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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Naturwissenschaft und Theismus

daß das, was ohne unser Bewußtsein in uns geschieht, von einem bewußte"
Wesen gewirkt werde, aber er gibt das nicht zu: die höchste Intelligenz soll
und muß nun einmal unbewußt sein- Hier entsteht nun die Frage: bewirkt
die höchste Intelligenz die Lebenserscheinungen unmittelbar in den lebenden
Wesen, sodaß diese nur Schauplätze und Organe oder Werkstätten seiner Wirk¬
samkeit, seiner immerwährenden Schöpfertätigkeit sind, oder hat ihnen der
Schöpfer relative Selbständigkeit und die Fähigkeit verliehen, ihr Leben selbst
zu erhalten? Nur im zweiten Falle kann von einer Fortdauer des "subjektiven
I^o" nach dem Zerfall seines Leibes die Rede sein. Hudson setzt das voraus,
ohne es zu begründen.

Einiges aus dein Gedankenschatz andrer Forscher mitzuteilen, macht uns
Dr. E. Dennert bequem, der in seinem neusten Buche: Die Weltanschauung
des modernen Naturforschers (Stuttgart, Max Kielmann, 1907) die An¬
sichten von sieben Gelehrten kritisch darstellt. Wir nehmen die beiden Engländer
zuerst vor. Über den einen haben wir schon im fünften Heft des Jahrgangs
1900 der Grenzboten berichtet. Der Biolog George John Romanes, ein
Schüler von Darwin, der ihn mit seiner Freundschaft beehrte, war ursprünglich
gläubiger Christ, verlor aber den Glauben, ähnlich wie Darwin selbst, durch
die Betrachtung der Leiden der Geschöpfe. Er nahm Darwins Theorie voll¬
ständig an und kam dem Monismus Haeckels nahe, ohne dessen unwissen¬
schaftliche metaphysische Folgerungen zu ziehen. Er schreibt unter anderm: "Die
natürliche Ursächlichkeit kann nicht dazu verwendet werden, sich selbst zu er¬
klären, und die bloße Erhaltung der Kraft kann, selbst wenn sie zur Erklärung
einzelner Fülle einer natürlichen Folgenreihe genügte, kein zureichender Grund
für die allgegenwärtige und ewige Leitung der Kraft bei dem Aufbau und der
Erhaltung der Weltordnung sein. Durch kein logisches Kunststück können wir
uns dem Schluß entziehen, daß diese Weltordnung einem sie ergänzenden Prinzip
den Ursprung verdanken muß, und daß dieses Prinzip geistiger Natur sein
muß. Wenigstens aber muß zugegeben werden, daß wir die Weltordnung unter
keinem andern Gesichtspunkt begreifen können, und daß, wenn irgendeine be¬
sondre Anpassung in der organischen Natur auf die Tätigkeit eines solchen
geistigen Prinzips hinweist, die Gesamtsumme aller Anpassungen im Universum
dies in noch unvergleichlich höherm Maße tun muß." Himmelweit entfernt
war er von dem fanatischen Hasse Haeckels und seiner Jünger gegen das
Christentum. Den christlichen Glauben schätzte er als ein Gut, das aufgeben
zu müssen ihm Schmerz bereitete. "Von allen Seiten, ausgenommen von
törichter Unwissenheit und niedriger Gemeinheit, wird es anerkannt, daß die
vom Christentum im Menschenleben hervorgerufne Umwälzung mit keiner andern
erreicht wird. . . . Was hat die ganze Naturwissenschaft oder die ganze Philo¬
sophie für das Denken des Menschen getan, das sich mit dem einen Satze:
Gott ist die Liebe, vergleichen ließe? . . . Nur einem Menschen, der jeder
geistigen Empfindung bar ist, kann das Christentum nicht als die großartigste


Naturwissenschaft und Theismus

daß das, was ohne unser Bewußtsein in uns geschieht, von einem bewußte»
Wesen gewirkt werde, aber er gibt das nicht zu: die höchste Intelligenz soll
und muß nun einmal unbewußt sein- Hier entsteht nun die Frage: bewirkt
die höchste Intelligenz die Lebenserscheinungen unmittelbar in den lebenden
Wesen, sodaß diese nur Schauplätze und Organe oder Werkstätten seiner Wirk¬
samkeit, seiner immerwährenden Schöpfertätigkeit sind, oder hat ihnen der
Schöpfer relative Selbständigkeit und die Fähigkeit verliehen, ihr Leben selbst
zu erhalten? Nur im zweiten Falle kann von einer Fortdauer des „subjektiven
I^o" nach dem Zerfall seines Leibes die Rede sein. Hudson setzt das voraus,
ohne es zu begründen.

Einiges aus dein Gedankenschatz andrer Forscher mitzuteilen, macht uns
Dr. E. Dennert bequem, der in seinem neusten Buche: Die Weltanschauung
des modernen Naturforschers (Stuttgart, Max Kielmann, 1907) die An¬
sichten von sieben Gelehrten kritisch darstellt. Wir nehmen die beiden Engländer
zuerst vor. Über den einen haben wir schon im fünften Heft des Jahrgangs
1900 der Grenzboten berichtet. Der Biolog George John Romanes, ein
Schüler von Darwin, der ihn mit seiner Freundschaft beehrte, war ursprünglich
gläubiger Christ, verlor aber den Glauben, ähnlich wie Darwin selbst, durch
die Betrachtung der Leiden der Geschöpfe. Er nahm Darwins Theorie voll¬
ständig an und kam dem Monismus Haeckels nahe, ohne dessen unwissen¬
schaftliche metaphysische Folgerungen zu ziehen. Er schreibt unter anderm: „Die
natürliche Ursächlichkeit kann nicht dazu verwendet werden, sich selbst zu er¬
klären, und die bloße Erhaltung der Kraft kann, selbst wenn sie zur Erklärung
einzelner Fülle einer natürlichen Folgenreihe genügte, kein zureichender Grund
für die allgegenwärtige und ewige Leitung der Kraft bei dem Aufbau und der
Erhaltung der Weltordnung sein. Durch kein logisches Kunststück können wir
uns dem Schluß entziehen, daß diese Weltordnung einem sie ergänzenden Prinzip
den Ursprung verdanken muß, und daß dieses Prinzip geistiger Natur sein
muß. Wenigstens aber muß zugegeben werden, daß wir die Weltordnung unter
keinem andern Gesichtspunkt begreifen können, und daß, wenn irgendeine be¬
sondre Anpassung in der organischen Natur auf die Tätigkeit eines solchen
geistigen Prinzips hinweist, die Gesamtsumme aller Anpassungen im Universum
dies in noch unvergleichlich höherm Maße tun muß." Himmelweit entfernt
war er von dem fanatischen Hasse Haeckels und seiner Jünger gegen das
Christentum. Den christlichen Glauben schätzte er als ein Gut, das aufgeben
zu müssen ihm Schmerz bereitete. „Von allen Seiten, ausgenommen von
törichter Unwissenheit und niedriger Gemeinheit, wird es anerkannt, daß die
vom Christentum im Menschenleben hervorgerufne Umwälzung mit keiner andern
erreicht wird. . . . Was hat die ganze Naturwissenschaft oder die ganze Philo¬
sophie für das Denken des Menschen getan, das sich mit dem einen Satze:
Gott ist die Liebe, vergleichen ließe? . . . Nur einem Menschen, der jeder
geistigen Empfindung bar ist, kann das Christentum nicht als die großartigste


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[0132] Naturwissenschaft und Theismus daß das, was ohne unser Bewußtsein in uns geschieht, von einem bewußte» Wesen gewirkt werde, aber er gibt das nicht zu: die höchste Intelligenz soll und muß nun einmal unbewußt sein- Hier entsteht nun die Frage: bewirkt die höchste Intelligenz die Lebenserscheinungen unmittelbar in den lebenden Wesen, sodaß diese nur Schauplätze und Organe oder Werkstätten seiner Wirk¬ samkeit, seiner immerwährenden Schöpfertätigkeit sind, oder hat ihnen der Schöpfer relative Selbständigkeit und die Fähigkeit verliehen, ihr Leben selbst zu erhalten? Nur im zweiten Falle kann von einer Fortdauer des „subjektiven I^o" nach dem Zerfall seines Leibes die Rede sein. Hudson setzt das voraus, ohne es zu begründen. Einiges aus dein Gedankenschatz andrer Forscher mitzuteilen, macht uns Dr. E. Dennert bequem, der in seinem neusten Buche: Die Weltanschauung des modernen Naturforschers (Stuttgart, Max Kielmann, 1907) die An¬ sichten von sieben Gelehrten kritisch darstellt. Wir nehmen die beiden Engländer zuerst vor. Über den einen haben wir schon im fünften Heft des Jahrgangs 1900 der Grenzboten berichtet. Der Biolog George John Romanes, ein Schüler von Darwin, der ihn mit seiner Freundschaft beehrte, war ursprünglich gläubiger Christ, verlor aber den Glauben, ähnlich wie Darwin selbst, durch die Betrachtung der Leiden der Geschöpfe. Er nahm Darwins Theorie voll¬ ständig an und kam dem Monismus Haeckels nahe, ohne dessen unwissen¬ schaftliche metaphysische Folgerungen zu ziehen. Er schreibt unter anderm: „Die natürliche Ursächlichkeit kann nicht dazu verwendet werden, sich selbst zu er¬ klären, und die bloße Erhaltung der Kraft kann, selbst wenn sie zur Erklärung einzelner Fülle einer natürlichen Folgenreihe genügte, kein zureichender Grund für die allgegenwärtige und ewige Leitung der Kraft bei dem Aufbau und der Erhaltung der Weltordnung sein. Durch kein logisches Kunststück können wir uns dem Schluß entziehen, daß diese Weltordnung einem sie ergänzenden Prinzip den Ursprung verdanken muß, und daß dieses Prinzip geistiger Natur sein muß. Wenigstens aber muß zugegeben werden, daß wir die Weltordnung unter keinem andern Gesichtspunkt begreifen können, und daß, wenn irgendeine be¬ sondre Anpassung in der organischen Natur auf die Tätigkeit eines solchen geistigen Prinzips hinweist, die Gesamtsumme aller Anpassungen im Universum dies in noch unvergleichlich höherm Maße tun muß." Himmelweit entfernt war er von dem fanatischen Hasse Haeckels und seiner Jünger gegen das Christentum. Den christlichen Glauben schätzte er als ein Gut, das aufgeben zu müssen ihm Schmerz bereitete. „Von allen Seiten, ausgenommen von törichter Unwissenheit und niedriger Gemeinheit, wird es anerkannt, daß die vom Christentum im Menschenleben hervorgerufne Umwälzung mit keiner andern erreicht wird. . . . Was hat die ganze Naturwissenschaft oder die ganze Philo¬ sophie für das Denken des Menschen getan, das sich mit dem einen Satze: Gott ist die Liebe, vergleichen ließe? . . . Nur einem Menschen, der jeder geistigen Empfindung bar ist, kann das Christentum nicht als die großartigste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/132>, abgerufen am 30.05.2024.