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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Frau und das Aunstgewerbe

die die Form und Gestaltung des Heims betreffen, in seiner Hilflosigkeit ge¬
wöhnlich an den Geschmack der Frau wendet, so erwächst für die Frau die
Verpflichtung, sich mit den Grundsätzen und Problemen des modernen Kunst¬
gewerbes vertraut zu machen, sich so viel Kenntnisse und Fähigkeiten zu er¬
werben, daß sie die Erzeugnisse auf ihren Gehalt hin prüfen kann, wenn sie
nicht ein Hemmschuh in der Kulturentwicklung des Volkes sein will. Wir
können aber die Wahrheit nicht verhehlen, daß die Frau diese wichtige Kultur¬
aufgabe heute noch nicht vollständig versteht. Es genügt nicht, daß man sich
zu kalt staunendem Besuch in den Kunstansstellungen einfindet und sich für den
persönlichen Bedarf mit den Erzeugnissen der Schundproduktion begnügt. Wir
können, wenn die Mittel beschränkt sind, unser Leben auf die äußerste Ein¬
fachheit einschränken, aber es gibt keinen zwingenden Grund, zur trügerischen
Billigkeit der Schundproduktion Zuflucht zu nehmen. Diese Produktion ist
der Ausdruck eines schlechten, vollständig irre geleiteten Geschmacks. Die meisten
Menschen ahnen gar nicht, bis zu welcher Schundmäßigkeit das heutige Lebens¬
bild und die diesen Erscheinungen zugrunde liegenden Gesinnungen gesunken
sind. Daß wir eine solche, noch geradezu allmächtig herrschende Schund¬
produktion haben, liegt an dem Publikum und somit auch an den die Einkäufe
besorgenden Frauen. Es gibt ganz selbstverständlich noch eine Reihe andrer
Ursachen, die außerhalb der Geschmacksbildung liegen, und auf die ich in diesem
Zusammenhang nicht einzugehn brauche, im übrigen aber ist den Frauen die
größere Hälfte der Schuld beizumessen, weil ja gerade im Haushalt und in
der Gestaltung des Heims sowie in allen Füllen des persönlichen Bedarfs die
Entscheidung auf ihren Geschmack gestellt ist. Es ist daher tief bedauerlich,
daß die Frauen, die sich auf den sonstigen Lebensgebieten an den Aufgaben
der Zeit sehr energisch betätigen, gerade dem Kunstgewerbe gegenüber, in dessen
Hintergrund der Größten der nationalen Arbeit steht, die geistige Mitarbeit
versagen und in dem Irrtum befangen bleiben, als ob es sich in der modernen
Kunstbewegung um eine bloß vorübergehende Modesache handelte. Das große
Publikum ist in diesem Wahn befangen und verkennt zu seinem eignen großen
Nachteil, daß es sich in dem Kampf um das moderne Kunstgewerbe vor allem
um einen sittlichen Gesundungsprozeß handelt, der in künstlerischer und wirt¬
schaftlicher Hinsicht gleich bedeutsam ist.

Was das moderne Kunstgewerbe anstrebt, sind innere und äußere Ge¬
diegenheit, die Verdrängung der Schundarbeit auf allen Gebieten, die Hebung
der Arbeitsfreude und der Arbeitstüchtigkeit, die Herrschaft der Qualität, die
allein berufen ist, im Wettbewerb der Völker auf dem Weltmarkt den Sieg
davonzutragen. Der wirtschaftliche und soziale Gedanke des modernen Kunst¬
gewerbes greift weit aus, indem er mit der Veredlung der Arbeit zugleich die
Veredlung der Gesinnung, der Ansprüche und des ganzen Lebensbildes be¬
zweckt. An dieser Steigerung des Schönheitsbegriffs, der von den Forderungen
der Zweckmäßigkeit, Sachlichkeit, der soliden Arbeit, des guten Materials un-


Die Frau und das Aunstgewerbe

die die Form und Gestaltung des Heims betreffen, in seiner Hilflosigkeit ge¬
wöhnlich an den Geschmack der Frau wendet, so erwächst für die Frau die
Verpflichtung, sich mit den Grundsätzen und Problemen des modernen Kunst¬
gewerbes vertraut zu machen, sich so viel Kenntnisse und Fähigkeiten zu er¬
werben, daß sie die Erzeugnisse auf ihren Gehalt hin prüfen kann, wenn sie
nicht ein Hemmschuh in der Kulturentwicklung des Volkes sein will. Wir
können aber die Wahrheit nicht verhehlen, daß die Frau diese wichtige Kultur¬
aufgabe heute noch nicht vollständig versteht. Es genügt nicht, daß man sich
zu kalt staunendem Besuch in den Kunstansstellungen einfindet und sich für den
persönlichen Bedarf mit den Erzeugnissen der Schundproduktion begnügt. Wir
können, wenn die Mittel beschränkt sind, unser Leben auf die äußerste Ein¬
fachheit einschränken, aber es gibt keinen zwingenden Grund, zur trügerischen
Billigkeit der Schundproduktion Zuflucht zu nehmen. Diese Produktion ist
der Ausdruck eines schlechten, vollständig irre geleiteten Geschmacks. Die meisten
Menschen ahnen gar nicht, bis zu welcher Schundmäßigkeit das heutige Lebens¬
bild und die diesen Erscheinungen zugrunde liegenden Gesinnungen gesunken
sind. Daß wir eine solche, noch geradezu allmächtig herrschende Schund¬
produktion haben, liegt an dem Publikum und somit auch an den die Einkäufe
besorgenden Frauen. Es gibt ganz selbstverständlich noch eine Reihe andrer
Ursachen, die außerhalb der Geschmacksbildung liegen, und auf die ich in diesem
Zusammenhang nicht einzugehn brauche, im übrigen aber ist den Frauen die
größere Hälfte der Schuld beizumessen, weil ja gerade im Haushalt und in
der Gestaltung des Heims sowie in allen Füllen des persönlichen Bedarfs die
Entscheidung auf ihren Geschmack gestellt ist. Es ist daher tief bedauerlich,
daß die Frauen, die sich auf den sonstigen Lebensgebieten an den Aufgaben
der Zeit sehr energisch betätigen, gerade dem Kunstgewerbe gegenüber, in dessen
Hintergrund der Größten der nationalen Arbeit steht, die geistige Mitarbeit
versagen und in dem Irrtum befangen bleiben, als ob es sich in der modernen
Kunstbewegung um eine bloß vorübergehende Modesache handelte. Das große
Publikum ist in diesem Wahn befangen und verkennt zu seinem eignen großen
Nachteil, daß es sich in dem Kampf um das moderne Kunstgewerbe vor allem
um einen sittlichen Gesundungsprozeß handelt, der in künstlerischer und wirt¬
schaftlicher Hinsicht gleich bedeutsam ist.

Was das moderne Kunstgewerbe anstrebt, sind innere und äußere Ge¬
diegenheit, die Verdrängung der Schundarbeit auf allen Gebieten, die Hebung
der Arbeitsfreude und der Arbeitstüchtigkeit, die Herrschaft der Qualität, die
allein berufen ist, im Wettbewerb der Völker auf dem Weltmarkt den Sieg
davonzutragen. Der wirtschaftliche und soziale Gedanke des modernen Kunst¬
gewerbes greift weit aus, indem er mit der Veredlung der Arbeit zugleich die
Veredlung der Gesinnung, der Ansprüche und des ganzen Lebensbildes be¬
zweckt. An dieser Steigerung des Schönheitsbegriffs, der von den Forderungen
der Zweckmäßigkeit, Sachlichkeit, der soliden Arbeit, des guten Materials un-


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[0682] Die Frau und das Aunstgewerbe die die Form und Gestaltung des Heims betreffen, in seiner Hilflosigkeit ge¬ wöhnlich an den Geschmack der Frau wendet, so erwächst für die Frau die Verpflichtung, sich mit den Grundsätzen und Problemen des modernen Kunst¬ gewerbes vertraut zu machen, sich so viel Kenntnisse und Fähigkeiten zu er¬ werben, daß sie die Erzeugnisse auf ihren Gehalt hin prüfen kann, wenn sie nicht ein Hemmschuh in der Kulturentwicklung des Volkes sein will. Wir können aber die Wahrheit nicht verhehlen, daß die Frau diese wichtige Kultur¬ aufgabe heute noch nicht vollständig versteht. Es genügt nicht, daß man sich zu kalt staunendem Besuch in den Kunstansstellungen einfindet und sich für den persönlichen Bedarf mit den Erzeugnissen der Schundproduktion begnügt. Wir können, wenn die Mittel beschränkt sind, unser Leben auf die äußerste Ein¬ fachheit einschränken, aber es gibt keinen zwingenden Grund, zur trügerischen Billigkeit der Schundproduktion Zuflucht zu nehmen. Diese Produktion ist der Ausdruck eines schlechten, vollständig irre geleiteten Geschmacks. Die meisten Menschen ahnen gar nicht, bis zu welcher Schundmäßigkeit das heutige Lebens¬ bild und die diesen Erscheinungen zugrunde liegenden Gesinnungen gesunken sind. Daß wir eine solche, noch geradezu allmächtig herrschende Schund¬ produktion haben, liegt an dem Publikum und somit auch an den die Einkäufe besorgenden Frauen. Es gibt ganz selbstverständlich noch eine Reihe andrer Ursachen, die außerhalb der Geschmacksbildung liegen, und auf die ich in diesem Zusammenhang nicht einzugehn brauche, im übrigen aber ist den Frauen die größere Hälfte der Schuld beizumessen, weil ja gerade im Haushalt und in der Gestaltung des Heims sowie in allen Füllen des persönlichen Bedarfs die Entscheidung auf ihren Geschmack gestellt ist. Es ist daher tief bedauerlich, daß die Frauen, die sich auf den sonstigen Lebensgebieten an den Aufgaben der Zeit sehr energisch betätigen, gerade dem Kunstgewerbe gegenüber, in dessen Hintergrund der Größten der nationalen Arbeit steht, die geistige Mitarbeit versagen und in dem Irrtum befangen bleiben, als ob es sich in der modernen Kunstbewegung um eine bloß vorübergehende Modesache handelte. Das große Publikum ist in diesem Wahn befangen und verkennt zu seinem eignen großen Nachteil, daß es sich in dem Kampf um das moderne Kunstgewerbe vor allem um einen sittlichen Gesundungsprozeß handelt, der in künstlerischer und wirt¬ schaftlicher Hinsicht gleich bedeutsam ist. Was das moderne Kunstgewerbe anstrebt, sind innere und äußere Ge¬ diegenheit, die Verdrängung der Schundarbeit auf allen Gebieten, die Hebung der Arbeitsfreude und der Arbeitstüchtigkeit, die Herrschaft der Qualität, die allein berufen ist, im Wettbewerb der Völker auf dem Weltmarkt den Sieg davonzutragen. Der wirtschaftliche und soziale Gedanke des modernen Kunst¬ gewerbes greift weit aus, indem er mit der Veredlung der Arbeit zugleich die Veredlung der Gesinnung, der Ansprüche und des ganzen Lebensbildes be¬ zweckt. An dieser Steigerung des Schönheitsbegriffs, der von den Forderungen der Zweckmäßigkeit, Sachlichkeit, der soliden Arbeit, des guten Materials un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/682>, abgerufen am 19.05.2024.