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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Station am Schalter nur ungarisch sprach, und wenn er auch ganz geläufig kroatisch
reden konnte, doch die Passagiere zwang, sich des verhaßten "Magyarischen" zu
bedienen, das erschien auch dem Mann aus dem Volke geradezu als eine Schmach.
Der Nadelstich tat weh, sehr weh, und solcher Nadelstiche gab es eine ganze Menge.

Jetzt sieht man dieses Unrecht auch in Budapest ein. Die neuen Herren des
Ungarns von 1906 versuchten nicht, das ableugnen, vertuschen oder beschönigen zu
wollen. Sie haben sich, noch ehe die Macht in ihre Hände überging, mit den
Führern der kroatischen Regierungsgegner für alle kommenden Fälle verständigt.
In Finne, dem einzigen, aber italienischen Hafenplatze Ungarns, der von den
Kroaten als kroatischer Besitz zurückgefordert wird, wurde vor ungefähr einem Jahre
der Pakt geschlossen: zwischen den act hop vereinigten ungarischen Oppositionellen,
die damals im verzweifelten, nicht die geringste Aussicht bietenden Kampfe Wider
"Wien" standen, und den kroatischen Genossen, deren Aussichten auch sehr schlecht
waren, eigentlich noch schlechter wie die der ungarischen Waffenbrüder. Jedenfalls
War es von den Kroaten klug, das Bündnis einzugehn, denn die Möglichkeiten zu
ihren Gunsten, mit denen sie rechnen konnten, waren verschwindend gering, vor
allem im eignen Lande. Sie hatten wohl eine riesengroße politische Partei hinter
sich, doch nur eine winzige Vertretung im Landtag. Dort durften sie, dank einer
für den Baums überaus bequemen Wahlordnung und einem noch bequemern Haus¬
gesetz mit Cloture und allem, was zur richtigen Knebelung der Landesväter ge¬
hört, gewiß nicht darauf rechnen, jemals als Mehrheit die damals allmächtige
"magyaronische Nationalpartei" zu verdrängen. Freilich, auf die ungarische Oppo¬
sition war auch "kein Verlaß nicht", denn seit dem Ausgleich von 1867 war für
Kroatien vou Budapest noch nie etwas Gutes gekommen, jede herrschende Partei
in Ungarn hatte Kroatien geknechtet. Konnte und durfte man da hoffen, daß ein
Wunder geschehen werde? Ein doppeltes Nein? ein dreifaches? Daß die ungarische
Opposition siegen, daß sie ein dnrch dreißigjährige Überlieferung fast geheiligtes
"System" beseitigen und Kroatien das Seine geben, und wohl der Wunder größtes,
daß in Kroatien selbst ein Umschwung der Verhältnisse zugunsten der Opposition
eintreten werde? Immerhin, man wollte es mit den Ungarn versuchen. Und die
Wunder geschahen, sogar alle drei. Dann trat aber die unausbleibliche Wirkung
allzu starker zentripetaler Kräfte ein. Zu sehr überspannt und also abgeschwächt,
konnten sie nicht mehr wie früher die entgegengesetzte Strömung aufhalten. Seit
einiger Zeit machen sich in Ungarn zentrifugale Richtungen bemerkbar. Die
"Nationalitäten" -- mau versteht darunter alle ungnrländischen Staatsbürger nicht¬
magyarischer Zunge -- rühren sich; dreißig Jahre lang waren sie niedergehalten
worden, nun wollen auch sie ihren Platz an der Sonne. Und die Kroaten
pochen lauter als je zuvor auf ihre gewiß mehr als bloß theoretischen Rechte
auf ein selbständiges Volk und Staatswesen. In Ungarn wurde bisher immer
geleugnet, daß Kroatien Selbständigkeit hätte, das Königreich wurde stets nur
als eine Art Provinz mit gewissen Freiheiten, mit einer beschränkten Autonomie in
verwaltungstechnischer Beziehung betrachtet und dementsprechend behandelt. Erst
in der allerjüngsten Zeit ist diese Auffassung zwar durchaus nicht geschwunden,
wohl aber mit Absicht in den Hintergrund gedrängt worden. Man schweigt eben
darüber und gefällt sich jetzt ganz in erstaunlicher Duldung und Nachsicht, wenn von
den re8 Lroittie-es die Rede ist. Dadurch hat man Ruhe im Südwesten, diesem
Wetterwinkel, wo es während der langjährigen Herrschaft der "liberalen Partei"
in Ungarn fast unaufhörlich geblitzt und bedrohlich gedonnert hat. Die Ungarn
brauchen eben jetzt die Ruhe. Die ungarländischen Slowaken und Ruthenen und
Rumänen sind aber, wie schon angedeutet worden ist, eifrig daran, den Magyaren
Schwierigkeiten auf allen Gebieten zu bereiten. Sie wissen eben, daß nun die
Vorherrschaft der Magyaren in Gesamtösterreich nicht mehr besteht, daß in wenig


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Station am Schalter nur ungarisch sprach, und wenn er auch ganz geläufig kroatisch
reden konnte, doch die Passagiere zwang, sich des verhaßten „Magyarischen" zu
bedienen, das erschien auch dem Mann aus dem Volke geradezu als eine Schmach.
Der Nadelstich tat weh, sehr weh, und solcher Nadelstiche gab es eine ganze Menge.

Jetzt sieht man dieses Unrecht auch in Budapest ein. Die neuen Herren des
Ungarns von 1906 versuchten nicht, das ableugnen, vertuschen oder beschönigen zu
wollen. Sie haben sich, noch ehe die Macht in ihre Hände überging, mit den
Führern der kroatischen Regierungsgegner für alle kommenden Fälle verständigt.
In Finne, dem einzigen, aber italienischen Hafenplatze Ungarns, der von den
Kroaten als kroatischer Besitz zurückgefordert wird, wurde vor ungefähr einem Jahre
der Pakt geschlossen: zwischen den act hop vereinigten ungarischen Oppositionellen,
die damals im verzweifelten, nicht die geringste Aussicht bietenden Kampfe Wider
„Wien" standen, und den kroatischen Genossen, deren Aussichten auch sehr schlecht
waren, eigentlich noch schlechter wie die der ungarischen Waffenbrüder. Jedenfalls
War es von den Kroaten klug, das Bündnis einzugehn, denn die Möglichkeiten zu
ihren Gunsten, mit denen sie rechnen konnten, waren verschwindend gering, vor
allem im eignen Lande. Sie hatten wohl eine riesengroße politische Partei hinter
sich, doch nur eine winzige Vertretung im Landtag. Dort durften sie, dank einer
für den Baums überaus bequemen Wahlordnung und einem noch bequemern Haus¬
gesetz mit Cloture und allem, was zur richtigen Knebelung der Landesväter ge¬
hört, gewiß nicht darauf rechnen, jemals als Mehrheit die damals allmächtige
„magyaronische Nationalpartei" zu verdrängen. Freilich, auf die ungarische Oppo¬
sition war auch „kein Verlaß nicht", denn seit dem Ausgleich von 1867 war für
Kroatien vou Budapest noch nie etwas Gutes gekommen, jede herrschende Partei
in Ungarn hatte Kroatien geknechtet. Konnte und durfte man da hoffen, daß ein
Wunder geschehen werde? Ein doppeltes Nein? ein dreifaches? Daß die ungarische
Opposition siegen, daß sie ein dnrch dreißigjährige Überlieferung fast geheiligtes
„System" beseitigen und Kroatien das Seine geben, und wohl der Wunder größtes,
daß in Kroatien selbst ein Umschwung der Verhältnisse zugunsten der Opposition
eintreten werde? Immerhin, man wollte es mit den Ungarn versuchen. Und die
Wunder geschahen, sogar alle drei. Dann trat aber die unausbleibliche Wirkung
allzu starker zentripetaler Kräfte ein. Zu sehr überspannt und also abgeschwächt,
konnten sie nicht mehr wie früher die entgegengesetzte Strömung aufhalten. Seit
einiger Zeit machen sich in Ungarn zentrifugale Richtungen bemerkbar. Die
„Nationalitäten" — mau versteht darunter alle ungnrländischen Staatsbürger nicht¬
magyarischer Zunge — rühren sich; dreißig Jahre lang waren sie niedergehalten
worden, nun wollen auch sie ihren Platz an der Sonne. Und die Kroaten
pochen lauter als je zuvor auf ihre gewiß mehr als bloß theoretischen Rechte
auf ein selbständiges Volk und Staatswesen. In Ungarn wurde bisher immer
geleugnet, daß Kroatien Selbständigkeit hätte, das Königreich wurde stets nur
als eine Art Provinz mit gewissen Freiheiten, mit einer beschränkten Autonomie in
verwaltungstechnischer Beziehung betrachtet und dementsprechend behandelt. Erst
in der allerjüngsten Zeit ist diese Auffassung zwar durchaus nicht geschwunden,
wohl aber mit Absicht in den Hintergrund gedrängt worden. Man schweigt eben
darüber und gefällt sich jetzt ganz in erstaunlicher Duldung und Nachsicht, wenn von
den re8 Lroittie-es die Rede ist. Dadurch hat man Ruhe im Südwesten, diesem
Wetterwinkel, wo es während der langjährigen Herrschaft der „liberalen Partei"
in Ungarn fast unaufhörlich geblitzt und bedrohlich gedonnert hat. Die Ungarn
brauchen eben jetzt die Ruhe. Die ungarländischen Slowaken und Ruthenen und
Rumänen sind aber, wie schon angedeutet worden ist, eifrig daran, den Magyaren
Schwierigkeiten auf allen Gebieten zu bereiten. Sie wissen eben, daß nun die
Vorherrschaft der Magyaren in Gesamtösterreich nicht mehr besteht, daß in wenig


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[0398] Maßgebliches und Unmaßgebliches Station am Schalter nur ungarisch sprach, und wenn er auch ganz geläufig kroatisch reden konnte, doch die Passagiere zwang, sich des verhaßten „Magyarischen" zu bedienen, das erschien auch dem Mann aus dem Volke geradezu als eine Schmach. Der Nadelstich tat weh, sehr weh, und solcher Nadelstiche gab es eine ganze Menge. Jetzt sieht man dieses Unrecht auch in Budapest ein. Die neuen Herren des Ungarns von 1906 versuchten nicht, das ableugnen, vertuschen oder beschönigen zu wollen. Sie haben sich, noch ehe die Macht in ihre Hände überging, mit den Führern der kroatischen Regierungsgegner für alle kommenden Fälle verständigt. In Finne, dem einzigen, aber italienischen Hafenplatze Ungarns, der von den Kroaten als kroatischer Besitz zurückgefordert wird, wurde vor ungefähr einem Jahre der Pakt geschlossen: zwischen den act hop vereinigten ungarischen Oppositionellen, die damals im verzweifelten, nicht die geringste Aussicht bietenden Kampfe Wider „Wien" standen, und den kroatischen Genossen, deren Aussichten auch sehr schlecht waren, eigentlich noch schlechter wie die der ungarischen Waffenbrüder. Jedenfalls War es von den Kroaten klug, das Bündnis einzugehn, denn die Möglichkeiten zu ihren Gunsten, mit denen sie rechnen konnten, waren verschwindend gering, vor allem im eignen Lande. Sie hatten wohl eine riesengroße politische Partei hinter sich, doch nur eine winzige Vertretung im Landtag. Dort durften sie, dank einer für den Baums überaus bequemen Wahlordnung und einem noch bequemern Haus¬ gesetz mit Cloture und allem, was zur richtigen Knebelung der Landesväter ge¬ hört, gewiß nicht darauf rechnen, jemals als Mehrheit die damals allmächtige „magyaronische Nationalpartei" zu verdrängen. Freilich, auf die ungarische Oppo¬ sition war auch „kein Verlaß nicht", denn seit dem Ausgleich von 1867 war für Kroatien vou Budapest noch nie etwas Gutes gekommen, jede herrschende Partei in Ungarn hatte Kroatien geknechtet. Konnte und durfte man da hoffen, daß ein Wunder geschehen werde? Ein doppeltes Nein? ein dreifaches? Daß die ungarische Opposition siegen, daß sie ein dnrch dreißigjährige Überlieferung fast geheiligtes „System" beseitigen und Kroatien das Seine geben, und wohl der Wunder größtes, daß in Kroatien selbst ein Umschwung der Verhältnisse zugunsten der Opposition eintreten werde? Immerhin, man wollte es mit den Ungarn versuchen. Und die Wunder geschahen, sogar alle drei. Dann trat aber die unausbleibliche Wirkung allzu starker zentripetaler Kräfte ein. Zu sehr überspannt und also abgeschwächt, konnten sie nicht mehr wie früher die entgegengesetzte Strömung aufhalten. Seit einiger Zeit machen sich in Ungarn zentrifugale Richtungen bemerkbar. Die „Nationalitäten" — mau versteht darunter alle ungnrländischen Staatsbürger nicht¬ magyarischer Zunge — rühren sich; dreißig Jahre lang waren sie niedergehalten worden, nun wollen auch sie ihren Platz an der Sonne. Und die Kroaten pochen lauter als je zuvor auf ihre gewiß mehr als bloß theoretischen Rechte auf ein selbständiges Volk und Staatswesen. In Ungarn wurde bisher immer geleugnet, daß Kroatien Selbständigkeit hätte, das Königreich wurde stets nur als eine Art Provinz mit gewissen Freiheiten, mit einer beschränkten Autonomie in verwaltungstechnischer Beziehung betrachtet und dementsprechend behandelt. Erst in der allerjüngsten Zeit ist diese Auffassung zwar durchaus nicht geschwunden, wohl aber mit Absicht in den Hintergrund gedrängt worden. Man schweigt eben darüber und gefällt sich jetzt ganz in erstaunlicher Duldung und Nachsicht, wenn von den re8 Lroittie-es die Rede ist. Dadurch hat man Ruhe im Südwesten, diesem Wetterwinkel, wo es während der langjährigen Herrschaft der „liberalen Partei" in Ungarn fast unaufhörlich geblitzt und bedrohlich gedonnert hat. Die Ungarn brauchen eben jetzt die Ruhe. Die ungarländischen Slowaken und Ruthenen und Rumänen sind aber, wie schon angedeutet worden ist, eifrig daran, den Magyaren Schwierigkeiten auf allen Gebieten zu bereiten. Sie wissen eben, daß nun die Vorherrschaft der Magyaren in Gesamtösterreich nicht mehr besteht, daß in wenig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/398>, abgerufen am 15.05.2024.