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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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vorschlug, erhob sich ein Jammergeschrei, daß der unparteiische ausländische
Beobachter denken mußte, der Deutsche trage statt des Herzens einen Tabak¬
beutel im Brustkasten. Die Grenzboten haben uns vor einigen Jahren das
Beispiel der alten Holländer vorgehalten, die sich mit freudigem Stolz der
Summen rühmten, die sie bei jeder Mahlzeit dem Vaterlande steuerten. Auch
das hat nichts genutzt, und der Reichsstaatssekretär des Reichsschatzamts gleicht
immer noch dem Mann am Katzenklavier. Dieses hat irgendwo und irgend¬
wann einmal ein Schmarotzer zur Erheiterung eines reichen Hypochonders er¬
funden. Die Katzen wurden in einer Reihe auf ein Brett gesetzt, und beim
Niederdrücken jeder Taste stach eine Nadel die mit dieser Taste verbundne Katze
in den Schwanz. Bei der letzten Steuerreform war die Katzenfuge so er¬
greifend, daß Adolf Wagner in den Lärm hineinrief: "Man möchte verzweifeln
am deutschen Volke und am neuen Deutschen Reiche, wenn man dieses Ge¬
jammer und Gestöhne Hort." Patriot will ja jeder sein, aber soweit der
Patriotismus etwas kostet, nur auf Kosten andrer Leute. Nun hat der Staats¬
sekretär Freiherr von Stengel die erste Lesung des Neichshaushaltsetats am
25. Februar mit der Erklärung eröffnet: "Wir wissen in der Tat nicht, wie
der Reichshaushalt weiterhin auch uur in halbwegs geordneten Bahnen ge¬
führt werden soll, wenn nicht auf Deckung des großen Defizits hingewirkt
wird. . . . Unter solchen Verhältnissen lag der Gedanke für die verbündeten
Regierungen nahe, zu erwägen, ob sie nicht schon jetzt mit neuen Steuervor¬
lagen hervortreten sollten. . . . Vorerst" jedoch wollen die Verbündeten Re?
gierungen davon absehen. Wir werden also zwar nicht vorerst, aber nächstens
das Katzenkonzert wieder zu hören bekommen.

Männer uun, die sich auf die Zuhörerrolle nicht beschränken, sondern ur¬
teilen wollen oder in irgendeiner Weise ein den Aufgaben mitarbeiten müssen,
die das Reichsfinanzwesen stellt, finden in dem kleinen Buche von Liuschmanu
eine gute Vorbereitung. Es legt den Finanzbedarf des Reiches dar, erzählt
kurz die Geschichte der Neichsfinanzen und dann ausführlich die der Steuer¬
reform von 1906, entwickelt den Gesamtsteuerplan und jede einzelne Vorlage
sowie deren Begründung, berichtet über die Aufnahme dieser Vorlagen in der
Wissenschaft, in der Presse, im Reichstage, über Kommissionsberatungen, die
Lesungen im Plenum und die Entscheidung. Der für die Burscheuschaftliche
Bücherei veranstaltete Auszug aus der ausführlichen Darstellung schließt mit
einer kurzen Zusammenfassung des Ergebnisses. "So hatte die Regierung trotz
der scharfen Opposition der Linken ein hübsches Steuerbündel erhalten, dessen
Ertrag im Beharrungszustande wie folgt berechnet wurde: Mehrertrag der
Vrausteuer 29, Zigarettensteuer 14, Mehrertrag von Frachturkunden 14, Per¬
sonenfahrkarten 50, Erlaubniskarten für Kraftfahrzeuge 3, Tantiemensteuer 10,
Reichsanteil der Erbschaftssteuer 48, Mehrertrag der Postgebühren 12, zu¬
sammen 180 Millionen Mark. Diese Steuerzubilligung an das Reich war
die stärkste, die bisher in dessen Finanzgeschichte dagewesen war. Im Jahre 1887


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vorschlug, erhob sich ein Jammergeschrei, daß der unparteiische ausländische
Beobachter denken mußte, der Deutsche trage statt des Herzens einen Tabak¬
beutel im Brustkasten. Die Grenzboten haben uns vor einigen Jahren das
Beispiel der alten Holländer vorgehalten, die sich mit freudigem Stolz der
Summen rühmten, die sie bei jeder Mahlzeit dem Vaterlande steuerten. Auch
das hat nichts genutzt, und der Reichsstaatssekretär des Reichsschatzamts gleicht
immer noch dem Mann am Katzenklavier. Dieses hat irgendwo und irgend¬
wann einmal ein Schmarotzer zur Erheiterung eines reichen Hypochonders er¬
funden. Die Katzen wurden in einer Reihe auf ein Brett gesetzt, und beim
Niederdrücken jeder Taste stach eine Nadel die mit dieser Taste verbundne Katze
in den Schwanz. Bei der letzten Steuerreform war die Katzenfuge so er¬
greifend, daß Adolf Wagner in den Lärm hineinrief: „Man möchte verzweifeln
am deutschen Volke und am neuen Deutschen Reiche, wenn man dieses Ge¬
jammer und Gestöhne Hort." Patriot will ja jeder sein, aber soweit der
Patriotismus etwas kostet, nur auf Kosten andrer Leute. Nun hat der Staats¬
sekretär Freiherr von Stengel die erste Lesung des Neichshaushaltsetats am
25. Februar mit der Erklärung eröffnet: „Wir wissen in der Tat nicht, wie
der Reichshaushalt weiterhin auch uur in halbwegs geordneten Bahnen ge¬
führt werden soll, wenn nicht auf Deckung des großen Defizits hingewirkt
wird. . . . Unter solchen Verhältnissen lag der Gedanke für die verbündeten
Regierungen nahe, zu erwägen, ob sie nicht schon jetzt mit neuen Steuervor¬
lagen hervortreten sollten. . . . Vorerst" jedoch wollen die Verbündeten Re?
gierungen davon absehen. Wir werden also zwar nicht vorerst, aber nächstens
das Katzenkonzert wieder zu hören bekommen.

Männer uun, die sich auf die Zuhörerrolle nicht beschränken, sondern ur¬
teilen wollen oder in irgendeiner Weise ein den Aufgaben mitarbeiten müssen,
die das Reichsfinanzwesen stellt, finden in dem kleinen Buche von Liuschmanu
eine gute Vorbereitung. Es legt den Finanzbedarf des Reiches dar, erzählt
kurz die Geschichte der Neichsfinanzen und dann ausführlich die der Steuer¬
reform von 1906, entwickelt den Gesamtsteuerplan und jede einzelne Vorlage
sowie deren Begründung, berichtet über die Aufnahme dieser Vorlagen in der
Wissenschaft, in der Presse, im Reichstage, über Kommissionsberatungen, die
Lesungen im Plenum und die Entscheidung. Der für die Burscheuschaftliche
Bücherei veranstaltete Auszug aus der ausführlichen Darstellung schließt mit
einer kurzen Zusammenfassung des Ergebnisses. „So hatte die Regierung trotz
der scharfen Opposition der Linken ein hübsches Steuerbündel erhalten, dessen
Ertrag im Beharrungszustande wie folgt berechnet wurde: Mehrertrag der
Vrausteuer 29, Zigarettensteuer 14, Mehrertrag von Frachturkunden 14, Per¬
sonenfahrkarten 50, Erlaubniskarten für Kraftfahrzeuge 3, Tantiemensteuer 10,
Reichsanteil der Erbschaftssteuer 48, Mehrertrag der Postgebühren 12, zu¬
sammen 180 Millionen Mark. Diese Steuerzubilligung an das Reich war
die stärkste, die bisher in dessen Finanzgeschichte dagewesen war. Im Jahre 1887


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/180>, abgerufen am 20.05.2024.