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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Liebesbriefe

in dem Herzensbunde mit der jungen Marianne Niemeyer*) neben der ganzen
Glut des Liebenden doch auch etwas von der uneigennützigen Zärtlichkeit des
Vaters. Er charakterisiert seine Liebe als eine einfache, offne, fromme, als
eine Liebe, die das Herz ruhig, sicher und stark macht.

Grillparzers wunderliches Verhältnis zu seiner "ewigen" Braut Katha¬
rina Fröhlich hat Berücksichtigung gefunden, ebenso das leidenschaftliche Liebes¬
leben des unglücklichen Lenau; Anzengruber reiht sich mit einem erfolglos
gebliebner Werbeschreiben an. Die frischen Bismarckbriefe sind gut ausge¬
wählt, auch ist es mit Freude zu begrüßen, daß Zeidler einen der größten
Briefschreiber der Neuzeit, Theodor Fontane, nicht übergangen hat, obwohl
wir eigentliche Liebesbriefe von ihm nicht haben. Aus der merkwürdigen
Korrespondenz zwischen Annette von Droste und Levin Schücking dagegen
hätten charakteristischere Proben gegeben werden können.

Zu den bedeutendsten Briefen des Buches rechne ich die Hebbelschen.
Gewaltig greifen seine an Elise Lensing gerichteten Worte ans Herz. Wenige
haben die Einheit von Mann und Weib, die Heinrich Stieglitz nach der
Brautnacht in die Worte kleidet: "Nicht mehr Du dann, wie Ich nicht Ich
mehr. Du bist Ich und Ich bin Du, und eins im andern ewig" so tief
empfunden wie er. Von keinem Dichter der Welt will er als Dichter das
Geringste entlehnen, nur von Elise, deren Briefe so voll von stammelnder
Poesie sind, daß er einer Dichterseele ins Auge zu schauen glaubt: "Deine
Edelsteine und Kleinodien werde ich immer gern, ja mit Stolz, in das Gold
meiner Form fassen, und warum? weil Du durchaus zu meinem Wesen gehörst,
weil zwischen uns gar keine Gränzen bestehen." Und vor seiner Gattin
Christine begründet Hebbel den Umstand, daß er so selten ein Gedicht auf sie
schreibe, mit den Worten: "Auch habe ich persönlich ein Gefühl dabei, als
ob ich ans mich selbst dichtete."

Richard Wagner, der Schöpfer einer unsrer erhabensten Liebestragödien,
des "Tristan", kommt schließlich mit einzelnen Briefen an Mathilde Weseu-
donck zu Worte.

Nicht alle der in Zcitlers Sammlung vertretnen Korrespondenten und
Korrespondentinnen sind von mir genannt worden. Sie haben auch keines¬
wegs alle ein es-lent "ZpiLwIairs, nicht einmal alle wissen etwas Persönliches
Zu sagen, und man wird mit dem Herausgeber über die Aufnahme dieses und
das Fehlen jenes Stückes rechten können, ohne deshalb sein Verdienst zu
verkleinern. Für die ersten Jahrhunderte schloß sich Zeidler bei der Auswahl
einem so bewährten Führer wie Steinhausen (Geschichte des deutschen Briefs)
an, wurde aber immer selbständiger, je mehr er sich der Gegenwart näherte.
Wir bewundern seinen Fleiß, seine Belesenheit und sind der Ansicht, daß dem
gegenüber einzelne Irrtümer und schiefe Urteile in dem erläuternden Anhang



Den Familiennamen verschweigt Zeidler ohne Grund.
Deutsche Liebesbriefe

in dem Herzensbunde mit der jungen Marianne Niemeyer*) neben der ganzen
Glut des Liebenden doch auch etwas von der uneigennützigen Zärtlichkeit des
Vaters. Er charakterisiert seine Liebe als eine einfache, offne, fromme, als
eine Liebe, die das Herz ruhig, sicher und stark macht.

Grillparzers wunderliches Verhältnis zu seiner „ewigen" Braut Katha¬
rina Fröhlich hat Berücksichtigung gefunden, ebenso das leidenschaftliche Liebes¬
leben des unglücklichen Lenau; Anzengruber reiht sich mit einem erfolglos
gebliebner Werbeschreiben an. Die frischen Bismarckbriefe sind gut ausge¬
wählt, auch ist es mit Freude zu begrüßen, daß Zeidler einen der größten
Briefschreiber der Neuzeit, Theodor Fontane, nicht übergangen hat, obwohl
wir eigentliche Liebesbriefe von ihm nicht haben. Aus der merkwürdigen
Korrespondenz zwischen Annette von Droste und Levin Schücking dagegen
hätten charakteristischere Proben gegeben werden können.

Zu den bedeutendsten Briefen des Buches rechne ich die Hebbelschen.
Gewaltig greifen seine an Elise Lensing gerichteten Worte ans Herz. Wenige
haben die Einheit von Mann und Weib, die Heinrich Stieglitz nach der
Brautnacht in die Worte kleidet: „Nicht mehr Du dann, wie Ich nicht Ich
mehr. Du bist Ich und Ich bin Du, und eins im andern ewig" so tief
empfunden wie er. Von keinem Dichter der Welt will er als Dichter das
Geringste entlehnen, nur von Elise, deren Briefe so voll von stammelnder
Poesie sind, daß er einer Dichterseele ins Auge zu schauen glaubt: „Deine
Edelsteine und Kleinodien werde ich immer gern, ja mit Stolz, in das Gold
meiner Form fassen, und warum? weil Du durchaus zu meinem Wesen gehörst,
weil zwischen uns gar keine Gränzen bestehen." Und vor seiner Gattin
Christine begründet Hebbel den Umstand, daß er so selten ein Gedicht auf sie
schreibe, mit den Worten: „Auch habe ich persönlich ein Gefühl dabei, als
ob ich ans mich selbst dichtete."

Richard Wagner, der Schöpfer einer unsrer erhabensten Liebestragödien,
des „Tristan", kommt schließlich mit einzelnen Briefen an Mathilde Weseu-
donck zu Worte.

Nicht alle der in Zcitlers Sammlung vertretnen Korrespondenten und
Korrespondentinnen sind von mir genannt worden. Sie haben auch keines¬
wegs alle ein es-lent «ZpiLwIairs, nicht einmal alle wissen etwas Persönliches
Zu sagen, und man wird mit dem Herausgeber über die Aufnahme dieses und
das Fehlen jenes Stückes rechten können, ohne deshalb sein Verdienst zu
verkleinern. Für die ersten Jahrhunderte schloß sich Zeidler bei der Auswahl
einem so bewährten Führer wie Steinhausen (Geschichte des deutschen Briefs)
an, wurde aber immer selbständiger, je mehr er sich der Gegenwart näherte.
Wir bewundern seinen Fleiß, seine Belesenheit und sind der Ansicht, daß dem
gegenüber einzelne Irrtümer und schiefe Urteile in dem erläuternden Anhang



Den Familiennamen verschweigt Zeidler ohne Grund.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/543>, abgerufen am 16.05.2024.