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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Beziehungen der ägyptischen Nationalpartei zu Frankreich

Weisen. Es soll hier über die mit großer Überraschung gemachte Feststellung,
daß England nach fünfundzwanzigjähriger, materiell segensreicher Arbeit in
Ägypten geradezu verhaßt ist, hinweg der moralische Konnex, die gegenseitige
Sympathie zwischen Frankreich als altem Lehrer und Ägypten als willigem und
lernbereitem Schuler wieder aufgenommen, gesichert und befestigt werden.

Wahrscheinlich verschnupfte dieser Artikel in London. Denn einige Wochen
später brachte dieselbe Zeitung einen Artikel, worin sie "politisch" eine Ver¬
söhnungspolitik zwischen England und Ägypten befürwortete. Und darauf ist
sofort Mustapha Kamel in die Redaktion gekommen und hat dem ^sinps,
der die ganze Unterredung auf das ausführlichste bringt, dargelegt, daß die
Engländer alles tun, um die Ägypter abzustoßen. Für England gäbe es nur
eine Art der Versöhnung, nämlich völlige Unterwerfung. Auch denke es gar
nicht daran, Ägypten, wenn es dieses für reif hielte, mit einer Verfassung zu
beglücken. Schließlich sei die Kontrolle des liberalen Englands dem Joch der
Türkei nicht vorzuziehen. Denn dieses habe Ägypten nie geschadet, während
die englische Kontrolle der moralischen Entwicklung Ägyptens im Wege stünde.
Die Wahrheit sei, daß Ägypten an seiner Würde und seinen heiligsten Ge¬
fühlen trotz dem materiellen Wohlergehen Schaden nehme. Diese Darlegungen
nennt der ^smps talentvoll und registriert seinerseits mit Vergnügen das
Lob Kamel Paschas, daß er, der Isiuxs, für die Bestrebungen der National¬
partei großes Interesse und außerordentliche Unparteilichkeit zeige. Der National¬
partei, der gefürchtetsten und unerbittlichsten Gegnerin des befreundeten Englands!
Übrigens fügt der I'öwxs den Erklärungen Mustapha Kamels hinzu: "Diese
Erklärungen fordern mehr als einen Kommentar und auch gewisse Reserven
heraus. Aber durch ihre aufrichtige Klarheit bilden sie für die in der englischen
Presse stattfindende Debatte ein wichtiges Dokument." Wer will leugnen, daß
hier dem größten Gegner Englands in Ägypten ein halb williges Ohr ge¬
liehen wird?

Das Interesse für Ägypten ergriff aber noch andre Kreise. Der Abgeordnete
von Algier, Maurice Colin, ging im Anfang dieses Jahres nach Kairo, um
die in ihrem alten Lokal erstickende französische Rechtsschule in würdigere Räume
zu bringen und zu retten, und das gelingt. Und schließlich schickte der Ismus
einen Sonderberichterstatter nach Ägypten, der die Aufgabe hat, über deu
französischen Einfluß und die französischen Interessen in Ägypten eine eingehende
Untersuchung anzustellen. Dieser nimmt nun gegenüber der englischen Politik
kein Blatt vor den Mund, nennt die scharfe Ahndung des Überfalls von
Denschawny eine unnütze Brutalität, die die öffentliche Meinung in Ägypten
stark erschüttert habe. Denn es gäbe wirklich eine öffentliche Meinung! Er
schreibt den einheimische" Zeitungen, vor allem der "Lewa" Kamel Paschas,
einen ungeheuern Einfluß zu und legt ein außerordentliches Gewicht auf das
bei der letzten ägyptischen Generalversammlung am 23. Februar von Nationalisten
formulierte Verlangen nach Schaffung eines ägyptischen Parlaments und


Die Beziehungen der ägyptischen Nationalpartei zu Frankreich

Weisen. Es soll hier über die mit großer Überraschung gemachte Feststellung,
daß England nach fünfundzwanzigjähriger, materiell segensreicher Arbeit in
Ägypten geradezu verhaßt ist, hinweg der moralische Konnex, die gegenseitige
Sympathie zwischen Frankreich als altem Lehrer und Ägypten als willigem und
lernbereitem Schuler wieder aufgenommen, gesichert und befestigt werden.

Wahrscheinlich verschnupfte dieser Artikel in London. Denn einige Wochen
später brachte dieselbe Zeitung einen Artikel, worin sie „politisch" eine Ver¬
söhnungspolitik zwischen England und Ägypten befürwortete. Und darauf ist
sofort Mustapha Kamel in die Redaktion gekommen und hat dem ^sinps,
der die ganze Unterredung auf das ausführlichste bringt, dargelegt, daß die
Engländer alles tun, um die Ägypter abzustoßen. Für England gäbe es nur
eine Art der Versöhnung, nämlich völlige Unterwerfung. Auch denke es gar
nicht daran, Ägypten, wenn es dieses für reif hielte, mit einer Verfassung zu
beglücken. Schließlich sei die Kontrolle des liberalen Englands dem Joch der
Türkei nicht vorzuziehen. Denn dieses habe Ägypten nie geschadet, während
die englische Kontrolle der moralischen Entwicklung Ägyptens im Wege stünde.
Die Wahrheit sei, daß Ägypten an seiner Würde und seinen heiligsten Ge¬
fühlen trotz dem materiellen Wohlergehen Schaden nehme. Diese Darlegungen
nennt der ^smps talentvoll und registriert seinerseits mit Vergnügen das
Lob Kamel Paschas, daß er, der Isiuxs, für die Bestrebungen der National¬
partei großes Interesse und außerordentliche Unparteilichkeit zeige. Der National¬
partei, der gefürchtetsten und unerbittlichsten Gegnerin des befreundeten Englands!
Übrigens fügt der I'öwxs den Erklärungen Mustapha Kamels hinzu: „Diese
Erklärungen fordern mehr als einen Kommentar und auch gewisse Reserven
heraus. Aber durch ihre aufrichtige Klarheit bilden sie für die in der englischen
Presse stattfindende Debatte ein wichtiges Dokument." Wer will leugnen, daß
hier dem größten Gegner Englands in Ägypten ein halb williges Ohr ge¬
liehen wird?

Das Interesse für Ägypten ergriff aber noch andre Kreise. Der Abgeordnete
von Algier, Maurice Colin, ging im Anfang dieses Jahres nach Kairo, um
die in ihrem alten Lokal erstickende französische Rechtsschule in würdigere Räume
zu bringen und zu retten, und das gelingt. Und schließlich schickte der Ismus
einen Sonderberichterstatter nach Ägypten, der die Aufgabe hat, über deu
französischen Einfluß und die französischen Interessen in Ägypten eine eingehende
Untersuchung anzustellen. Dieser nimmt nun gegenüber der englischen Politik
kein Blatt vor den Mund, nennt die scharfe Ahndung des Überfalls von
Denschawny eine unnütze Brutalität, die die öffentliche Meinung in Ägypten
stark erschüttert habe. Denn es gäbe wirklich eine öffentliche Meinung! Er
schreibt den einheimische» Zeitungen, vor allem der „Lewa" Kamel Paschas,
einen ungeheuern Einfluß zu und legt ein außerordentliches Gewicht auf das
bei der letzten ägyptischen Generalversammlung am 23. Februar von Nationalisten
formulierte Verlangen nach Schaffung eines ägyptischen Parlaments und


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[0229] Die Beziehungen der ägyptischen Nationalpartei zu Frankreich Weisen. Es soll hier über die mit großer Überraschung gemachte Feststellung, daß England nach fünfundzwanzigjähriger, materiell segensreicher Arbeit in Ägypten geradezu verhaßt ist, hinweg der moralische Konnex, die gegenseitige Sympathie zwischen Frankreich als altem Lehrer und Ägypten als willigem und lernbereitem Schuler wieder aufgenommen, gesichert und befestigt werden. Wahrscheinlich verschnupfte dieser Artikel in London. Denn einige Wochen später brachte dieselbe Zeitung einen Artikel, worin sie „politisch" eine Ver¬ söhnungspolitik zwischen England und Ägypten befürwortete. Und darauf ist sofort Mustapha Kamel in die Redaktion gekommen und hat dem ^sinps, der die ganze Unterredung auf das ausführlichste bringt, dargelegt, daß die Engländer alles tun, um die Ägypter abzustoßen. Für England gäbe es nur eine Art der Versöhnung, nämlich völlige Unterwerfung. Auch denke es gar nicht daran, Ägypten, wenn es dieses für reif hielte, mit einer Verfassung zu beglücken. Schließlich sei die Kontrolle des liberalen Englands dem Joch der Türkei nicht vorzuziehen. Denn dieses habe Ägypten nie geschadet, während die englische Kontrolle der moralischen Entwicklung Ägyptens im Wege stünde. Die Wahrheit sei, daß Ägypten an seiner Würde und seinen heiligsten Ge¬ fühlen trotz dem materiellen Wohlergehen Schaden nehme. Diese Darlegungen nennt der ^smps talentvoll und registriert seinerseits mit Vergnügen das Lob Kamel Paschas, daß er, der Isiuxs, für die Bestrebungen der National¬ partei großes Interesse und außerordentliche Unparteilichkeit zeige. Der National¬ partei, der gefürchtetsten und unerbittlichsten Gegnerin des befreundeten Englands! Übrigens fügt der I'öwxs den Erklärungen Mustapha Kamels hinzu: „Diese Erklärungen fordern mehr als einen Kommentar und auch gewisse Reserven heraus. Aber durch ihre aufrichtige Klarheit bilden sie für die in der englischen Presse stattfindende Debatte ein wichtiges Dokument." Wer will leugnen, daß hier dem größten Gegner Englands in Ägypten ein halb williges Ohr ge¬ liehen wird? Das Interesse für Ägypten ergriff aber noch andre Kreise. Der Abgeordnete von Algier, Maurice Colin, ging im Anfang dieses Jahres nach Kairo, um die in ihrem alten Lokal erstickende französische Rechtsschule in würdigere Räume zu bringen und zu retten, und das gelingt. Und schließlich schickte der Ismus einen Sonderberichterstatter nach Ägypten, der die Aufgabe hat, über deu französischen Einfluß und die französischen Interessen in Ägypten eine eingehende Untersuchung anzustellen. Dieser nimmt nun gegenüber der englischen Politik kein Blatt vor den Mund, nennt die scharfe Ahndung des Überfalls von Denschawny eine unnütze Brutalität, die die öffentliche Meinung in Ägypten stark erschüttert habe. Denn es gäbe wirklich eine öffentliche Meinung! Er schreibt den einheimische» Zeitungen, vor allem der „Lewa" Kamel Paschas, einen ungeheuern Einfluß zu und legt ein außerordentliches Gewicht auf das bei der letzten ägyptischen Generalversammlung am 23. Februar von Nationalisten formulierte Verlangen nach Schaffung eines ägyptischen Parlaments und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/229>, abgerufen am 20.05.2024.