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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Naturwissenschaft und Theismus

Wird noch weiter "blau" und "hart" und "kalt" empfunden werden: die Empfindungen,
der Inhalt der Psyche, sind ja ewig," Und ich füge die Bemerkung hinzu, daß
man schon sehr gelehrt sein muß, um sich Empfindungen ohne ein empfindendes
Wesen, ohne ein Subjekt, das sie hat, vorstellen zu können; Empfindungen, die
im Weltall herumschweben und sich mitunter zu Komplexen verbinden, weil gewisse
Komplexe äußerer Bedingungen entstehen, welche Bedingungen, zum Beispiel
organische Zellen, aber selbst nichts andres sind als Empfindungen einer nicht
vorhandnen Psyche.

Der andre Gegner des Materialismus ist der große Chemiker Ostwald. Er
verwirft die Materie und die mechanistische Auffassung der Natur auch in der
vergeistigter Form, die beiden Lotze gegeben hat, und will nur die verschiednen
Energieformen als das einzig Wirkliche gelten lassen. Ob mit seiner Hypothese,
von der er glaubt, daß sie keine Hypothese, sondern nur Beschreibung der Wirk¬
lichkeit sei, die Physik besser wird arbeiten können, als sie bisher mit der Atom-
Hypothese gearbeitet hat, das werden die Physiker zu entscheiden haben. Uns
geht das hier weiter nichts an. Außer der entschiednen Verwerfung jeder Form
des Materialismus ist für uns nur die Art und Weise interessant, wie sich Ostwald
über die Organismen äußert. Auch die Lebenserscheinungen sind nach ihm
Energievorgänge; aber während das unorganische Gebilde mir solche Energie¬
änderungen erführe, die aus seiner und der Umgebung Beschaffenheit folgen,
Wasser zum Beispiel sich ganz passiv verhält, wenn es durch den Temperatur-
Wechsel in Eis und dann wieder in Wasser zurückverwandelt wird, behauptet sich
das Lebewesen seiner Umgebung zum Trotz. Die Organismen "haben die
Fähigkeit, sich der Energievorräte selbsttätig zu bemächtigen, deren sie zur Auf¬
rechterhaltung ihres stationären Zustandes bedürfen. Sie sind einer Lampe zu
vergleichen, die sich das Öl, das sie braucht, auf irgendeine Weise immer wieder
neu beschafft." Ostwald will das Leben dadurch, daß er es als das Ergebnis
eines Stromes chemischer Energie auffaßt, noch nicht erklärt haben, glaubt aber,
daß es die fortschreitende Chemie mit der Zeit werde erklären können, und lehnt
darum den Vitalismus ab. Doch gesteht er nach einer Darstellung des energetischen
Haushalts der Organismen, er habe die Lebenserscheinungen so behandelt, als
ob im Organismus "ein denkender, urteilender und insbesondre vorsorgender
Geist von der Art des menschlichen" süße, der "anscheinend auf Grund eiuer
sehr tiefen Kenntnis der chemischen und physikalischen Gesetze die Einrichtungen
so trifft, daß die Ergebnisse dem Organismus einen möglichst dauernden Bestand
und eine möglichst vorteilhafte Vermehrung sichern". Er stellt fest, daß der
Zweckbegriff keineswegs unwissenschaftlich ist, daß wir berechtigt sind, ihn an¬
zuwenden, und daß er sich zwar noch nicht in der unorganischen, wohl aber in
der organischen Welt aufdrängt. Der Annahme, daß eine höhere menschenähnliche
Intelligenz die Organismen geschaffen habe, stünden allerdings große Schwierig¬
keiten im Wege. Dennert bemerkt, Ostwald nenne diese angeblichen Schwierig¬
keiten nicht; sie möchten sich wohl auf eine beschränken, darauf nämlich, daß


Grenzboten III 1S07 13
Naturwissenschaft und Theismus

Wird noch weiter »blau« und »hart« und »kalt« empfunden werden: die Empfindungen,
der Inhalt der Psyche, sind ja ewig," Und ich füge die Bemerkung hinzu, daß
man schon sehr gelehrt sein muß, um sich Empfindungen ohne ein empfindendes
Wesen, ohne ein Subjekt, das sie hat, vorstellen zu können; Empfindungen, die
im Weltall herumschweben und sich mitunter zu Komplexen verbinden, weil gewisse
Komplexe äußerer Bedingungen entstehen, welche Bedingungen, zum Beispiel
organische Zellen, aber selbst nichts andres sind als Empfindungen einer nicht
vorhandnen Psyche.

Der andre Gegner des Materialismus ist der große Chemiker Ostwald. Er
verwirft die Materie und die mechanistische Auffassung der Natur auch in der
vergeistigter Form, die beiden Lotze gegeben hat, und will nur die verschiednen
Energieformen als das einzig Wirkliche gelten lassen. Ob mit seiner Hypothese,
von der er glaubt, daß sie keine Hypothese, sondern nur Beschreibung der Wirk¬
lichkeit sei, die Physik besser wird arbeiten können, als sie bisher mit der Atom-
Hypothese gearbeitet hat, das werden die Physiker zu entscheiden haben. Uns
geht das hier weiter nichts an. Außer der entschiednen Verwerfung jeder Form
des Materialismus ist für uns nur die Art und Weise interessant, wie sich Ostwald
über die Organismen äußert. Auch die Lebenserscheinungen sind nach ihm
Energievorgänge; aber während das unorganische Gebilde mir solche Energie¬
änderungen erführe, die aus seiner und der Umgebung Beschaffenheit folgen,
Wasser zum Beispiel sich ganz passiv verhält, wenn es durch den Temperatur-
Wechsel in Eis und dann wieder in Wasser zurückverwandelt wird, behauptet sich
das Lebewesen seiner Umgebung zum Trotz. Die Organismen „haben die
Fähigkeit, sich der Energievorräte selbsttätig zu bemächtigen, deren sie zur Auf¬
rechterhaltung ihres stationären Zustandes bedürfen. Sie sind einer Lampe zu
vergleichen, die sich das Öl, das sie braucht, auf irgendeine Weise immer wieder
neu beschafft." Ostwald will das Leben dadurch, daß er es als das Ergebnis
eines Stromes chemischer Energie auffaßt, noch nicht erklärt haben, glaubt aber,
daß es die fortschreitende Chemie mit der Zeit werde erklären können, und lehnt
darum den Vitalismus ab. Doch gesteht er nach einer Darstellung des energetischen
Haushalts der Organismen, er habe die Lebenserscheinungen so behandelt, als
ob im Organismus „ein denkender, urteilender und insbesondre vorsorgender
Geist von der Art des menschlichen" süße, der „anscheinend auf Grund eiuer
sehr tiefen Kenntnis der chemischen und physikalischen Gesetze die Einrichtungen
so trifft, daß die Ergebnisse dem Organismus einen möglichst dauernden Bestand
und eine möglichst vorteilhafte Vermehrung sichern". Er stellt fest, daß der
Zweckbegriff keineswegs unwissenschaftlich ist, daß wir berechtigt sind, ihn an¬
zuwenden, und daß er sich zwar noch nicht in der unorganischen, wohl aber in
der organischen Welt aufdrängt. Der Annahme, daß eine höhere menschenähnliche
Intelligenz die Organismen geschaffen habe, stünden allerdings große Schwierig¬
keiten im Wege. Dennert bemerkt, Ostwald nenne diese angeblichen Schwierig¬
keiten nicht; sie möchten sich wohl auf eine beschränken, darauf nämlich, daß


Grenzboten III 1S07 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/137>, abgerufen am 30.05.2024.