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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die Bernstorffs

Und NUN vollends der Seeländische Bauer: welches Bild von Kraft und
Besonnenheit. Ruhe und Behaglichkeit, wenn er. den großen Kopf mit aus¬
rasiertem Kinn- und Backenbart würdevoll wiegend wie ein englischer Premier¬
minister, des Abends im "Tivoli" seinem Vergnügen nachgeht. Die schönsten
männlichen Gestalten freilich sind die Seeoffiziere, die wie schlanke Gerten
das wohlgewachsne Volk noch um Hauptes Länge überragen. Auch die
dänischen Frauen und Mädchen mit ihrem rotblonden oder aschblonden Haar,
ihren frischen Farben und guten Zähnen sind manchmal von großer Schönheit,
fast immer aber anmutig in Haltung und Bewegung, eine Folge der vor¬
züglichen Ernährung und der überall ins Land hereinwehenden frischen See¬
luft. Kopenhagen ist in der Tat eine Glücksprinzessin unter den europäischen
Großstädten, daß es in den Meeren und Wäldern Seelands die vorzüglichsten
Lungen in unmittelbarer Nähe besitzt. Denn der Strand dieser gesegneten
Insel bis hinauf nach Hellebaek am Kattegatt und weiter wird bald von einer
ununterbrochnem Reihe lieblicher Landhäuser bedeckt sein, die um so reizvoller
erscheinen, weil sie nicht einer kleinen Kaste von Millionären, sondern dem
Volke eigen sind: denn sie zeigen mit wenig Ausnahmen die schlichte vater¬
ländische Bauweise, und viele von ihnen sind als "Einzimmerhäuser" so be¬
scheiden, daß auch der Wenigbemittelte einen solchen beglückenden Besitz er¬
werben kann. Eigenartig ist auch die künstlerische Kultur des kleinen Jnsel-
reichs. Holberg, Thorwaldsen und Andersen sind längst nicht mehr die einzigen
dänischen Namen, die für die gesamte europäische Kultur von Wichtigkeit sind.
Eine nicht unbedeutende dramatische Dichtung und Romanliteratur bereichert
fast alljährlich durch Übersetzungen auch die deutsche Dichtung -- ich brauche
uur an den das moderne Dünemark am vornehmsten repräsentierenden
Sophus Bauditz zu erinnern --, und in der keramischen Kunst ist Kopenhagen
noch immer Trumpf.

Die dänische Kultur ist natürlich von der der Nachbarländer stark be¬
einflußt. Wenn man die sogenannte jungdänische Dichterschule (Georg Brandes,
Holger Drachmann. Karl Gjellerup u. a.) und die Bücher als Maßstab des
herrschenden Geschmacks betrachtet, die die Kopenhagner Buchhändler in ihren
Schaufenstern auslegen, so ist bis vor kurzem der französische Einfluß sehr
bedeutend gewesen. Das ist besonders dadurch gekommen, daß sich seit der
Zuspitzung der Schleswig-holsteinischen Frage und besonders seit dem Dänischen
Kriege von 1864, der ja dem von der eiderdcinischen Partei geleiteten Volke
die schmerzhafteste Wunde schlug, die Kopenhagner Gesellschaft mehr und mehr
von Deutschland ab- und zu seinen Gegnern hinwandte. Neuerdings aber
treten Symptome einer innerlichen Aussöhnung Deutschlands und Dänemarks
hervor, und zwar nicht nur in den guten Beziehungen der Königsfamilie zu
der des deutschen Kaisers, und infolgedessen wendet sich der dänische Geschmack
auch wieder den Perioden zu, in denen deutsches Geistesleben und die deutsche
Kunst in Dänemark maßgebend waren. Die ganze große Bewegung, die man


Grenzboten IV 1906 31
Die Bernstorffs

Und NUN vollends der Seeländische Bauer: welches Bild von Kraft und
Besonnenheit. Ruhe und Behaglichkeit, wenn er. den großen Kopf mit aus¬
rasiertem Kinn- und Backenbart würdevoll wiegend wie ein englischer Premier¬
minister, des Abends im „Tivoli" seinem Vergnügen nachgeht. Die schönsten
männlichen Gestalten freilich sind die Seeoffiziere, die wie schlanke Gerten
das wohlgewachsne Volk noch um Hauptes Länge überragen. Auch die
dänischen Frauen und Mädchen mit ihrem rotblonden oder aschblonden Haar,
ihren frischen Farben und guten Zähnen sind manchmal von großer Schönheit,
fast immer aber anmutig in Haltung und Bewegung, eine Folge der vor¬
züglichen Ernährung und der überall ins Land hereinwehenden frischen See¬
luft. Kopenhagen ist in der Tat eine Glücksprinzessin unter den europäischen
Großstädten, daß es in den Meeren und Wäldern Seelands die vorzüglichsten
Lungen in unmittelbarer Nähe besitzt. Denn der Strand dieser gesegneten
Insel bis hinauf nach Hellebaek am Kattegatt und weiter wird bald von einer
ununterbrochnem Reihe lieblicher Landhäuser bedeckt sein, die um so reizvoller
erscheinen, weil sie nicht einer kleinen Kaste von Millionären, sondern dem
Volke eigen sind: denn sie zeigen mit wenig Ausnahmen die schlichte vater¬
ländische Bauweise, und viele von ihnen sind als „Einzimmerhäuser" so be¬
scheiden, daß auch der Wenigbemittelte einen solchen beglückenden Besitz er¬
werben kann. Eigenartig ist auch die künstlerische Kultur des kleinen Jnsel-
reichs. Holberg, Thorwaldsen und Andersen sind längst nicht mehr die einzigen
dänischen Namen, die für die gesamte europäische Kultur von Wichtigkeit sind.
Eine nicht unbedeutende dramatische Dichtung und Romanliteratur bereichert
fast alljährlich durch Übersetzungen auch die deutsche Dichtung — ich brauche
uur an den das moderne Dünemark am vornehmsten repräsentierenden
Sophus Bauditz zu erinnern —, und in der keramischen Kunst ist Kopenhagen
noch immer Trumpf.

Die dänische Kultur ist natürlich von der der Nachbarländer stark be¬
einflußt. Wenn man die sogenannte jungdänische Dichterschule (Georg Brandes,
Holger Drachmann. Karl Gjellerup u. a.) und die Bücher als Maßstab des
herrschenden Geschmacks betrachtet, die die Kopenhagner Buchhändler in ihren
Schaufenstern auslegen, so ist bis vor kurzem der französische Einfluß sehr
bedeutend gewesen. Das ist besonders dadurch gekommen, daß sich seit der
Zuspitzung der Schleswig-holsteinischen Frage und besonders seit dem Dänischen
Kriege von 1864, der ja dem von der eiderdcinischen Partei geleiteten Volke
die schmerzhafteste Wunde schlug, die Kopenhagner Gesellschaft mehr und mehr
von Deutschland ab- und zu seinen Gegnern hinwandte. Neuerdings aber
treten Symptome einer innerlichen Aussöhnung Deutschlands und Dänemarks
hervor, und zwar nicht nur in den guten Beziehungen der Königsfamilie zu
der des deutschen Kaisers, und infolgedessen wendet sich der dänische Geschmack
auch wieder den Perioden zu, in denen deutsches Geistesleben und die deutsche
Kunst in Dänemark maßgebend waren. Die ganze große Bewegung, die man


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[0249] Die Bernstorffs Und NUN vollends der Seeländische Bauer: welches Bild von Kraft und Besonnenheit. Ruhe und Behaglichkeit, wenn er. den großen Kopf mit aus¬ rasiertem Kinn- und Backenbart würdevoll wiegend wie ein englischer Premier¬ minister, des Abends im „Tivoli" seinem Vergnügen nachgeht. Die schönsten männlichen Gestalten freilich sind die Seeoffiziere, die wie schlanke Gerten das wohlgewachsne Volk noch um Hauptes Länge überragen. Auch die dänischen Frauen und Mädchen mit ihrem rotblonden oder aschblonden Haar, ihren frischen Farben und guten Zähnen sind manchmal von großer Schönheit, fast immer aber anmutig in Haltung und Bewegung, eine Folge der vor¬ züglichen Ernährung und der überall ins Land hereinwehenden frischen See¬ luft. Kopenhagen ist in der Tat eine Glücksprinzessin unter den europäischen Großstädten, daß es in den Meeren und Wäldern Seelands die vorzüglichsten Lungen in unmittelbarer Nähe besitzt. Denn der Strand dieser gesegneten Insel bis hinauf nach Hellebaek am Kattegatt und weiter wird bald von einer ununterbrochnem Reihe lieblicher Landhäuser bedeckt sein, die um so reizvoller erscheinen, weil sie nicht einer kleinen Kaste von Millionären, sondern dem Volke eigen sind: denn sie zeigen mit wenig Ausnahmen die schlichte vater¬ ländische Bauweise, und viele von ihnen sind als „Einzimmerhäuser" so be¬ scheiden, daß auch der Wenigbemittelte einen solchen beglückenden Besitz er¬ werben kann. Eigenartig ist auch die künstlerische Kultur des kleinen Jnsel- reichs. Holberg, Thorwaldsen und Andersen sind längst nicht mehr die einzigen dänischen Namen, die für die gesamte europäische Kultur von Wichtigkeit sind. Eine nicht unbedeutende dramatische Dichtung und Romanliteratur bereichert fast alljährlich durch Übersetzungen auch die deutsche Dichtung — ich brauche uur an den das moderne Dünemark am vornehmsten repräsentierenden Sophus Bauditz zu erinnern —, und in der keramischen Kunst ist Kopenhagen noch immer Trumpf. Die dänische Kultur ist natürlich von der der Nachbarländer stark be¬ einflußt. Wenn man die sogenannte jungdänische Dichterschule (Georg Brandes, Holger Drachmann. Karl Gjellerup u. a.) und die Bücher als Maßstab des herrschenden Geschmacks betrachtet, die die Kopenhagner Buchhändler in ihren Schaufenstern auslegen, so ist bis vor kurzem der französische Einfluß sehr bedeutend gewesen. Das ist besonders dadurch gekommen, daß sich seit der Zuspitzung der Schleswig-holsteinischen Frage und besonders seit dem Dänischen Kriege von 1864, der ja dem von der eiderdcinischen Partei geleiteten Volke die schmerzhafteste Wunde schlug, die Kopenhagner Gesellschaft mehr und mehr von Deutschland ab- und zu seinen Gegnern hinwandte. Neuerdings aber treten Symptome einer innerlichen Aussöhnung Deutschlands und Dänemarks hervor, und zwar nicht nur in den guten Beziehungen der Königsfamilie zu der des deutschen Kaisers, und infolgedessen wendet sich der dänische Geschmack auch wieder den Perioden zu, in denen deutsches Geistesleben und die deutsche Kunst in Dänemark maßgebend waren. Die ganze große Bewegung, die man Grenzboten IV 1906 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/249>, abgerufen am 15.05.2024.