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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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schrecken, über dieses von der Natur so stiefmütterlich behandelte Kassubcnland
eine größere Anzahl deutscher Siedlungen zu verteilen.

Bauern aus Sachsen und aus Schwaben wird man in diese Gegend nicht
versetzen wollen. Das Menschenmaterial für diese neuen Kolonien muß den hinter-
pommerschen Gegenden entnommen werden, wo Boden- und Lebensverhältnisse
dieselben sind wie hier, aus der Gegend von Kallies, Bublitz und dem Süden
des Neustettiner Kreises. Es ist übrigens eine ganz irrige Ansicht, daß auf
sandiger Erdscholle nur die Armut ein Heimatrecht hat. Daß auch auf sandigem
Boden Wohlstand herrschen kann, das beweisen die schmucken Dörfer der bel¬
gischen Campine, der schleswigschen Geest, der Lüneburger Heide. Auch die
Mehrzahl der kassubischen Bauern von der pommerschen Grenze lebt durchaus
nicht in armseligen Verhältnissen. Nach einer Düngung mit Lupinen oder
Torf gedeiht bei ihnen in den meisten Feldmarken der Winterroggen ganz leid¬
lich, und die Kartoffel gibt zwar keinen hohen Ertrag, wird aber als Brenncrei-
und Spcisekartoffcl wegen ihres hohen Stärkegehalts gut bezahlt. An Stelle
der Rindviehzucht hat hier wegen der ausgedehnten gesunden, trocknen Weiden
die Schafhaltung ihren Platz, auch Truthühner und Gänse werde" hier in
großen Mengen aufgezogen, und Nebenverdienst bieten dem kassubischen Bauern
an vielen Orten die Fischerei, die Bienenzucht, der Torfverkauf und in der
Nähe eines königlichen Forstes die Holzfuhren.

Allerdings gibt es einige kleinere Bezirke in der kassnbischen Sandrcgivn,
wo Wiesen ganz fehlen, und der Ackerboden durchweg aus losem Sand besteht,
anch wohl der Untergrund eisenschüssigen Kies enthält. Diese trostlosen Wüsten,
die selbstverständlich für die Ansiedlung deutscher Bauern nicht in Frage kommen,
liegen hauptsächlich im Schlochcmer, Konitzer und Bereuter Kreise, dort, wo
diese mit dem pommerschen Kreise Bülow zusammenstoßen.

Es bleibt noch die Frage zu beantworten, in welchem Umfange die Ge-
samttntigkeit der Ansiedlungskommission ihren Fortgang nehmen muß, und welche
Aufwendungen in Zukunft noch zu machen sein werden, wenn man im gesamten
Umfang der Ansiedlungsprovinzen einerseits den Verlusten von Grund und Boden
an die polnische Hand ein Ende machen und andrerseits verhindern will, das;
sich das Stärkeverhültnis der beiden Nationalitäten noch weiter zuungunsten der
Deutschen verschiebt.

In bezug auf den Übergang von Grund und Boden aus deutscher in
polnische Hand haben wir kein vollständiges statistisches Material. Wir wissen
nur, daß die preußische Regierung noch im Jahre 1902 den Verlust auf deutscher
Seite auf 3^ Quadratmeilen in einem fünfjährigen Zeitraum berechnete, und
daß erst in den letzten Jahren, seitdem die Ansiedlungskommission für den An¬
kauf von großen und kleinen Grundstücken vierzig Millionen Mark jährlich aus¬
gibt, der Landverlust an die Polen aufgehört hat. Ähnlich wie mit der Statistik
über die Veränderungen im Grundbesitz steht es mit der Feststellung der
Sprachenverhältnisse in Westpreußen und Posen. Wir sind nur auf wenige


schrecken, über dieses von der Natur so stiefmütterlich behandelte Kassubcnland
eine größere Anzahl deutscher Siedlungen zu verteilen.

Bauern aus Sachsen und aus Schwaben wird man in diese Gegend nicht
versetzen wollen. Das Menschenmaterial für diese neuen Kolonien muß den hinter-
pommerschen Gegenden entnommen werden, wo Boden- und Lebensverhältnisse
dieselben sind wie hier, aus der Gegend von Kallies, Bublitz und dem Süden
des Neustettiner Kreises. Es ist übrigens eine ganz irrige Ansicht, daß auf
sandiger Erdscholle nur die Armut ein Heimatrecht hat. Daß auch auf sandigem
Boden Wohlstand herrschen kann, das beweisen die schmucken Dörfer der bel¬
gischen Campine, der schleswigschen Geest, der Lüneburger Heide. Auch die
Mehrzahl der kassubischen Bauern von der pommerschen Grenze lebt durchaus
nicht in armseligen Verhältnissen. Nach einer Düngung mit Lupinen oder
Torf gedeiht bei ihnen in den meisten Feldmarken der Winterroggen ganz leid¬
lich, und die Kartoffel gibt zwar keinen hohen Ertrag, wird aber als Brenncrei-
und Spcisekartoffcl wegen ihres hohen Stärkegehalts gut bezahlt. An Stelle
der Rindviehzucht hat hier wegen der ausgedehnten gesunden, trocknen Weiden
die Schafhaltung ihren Platz, auch Truthühner und Gänse werde» hier in
großen Mengen aufgezogen, und Nebenverdienst bieten dem kassubischen Bauern
an vielen Orten die Fischerei, die Bienenzucht, der Torfverkauf und in der
Nähe eines königlichen Forstes die Holzfuhren.

Allerdings gibt es einige kleinere Bezirke in der kassnbischen Sandrcgivn,
wo Wiesen ganz fehlen, und der Ackerboden durchweg aus losem Sand besteht,
anch wohl der Untergrund eisenschüssigen Kies enthält. Diese trostlosen Wüsten,
die selbstverständlich für die Ansiedlung deutscher Bauern nicht in Frage kommen,
liegen hauptsächlich im Schlochcmer, Konitzer und Bereuter Kreise, dort, wo
diese mit dem pommerschen Kreise Bülow zusammenstoßen.

Es bleibt noch die Frage zu beantworten, in welchem Umfange die Ge-
samttntigkeit der Ansiedlungskommission ihren Fortgang nehmen muß, und welche
Aufwendungen in Zukunft noch zu machen sein werden, wenn man im gesamten
Umfang der Ansiedlungsprovinzen einerseits den Verlusten von Grund und Boden
an die polnische Hand ein Ende machen und andrerseits verhindern will, das;
sich das Stärkeverhültnis der beiden Nationalitäten noch weiter zuungunsten der
Deutschen verschiebt.

In bezug auf den Übergang von Grund und Boden aus deutscher in
polnische Hand haben wir kein vollständiges statistisches Material. Wir wissen
nur, daß die preußische Regierung noch im Jahre 1902 den Verlust auf deutscher
Seite auf 3^ Quadratmeilen in einem fünfjährigen Zeitraum berechnete, und
daß erst in den letzten Jahren, seitdem die Ansiedlungskommission für den An¬
kauf von großen und kleinen Grundstücken vierzig Millionen Mark jährlich aus¬
gibt, der Landverlust an die Polen aufgehört hat. Ähnlich wie mit der Statistik
über die Veränderungen im Grundbesitz steht es mit der Feststellung der
Sprachenverhältnisse in Westpreußen und Posen. Wir sind nur auf wenige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/522>, abgerufen am 15.05.2024.