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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Russische Gastfreundschaft in itranskaspiett

Oft läßt es seine Launen in schweren Stürmen aus, die schon weniger see¬
tüchtige Fahrzeuge zum Scheitern gebracht haben und solchen ehrwürdigen
Kasten, wie unserm Dampfer, gefährlich werden können. Ziemlich oft den
Kurs ändernd wand sich dieser nunmehr durch das schlecht und recht bezeichnete
Fahrwasser der Einfahrt und steuerte dann auf Krasnowodsk, das nach scharfer
Linkswendung im Hintergrunde der Murawjoffbucht unter den 240 Meter an¬
steigenden Felsboden des Kuba-Dagh auftauchte und natürlich sogleich photo¬
graphiert wurde. Leider aber zu früh, denn die erste Aufnahme zeigt uns
einen wesenlosen dunkeln Streifen mit ein paar Hellem Punkten.

Krasnowodsk ist in einer Beziehung das Gegenteil von Baku: eine
künstliche staatliche Schöpfung jüngern Datums,*) hervorgegangen aus der
Notwendigkeit, einen möglichst eisfreien, die Schiffahrt begünstigenden Hafen
zu gewinnen; sie wurde durch staatliche Fürsorge weiter entwickelt, als der
Versuch, die tiefer ins Land greifenden Buchten als Häfen auszubauen, einen
unzweifelhaften Mißerfolg gezeitigt hatte. Die Witterung, die erbarmungslose
Sommersonnenglut und Schwüle und die Armut der Vegetation zeigen aber kaum
Unterschiede gegen die Zustünde in Baku; den paar dürftigen Bäumen und
Büschen im städtischen Miniaturgarten vor dem Kasino sah man wirklich an,
wie wenig sie sich auf den Sommer freuten. Auch in der Raumverschwendung
der breiten Straßen sind die beiden Städte gleich, und die Bevölkerung (im
Jahre 1901 6443 Seelen) ist in Krasnowodsk annähernd ähnlich gemischt
wie in Baku und mit unruhigen Bewohnern von der andern Seite des Kaspi-
sees vermischt. Eine Blütenlese fragwürdiger Gestalten zierte das Geländer
der Dampferanlegestelle; die Leute drängten sich keineswegs zur Arbeit und
zur Tätigkeit für die Ankömmlinge, sie sind sicher bei dem Pulses beteiligt
gewesen, der im Laufe des vorigen Sommers versucht worden ist.

Für das religiöse Bedürfnis der Bewohner ist durch drei orthodoxe und
eine armenisch-gregorianische Kirche, eine Schiitenmoschee und ein jüdisches
Bethaus ausgiebig gesorgt. Öffentliche Gebäude und Kondore der Handels¬
und Transportgesellschaften geben Zeugnis von der Entstehung und der Be¬
deutung der Stadt. Viel Raum nimmt der Anfangsbahnhof der Transkaspischen
Eisenbahn ein, die zwei Geleise zu dem Staatspier entsendet und für Um¬
ladung von Massengütern noch einer zweiten Abfertigungsstelle in einer Ent¬
fernung von acht Kilometern an der Ufrinskajabucht bedurft hat. Das
Stationsgebäude liegt malerisch auf einer etwas vorspringenden Felsplatte,
durch seinen gefülligen maurischen Stil und die breite Terrasse mit Freitreppen
zum Bahnsteig herab ist es eine Zierde der Stadt geworden. Zum Bahnhof
gehören die Gebäude für die erste Kompagnie des ersten transkaspischen Eisen-



Das heutige Krasnowodsk ist im Jahre 1869 durch Stoljetoff als kleine Festung ge¬
gründet worden und hat sich erst seit 1895 nach Verlegung des Eisenbahnanfangspunkts von
Usur-Ada zur Stadt auszuwachsen begonnen.
Russische Gastfreundschaft in itranskaspiett

Oft läßt es seine Launen in schweren Stürmen aus, die schon weniger see¬
tüchtige Fahrzeuge zum Scheitern gebracht haben und solchen ehrwürdigen
Kasten, wie unserm Dampfer, gefährlich werden können. Ziemlich oft den
Kurs ändernd wand sich dieser nunmehr durch das schlecht und recht bezeichnete
Fahrwasser der Einfahrt und steuerte dann auf Krasnowodsk, das nach scharfer
Linkswendung im Hintergrunde der Murawjoffbucht unter den 240 Meter an¬
steigenden Felsboden des Kuba-Dagh auftauchte und natürlich sogleich photo¬
graphiert wurde. Leider aber zu früh, denn die erste Aufnahme zeigt uns
einen wesenlosen dunkeln Streifen mit ein paar Hellem Punkten.

Krasnowodsk ist in einer Beziehung das Gegenteil von Baku: eine
künstliche staatliche Schöpfung jüngern Datums,*) hervorgegangen aus der
Notwendigkeit, einen möglichst eisfreien, die Schiffahrt begünstigenden Hafen
zu gewinnen; sie wurde durch staatliche Fürsorge weiter entwickelt, als der
Versuch, die tiefer ins Land greifenden Buchten als Häfen auszubauen, einen
unzweifelhaften Mißerfolg gezeitigt hatte. Die Witterung, die erbarmungslose
Sommersonnenglut und Schwüle und die Armut der Vegetation zeigen aber kaum
Unterschiede gegen die Zustünde in Baku; den paar dürftigen Bäumen und
Büschen im städtischen Miniaturgarten vor dem Kasino sah man wirklich an,
wie wenig sie sich auf den Sommer freuten. Auch in der Raumverschwendung
der breiten Straßen sind die beiden Städte gleich, und die Bevölkerung (im
Jahre 1901 6443 Seelen) ist in Krasnowodsk annähernd ähnlich gemischt
wie in Baku und mit unruhigen Bewohnern von der andern Seite des Kaspi-
sees vermischt. Eine Blütenlese fragwürdiger Gestalten zierte das Geländer
der Dampferanlegestelle; die Leute drängten sich keineswegs zur Arbeit und
zur Tätigkeit für die Ankömmlinge, sie sind sicher bei dem Pulses beteiligt
gewesen, der im Laufe des vorigen Sommers versucht worden ist.

Für das religiöse Bedürfnis der Bewohner ist durch drei orthodoxe und
eine armenisch-gregorianische Kirche, eine Schiitenmoschee und ein jüdisches
Bethaus ausgiebig gesorgt. Öffentliche Gebäude und Kondore der Handels¬
und Transportgesellschaften geben Zeugnis von der Entstehung und der Be¬
deutung der Stadt. Viel Raum nimmt der Anfangsbahnhof der Transkaspischen
Eisenbahn ein, die zwei Geleise zu dem Staatspier entsendet und für Um¬
ladung von Massengütern noch einer zweiten Abfertigungsstelle in einer Ent¬
fernung von acht Kilometern an der Ufrinskajabucht bedurft hat. Das
Stationsgebäude liegt malerisch auf einer etwas vorspringenden Felsplatte,
durch seinen gefülligen maurischen Stil und die breite Terrasse mit Freitreppen
zum Bahnsteig herab ist es eine Zierde der Stadt geworden. Zum Bahnhof
gehören die Gebäude für die erste Kompagnie des ersten transkaspischen Eisen-



Das heutige Krasnowodsk ist im Jahre 1869 durch Stoljetoff als kleine Festung ge¬
gründet worden und hat sich erst seit 1895 nach Verlegung des Eisenbahnanfangspunkts von
Usur-Ada zur Stadt auszuwachsen begonnen.
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[0424] Russische Gastfreundschaft in itranskaspiett Oft läßt es seine Launen in schweren Stürmen aus, die schon weniger see¬ tüchtige Fahrzeuge zum Scheitern gebracht haben und solchen ehrwürdigen Kasten, wie unserm Dampfer, gefährlich werden können. Ziemlich oft den Kurs ändernd wand sich dieser nunmehr durch das schlecht und recht bezeichnete Fahrwasser der Einfahrt und steuerte dann auf Krasnowodsk, das nach scharfer Linkswendung im Hintergrunde der Murawjoffbucht unter den 240 Meter an¬ steigenden Felsboden des Kuba-Dagh auftauchte und natürlich sogleich photo¬ graphiert wurde. Leider aber zu früh, denn die erste Aufnahme zeigt uns einen wesenlosen dunkeln Streifen mit ein paar Hellem Punkten. Krasnowodsk ist in einer Beziehung das Gegenteil von Baku: eine künstliche staatliche Schöpfung jüngern Datums,*) hervorgegangen aus der Notwendigkeit, einen möglichst eisfreien, die Schiffahrt begünstigenden Hafen zu gewinnen; sie wurde durch staatliche Fürsorge weiter entwickelt, als der Versuch, die tiefer ins Land greifenden Buchten als Häfen auszubauen, einen unzweifelhaften Mißerfolg gezeitigt hatte. Die Witterung, die erbarmungslose Sommersonnenglut und Schwüle und die Armut der Vegetation zeigen aber kaum Unterschiede gegen die Zustünde in Baku; den paar dürftigen Bäumen und Büschen im städtischen Miniaturgarten vor dem Kasino sah man wirklich an, wie wenig sie sich auf den Sommer freuten. Auch in der Raumverschwendung der breiten Straßen sind die beiden Städte gleich, und die Bevölkerung (im Jahre 1901 6443 Seelen) ist in Krasnowodsk annähernd ähnlich gemischt wie in Baku und mit unruhigen Bewohnern von der andern Seite des Kaspi- sees vermischt. Eine Blütenlese fragwürdiger Gestalten zierte das Geländer der Dampferanlegestelle; die Leute drängten sich keineswegs zur Arbeit und zur Tätigkeit für die Ankömmlinge, sie sind sicher bei dem Pulses beteiligt gewesen, der im Laufe des vorigen Sommers versucht worden ist. Für das religiöse Bedürfnis der Bewohner ist durch drei orthodoxe und eine armenisch-gregorianische Kirche, eine Schiitenmoschee und ein jüdisches Bethaus ausgiebig gesorgt. Öffentliche Gebäude und Kondore der Handels¬ und Transportgesellschaften geben Zeugnis von der Entstehung und der Be¬ deutung der Stadt. Viel Raum nimmt der Anfangsbahnhof der Transkaspischen Eisenbahn ein, die zwei Geleise zu dem Staatspier entsendet und für Um¬ ladung von Massengütern noch einer zweiten Abfertigungsstelle in einer Ent¬ fernung von acht Kilometern an der Ufrinskajabucht bedurft hat. Das Stationsgebäude liegt malerisch auf einer etwas vorspringenden Felsplatte, durch seinen gefülligen maurischen Stil und die breite Terrasse mit Freitreppen zum Bahnsteig herab ist es eine Zierde der Stadt geworden. Zum Bahnhof gehören die Gebäude für die erste Kompagnie des ersten transkaspischen Eisen- Das heutige Krasnowodsk ist im Jahre 1869 durch Stoljetoff als kleine Festung ge¬ gründet worden und hat sich erst seit 1895 nach Verlegung des Eisenbahnanfangspunkts von Usur-Ada zur Stadt auszuwachsen begonnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/424>, abgerufen am 16.05.2024.