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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Streifen Landes vom Main- und Tauberkreise bis an den Rhein. Heidelberg
und Mannheim brauchten nicht notwendig davon berührt zu werden. Er streifte
dann noch den Vertrag von Ried mit der Versicherung. Bayern denke gar
nicht daran, diese alten Fragen zur Sprache zu bringen; ihm persönlich sei es
nur von hohem Wert, die Anschauungen des Großherzogs über eine etwaige
Teilung der französischen Abtretungen kennen zu lernen. Der Großherzog
fragte den Minister, ob er bevollmächtigt sei, die Sache offiziell in Anregung
zu bringen, und da Graf Bray das nicht bestimmt ablehnte, so bemerkte der
Großherzog, seiner Überzeugung nach könne ein kleiner Staat den Provinzen
keine entsprechende Entschädigung für ihre bisherige Stellung bieten, und was
das Anerbieten von Elsaß mit der Königskrone als Belohnung für nationale
Pflichterfüllung angehe, so würde er dies als eine Beleidigung betrachten, die
er mit Entrüstung zurückweisen müsse. Die Zeiten, wo man Land und Leute
verschenkte, lügen weit zurück, und was den Vertrag von Ried betreffe, so
möchte es geraten sein, diese Sache fallen zu lassen, da er. der Großherzog,
jederzeit für Land und Leute und die Sache seines Staates eintreten werde.
Im weitern Verlauf der Unterredung stellte der Großherzog die Frage, ob
man auf bayrischer Seite mit den erreichten Konzessionen voll befriedigt sei.
Graf Bray antwortete, daß der diplomatische Ausschuß keine Kompetenz habe,
und daß das diplomatische Vertretungsrecht eine leere Form sei. So lange
Graf Bismarck im Amte sei, werde überhaupt von einer eigentlichen Mit¬
wirkung nicht die Rede sein, nach ihm freilich könnte es anders werden. Damit
war die Audienz zu Ende.

Mit Recht weist Lorenz, der Vorstehendes nach den Aufzeichnungen des
Großherzogs berichtet, auf die Merkwürdigkeit hin, daß beide Parteien mehr
von der Gegenwart als von der Zukunft hielten. Bismarck hoffte auf ein
weiteres Zurücktreten der bayrischen Sonderbestrebungen in Deutschland ver¬
möge des Schwergewichts der nationalen Entwicklung, Graf Bray auf eine
Vermehrung des politischen Einflusses Bayerns nach dem einstigen Abgange
des Bundeskanzlers.

Bis jetzt hat die nationale Entwicklung Deutschlands Bismarck Recht
gegeben, sie hat sich im Sinne der Erstarkung des Reichsgedankens vollzogen.




Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Streifen Landes vom Main- und Tauberkreise bis an den Rhein. Heidelberg
und Mannheim brauchten nicht notwendig davon berührt zu werden. Er streifte
dann noch den Vertrag von Ried mit der Versicherung. Bayern denke gar
nicht daran, diese alten Fragen zur Sprache zu bringen; ihm persönlich sei es
nur von hohem Wert, die Anschauungen des Großherzogs über eine etwaige
Teilung der französischen Abtretungen kennen zu lernen. Der Großherzog
fragte den Minister, ob er bevollmächtigt sei, die Sache offiziell in Anregung
zu bringen, und da Graf Bray das nicht bestimmt ablehnte, so bemerkte der
Großherzog, seiner Überzeugung nach könne ein kleiner Staat den Provinzen
keine entsprechende Entschädigung für ihre bisherige Stellung bieten, und was
das Anerbieten von Elsaß mit der Königskrone als Belohnung für nationale
Pflichterfüllung angehe, so würde er dies als eine Beleidigung betrachten, die
er mit Entrüstung zurückweisen müsse. Die Zeiten, wo man Land und Leute
verschenkte, lügen weit zurück, und was den Vertrag von Ried betreffe, so
möchte es geraten sein, diese Sache fallen zu lassen, da er. der Großherzog,
jederzeit für Land und Leute und die Sache seines Staates eintreten werde.
Im weitern Verlauf der Unterredung stellte der Großherzog die Frage, ob
man auf bayrischer Seite mit den erreichten Konzessionen voll befriedigt sei.
Graf Bray antwortete, daß der diplomatische Ausschuß keine Kompetenz habe,
und daß das diplomatische Vertretungsrecht eine leere Form sei. So lange
Graf Bismarck im Amte sei, werde überhaupt von einer eigentlichen Mit¬
wirkung nicht die Rede sein, nach ihm freilich könnte es anders werden. Damit
war die Audienz zu Ende.

Mit Recht weist Lorenz, der Vorstehendes nach den Aufzeichnungen des
Großherzogs berichtet, auf die Merkwürdigkeit hin, daß beide Parteien mehr
von der Gegenwart als von der Zukunft hielten. Bismarck hoffte auf ein
weiteres Zurücktreten der bayrischen Sonderbestrebungen in Deutschland ver¬
möge des Schwergewichts der nationalen Entwicklung, Graf Bray auf eine
Vermehrung des politischen Einflusses Bayerns nach dem einstigen Abgange
des Bundeskanzlers.

Bis jetzt hat die nationale Entwicklung Deutschlands Bismarck Recht
gegeben, sie hat sich im Sinne der Erstarkung des Reichsgedankens vollzogen.




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[0033] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Streifen Landes vom Main- und Tauberkreise bis an den Rhein. Heidelberg und Mannheim brauchten nicht notwendig davon berührt zu werden. Er streifte dann noch den Vertrag von Ried mit der Versicherung. Bayern denke gar nicht daran, diese alten Fragen zur Sprache zu bringen; ihm persönlich sei es nur von hohem Wert, die Anschauungen des Großherzogs über eine etwaige Teilung der französischen Abtretungen kennen zu lernen. Der Großherzog fragte den Minister, ob er bevollmächtigt sei, die Sache offiziell in Anregung zu bringen, und da Graf Bray das nicht bestimmt ablehnte, so bemerkte der Großherzog, seiner Überzeugung nach könne ein kleiner Staat den Provinzen keine entsprechende Entschädigung für ihre bisherige Stellung bieten, und was das Anerbieten von Elsaß mit der Königskrone als Belohnung für nationale Pflichterfüllung angehe, so würde er dies als eine Beleidigung betrachten, die er mit Entrüstung zurückweisen müsse. Die Zeiten, wo man Land und Leute verschenkte, lügen weit zurück, und was den Vertrag von Ried betreffe, so möchte es geraten sein, diese Sache fallen zu lassen, da er. der Großherzog, jederzeit für Land und Leute und die Sache seines Staates eintreten werde. Im weitern Verlauf der Unterredung stellte der Großherzog die Frage, ob man auf bayrischer Seite mit den erreichten Konzessionen voll befriedigt sei. Graf Bray antwortete, daß der diplomatische Ausschuß keine Kompetenz habe, und daß das diplomatische Vertretungsrecht eine leere Form sei. So lange Graf Bismarck im Amte sei, werde überhaupt von einer eigentlichen Mit¬ wirkung nicht die Rede sein, nach ihm freilich könnte es anders werden. Damit war die Audienz zu Ende. Mit Recht weist Lorenz, der Vorstehendes nach den Aufzeichnungen des Großherzogs berichtet, auf die Merkwürdigkeit hin, daß beide Parteien mehr von der Gegenwart als von der Zukunft hielten. Bismarck hoffte auf ein weiteres Zurücktreten der bayrischen Sonderbestrebungen in Deutschland ver¬ möge des Schwergewichts der nationalen Entwicklung, Graf Bray auf eine Vermehrung des politischen Einflusses Bayerns nach dem einstigen Abgange des Bundeskanzlers. Bis jetzt hat die nationale Entwicklung Deutschlands Bismarck Recht gegeben, sie hat sich im Sinne der Erstarkung des Reichsgedankens vollzogen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/33>, abgerufen am 15.05.2024.