag fördernd und helfend
einzugreifen. Ebenso war er in Versailles für den König wie für den Bundes-


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[0212] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Akt der Proklamierung ein Hoch auf den Kaiser aufdringe. Dem Großherzog blieb nichts andres übrig, als bei Beginn der Festversammlung mit Bismarck noch einmal Rücksprache zu nehmen, der aber ebenso ans seinem Standpunkte ver¬ harrte wie der König auf dem seinigen. Der Großherzog erwiderte, es könne für ihn nur noch den einen Weg geben, noch in der letzten Stunde eine Vermittlung der Gegensätze zu versuchen, indem er den König von der Lage unterrichte und ihm die Bedenken des Bundeskanzlers mitteile. Die Züge des Grafen Bismarck verrieten, wie der Großherzog hinzufügt, eine von jenen tiefen Erregungen, „in denen er sogar dem unzweideutigsten und aufrichtigsten Ausspruch mißtraut". Wenig Minuten darauf erschien der König, tief ergriffen. Seine innere Be¬ wegung war so groß und durch das rasche Ersteigen der großen Marmortreppe noch vermehrt, daß er Mühe hatte, die Fürsten mit einer kurzen Ansprache zu begrüßen. Die Aufzeichnungen des Großherzogs berichten nun: „Ich benutzte einen freien Augenblick, dem König die vorhin bezeichnete Lage zu schildern und hob hervor, daß nach erfolgter königlicher Sanktion es mir ratsam scheine, bei diesem feierlichen Akt nur die Ausdrücke zu gebrauchen, welche streng den gegebnen Bestimmungen entsprächen, da ja jeder hier von offizieller Bedeutung sei. Der König war sehr ungehalten darüber und äußerte sich in heftigen Ausdrücken über den Grafen Bismarck. Ich suchte ihn dadurch zu beruhigen, daß ich ihm vorschlug, ich wolle das Hoch so ausdrücken, daß weder die eine noch die andre Bezeichnung genannt werde, worauf der König etwas unwillig erwiderte: »Du kannst es machen, wie Du willst, ich werde mich später doch nur so nennen, wie ich es will, nicht wie Bismarck es bestimmen will.« Nun war ich wieder auf mich selbst angewiesen, da der König sich abwandte und uns aufforderte, ihm in den großen Saal zu folgen. Da ich dem Könige mit dem Kronprinzen folgte, so machte ich letzterm den Vorschlag, nur Kaiser Wilhelm zu sagen, womit er einverstanden war." Als der gegebne Augenblick gekommen war, rief der Großherzog, so laut er konnte, in die lautlos harrende Versammlung: „Seine kaiserliche und könig¬ liche Majestät Kaiser Wilhelm lebe hoch!" was sechsfach wiederholt wurde. Damit hatte die weise Vermittlung des Großherzogs auch diese Frage unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen glücklich gelöst. Wie er der erste gewesen war, der die Kaiserfrage erhoben, sie amtlich sowohl als im Verkehr von Fürst zu Fürst geschäftlich angeregt hatte, so war ihm auch in der feierlichen Stunde, die seine Wünsche und zugleich das Sehnen ganzer Geschlechter erfüllte, die Aufgabe zugefallen, vor und mit allem Volk und seinen Fürsten zuerst den Kaiser zu grüßen. Die nach jeder Richtung schwere Geburt schien mit dem 18. Januar glücklich beendet zu sein, aber der Großherzog hatte selbst noch im März in Berlin, zur Zeit der Beratung des Reichsverfassuugsgesetzes, als Bayern für seine Ansprüche auch noch die Unterstützung Sachsens fand, das nicht schlechter als die beiden andern Königreiche gestellt sein wollte, mit klugem Ratschlag fördernd und helfend einzugreifen. Ebenso war er in Versailles für den König wie für den Bundes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/212>, abgerufen am 15.05.2024.