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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

("Aus der südlichen Oberlausitz"), meinem ersten journalistischen Versuch, zu
schildern, den ich an die Nationalzeitung schickte, aber niemals besessen habe,
weil es die Redaktion nicht der Mühe wert hielt, mir ein Exemplar der
Nummer (345) zu senden. Der Krieg wurde somit eine praktische Schule für
die gegenseitige Kenntnis der deutschen Stämme, die mehr wirkte als die
schönsten Reden und tausend Zeitungsartikel.

Allmählich wurde die nächste Zukunft lichter. Am 25. Juli kam die
Nachricht vom Abschluß einer fünftägigen Waffenruhe (vom 22. an). Freilich
schien die Ankunft mehrerer Trains schwerer Belagerungsgeschütze damit in
Widerspruch zu stehn; wenigstens machten sie klar, daß die Preußen auch zur
Fortsetzung des Krieges, zum Angriff auf Josephstadt und Königgrätz, die sie
ja unbezwungen im Rücken gelassen hatten, entschlossen seien, falls inzwischen
nicht sichere Grundlagen für den Frieden gefunden würden, doch blieben die
Geschütze auf ihren Wagen am Bahnhof stehn und gingen nach wenig Tagen
wieder rückwärts, denn am 26. Juli kam der Präliminarfriede von Nikolsburg
zustande -- wir ahnten damals nicht, unter welchen schweren Kämpfen --, dessen
Bedingungen uns der Telegraph am 29. meldete. Also war der unverkürzte
Bestand Sachsens zugestanden, sein Eintritt in den Norddeutschen Bund vor¬
gesehen. Daß der Friede nun ganz bestimmt bevorstehe, das versicherte auf
unserm Bahnhofe kein Geringerer als der Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-
Gothci, der am 31. Juli vom Hauptquartier des Kronprinzen zurückkehrte, ein
stattlicher, breitschultriger Herr in der ihm durchaus gemäßen blauen Interims-
uniform feines preußischen Kürassierregiments. Am 4. August kam König
Wilhelm selbst auf der Durchreise von Prag nach Berlin zur Eröffnung des
Landtags (5. August) durch Zittau. Genau fünf Wochen vorher hatten wir
ihn an uns vorüberfahren sehen der schweren Entscheidung entgegen; jetzt
war sie unwiderruflich gefallen, und er kam als Sieger, als der künftige
Oberherr des Norddeutschen Bundes, also auch als der künftige Bundesgenosse
unsers eignen Königs. Zu Hunderten waren wieder die Zittauer hinauf¬
geströmt und erfüllten den Bahnhof, der auch diesmal nicht abgesperrt war;
nur ein Kommando Landwehr und die dienstfreien Offiziere unsrer Garnison
nahmen einen Teil des Bahnsteigs ein, dazu waren die Vertreter der Stadt
erschienen. Um zweiundeinhalb Uhr fuhr der lange Hofzug ein, die beiden
Maschinen und die meisten Wagen mit Laubgewinden und preußischen Fahnen
geschmückt. Der König stieg diesmal nicht aus, sondern unterhielt sich vom
Wagen aus mit den Herren, die ihn begrüßten; bei ihm war der Kronprinz,
dessen männliche Schönheit und freundliches Wesen auf alle den allerbesten
Eindruck machte. Bismarck stieg aus, und er schien in sehr heitrer Stimmung --
was lag alles hinter ihm! Roon zeigte sich auf dem Perron seines Salon¬
wagens. Das waren also die Männer, die das deutsche Volk zur Einheit
führten halb wider seinen Willen! Vier Jahre später waren sie die Helden
der ganzen Nation.


vor vierzig Jahren

(„Aus der südlichen Oberlausitz"), meinem ersten journalistischen Versuch, zu
schildern, den ich an die Nationalzeitung schickte, aber niemals besessen habe,
weil es die Redaktion nicht der Mühe wert hielt, mir ein Exemplar der
Nummer (345) zu senden. Der Krieg wurde somit eine praktische Schule für
die gegenseitige Kenntnis der deutschen Stämme, die mehr wirkte als die
schönsten Reden und tausend Zeitungsartikel.

Allmählich wurde die nächste Zukunft lichter. Am 25. Juli kam die
Nachricht vom Abschluß einer fünftägigen Waffenruhe (vom 22. an). Freilich
schien die Ankunft mehrerer Trains schwerer Belagerungsgeschütze damit in
Widerspruch zu stehn; wenigstens machten sie klar, daß die Preußen auch zur
Fortsetzung des Krieges, zum Angriff auf Josephstadt und Königgrätz, die sie
ja unbezwungen im Rücken gelassen hatten, entschlossen seien, falls inzwischen
nicht sichere Grundlagen für den Frieden gefunden würden, doch blieben die
Geschütze auf ihren Wagen am Bahnhof stehn und gingen nach wenig Tagen
wieder rückwärts, denn am 26. Juli kam der Präliminarfriede von Nikolsburg
zustande — wir ahnten damals nicht, unter welchen schweren Kämpfen —, dessen
Bedingungen uns der Telegraph am 29. meldete. Also war der unverkürzte
Bestand Sachsens zugestanden, sein Eintritt in den Norddeutschen Bund vor¬
gesehen. Daß der Friede nun ganz bestimmt bevorstehe, das versicherte auf
unserm Bahnhofe kein Geringerer als der Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-
Gothci, der am 31. Juli vom Hauptquartier des Kronprinzen zurückkehrte, ein
stattlicher, breitschultriger Herr in der ihm durchaus gemäßen blauen Interims-
uniform feines preußischen Kürassierregiments. Am 4. August kam König
Wilhelm selbst auf der Durchreise von Prag nach Berlin zur Eröffnung des
Landtags (5. August) durch Zittau. Genau fünf Wochen vorher hatten wir
ihn an uns vorüberfahren sehen der schweren Entscheidung entgegen; jetzt
war sie unwiderruflich gefallen, und er kam als Sieger, als der künftige
Oberherr des Norddeutschen Bundes, also auch als der künftige Bundesgenosse
unsers eignen Königs. Zu Hunderten waren wieder die Zittauer hinauf¬
geströmt und erfüllten den Bahnhof, der auch diesmal nicht abgesperrt war;
nur ein Kommando Landwehr und die dienstfreien Offiziere unsrer Garnison
nahmen einen Teil des Bahnsteigs ein, dazu waren die Vertreter der Stadt
erschienen. Um zweiundeinhalb Uhr fuhr der lange Hofzug ein, die beiden
Maschinen und die meisten Wagen mit Laubgewinden und preußischen Fahnen
geschmückt. Der König stieg diesmal nicht aus, sondern unterhielt sich vom
Wagen aus mit den Herren, die ihn begrüßten; bei ihm war der Kronprinz,
dessen männliche Schönheit und freundliches Wesen auf alle den allerbesten
Eindruck machte. Bismarck stieg aus, und er schien in sehr heitrer Stimmung —
was lag alles hinter ihm! Roon zeigte sich auf dem Perron seines Salon¬
wagens. Das waren also die Männer, die das deutsche Volk zur Einheit
führten halb wider seinen Willen! Vier Jahre später waren sie die Helden
der ganzen Nation.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/601>, abgerufen am 16.05.2024.