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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches, und Unmaßgebliches

Oktober. Aber kann es einen deutlichern Beweis für die Ökonomie der Sprache
geben? Sogar von den Wochentagen wurde gelegentlich etwas abgeknapst: der
Dienstag erscheint in den Urkunden als der Aftermontag, vgl. auch Sonnabend und
Sonntag. Der Übergang vom Alten zum Jungen, vom Großen zum Kleinen ist der
Sprache natürlicher als umgekehrt das Namhaftmachen der großen, dicken, langen
Dinge, obgleich es ebenfalls oft vorkommt. Schon vorhin hieß der Daumen der große
Finger, und wir selbst haben eine große Zehe, Großvater und Großmutter. Der
Großvater liebt es vielleicht, sein Haar lang zu tragen, sodaß ihm die Locken auf den
Nacken herabwallen. ?ortÄ 1a. ^^fra, würde man ans italienisch sagen, ein
Wort, das wir nicht übersetzen können. Der Postbote übergibt ihm einen großen,
dicken Brief mit mehreren Einlagen; so einen Brief nennt der Italiener I?1ioo,
das wir wieder nicht übersetzen können, wie uns auch die Vergrößerungsbilduugen
des Jtalieners abgehn. Aber wir helfen uns mit einer Umschreibung und kommen
ebenfalls zum Ziel. Bald ist die eine, bald die andre Sprache im Vorteil, durch
den Verstand wird alles wettgemacht. Oos ir^mea, naturf,, arts xroourg..

Diese Denkarbeit, von der wir hier nnr einige Proben gegeben haben, geht
unablässig und auch dann noch fort, wenn bereits in der eignen Sprache Spezial-
ausdrücke vorhanden und gebräuchlich sind; lieber wird sich das Volk mit seinen
alten Begriffen behelfen, als daß es die neuen Worte anwendete. Sagt es nicht noch
heute: das große Wasser, der große Teich, ja die große Pfütze für den Atlantischen
Ozean? Der Tunichtgut wird über den großen Bach nach Amerika spediert. Unsre
Vettern jenseits der großen Pfütze. Stehen uns nicht die Augen voll Wasser anstatt
voll Tränen, färbt den Fuchs nicht die rote Tinte anstatt das Blut, ziehen wir nicht
vom Leder anstatt aus der Scheide? Oft ist das bloß Witz; im großen und ganzen
aber ist es Bequemlichkeit, Gewöhnung an die alten ausgetretnen Geleise, das Hängen
an alten Sachen. Die neuen schont die Sprache so viel wie möglich. Das nennt
Rudolf Nleinpaul man ökonomisch.








Maßgebliches, und Unmaßgebliches

Oktober. Aber kann es einen deutlichern Beweis für die Ökonomie der Sprache
geben? Sogar von den Wochentagen wurde gelegentlich etwas abgeknapst: der
Dienstag erscheint in den Urkunden als der Aftermontag, vgl. auch Sonnabend und
Sonntag. Der Übergang vom Alten zum Jungen, vom Großen zum Kleinen ist der
Sprache natürlicher als umgekehrt das Namhaftmachen der großen, dicken, langen
Dinge, obgleich es ebenfalls oft vorkommt. Schon vorhin hieß der Daumen der große
Finger, und wir selbst haben eine große Zehe, Großvater und Großmutter. Der
Großvater liebt es vielleicht, sein Haar lang zu tragen, sodaß ihm die Locken auf den
Nacken herabwallen. ?ortÄ 1a. ^^fra, würde man ans italienisch sagen, ein
Wort, das wir nicht übersetzen können. Der Postbote übergibt ihm einen großen,
dicken Brief mit mehreren Einlagen; so einen Brief nennt der Italiener I?1ioo,
das wir wieder nicht übersetzen können, wie uns auch die Vergrößerungsbilduugen
des Jtalieners abgehn. Aber wir helfen uns mit einer Umschreibung und kommen
ebenfalls zum Ziel. Bald ist die eine, bald die andre Sprache im Vorteil, durch
den Verstand wird alles wettgemacht. Oos ir^mea, naturf,, arts xroourg..

Diese Denkarbeit, von der wir hier nnr einige Proben gegeben haben, geht
unablässig und auch dann noch fort, wenn bereits in der eignen Sprache Spezial-
ausdrücke vorhanden und gebräuchlich sind; lieber wird sich das Volk mit seinen
alten Begriffen behelfen, als daß es die neuen Worte anwendete. Sagt es nicht noch
heute: das große Wasser, der große Teich, ja die große Pfütze für den Atlantischen
Ozean? Der Tunichtgut wird über den großen Bach nach Amerika spediert. Unsre
Vettern jenseits der großen Pfütze. Stehen uns nicht die Augen voll Wasser anstatt
voll Tränen, färbt den Fuchs nicht die rote Tinte anstatt das Blut, ziehen wir nicht
vom Leder anstatt aus der Scheide? Oft ist das bloß Witz; im großen und ganzen
aber ist es Bequemlichkeit, Gewöhnung an die alten ausgetretnen Geleise, das Hängen
an alten Sachen. Die neuen schont die Sprache so viel wie möglich. Das nennt
Rudolf Nleinpaul man ökonomisch.








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[0168] Maßgebliches, und Unmaßgebliches Oktober. Aber kann es einen deutlichern Beweis für die Ökonomie der Sprache geben? Sogar von den Wochentagen wurde gelegentlich etwas abgeknapst: der Dienstag erscheint in den Urkunden als der Aftermontag, vgl. auch Sonnabend und Sonntag. Der Übergang vom Alten zum Jungen, vom Großen zum Kleinen ist der Sprache natürlicher als umgekehrt das Namhaftmachen der großen, dicken, langen Dinge, obgleich es ebenfalls oft vorkommt. Schon vorhin hieß der Daumen der große Finger, und wir selbst haben eine große Zehe, Großvater und Großmutter. Der Großvater liebt es vielleicht, sein Haar lang zu tragen, sodaß ihm die Locken auf den Nacken herabwallen. ?ortÄ 1a. ^^fra, würde man ans italienisch sagen, ein Wort, das wir nicht übersetzen können. Der Postbote übergibt ihm einen großen, dicken Brief mit mehreren Einlagen; so einen Brief nennt der Italiener I?1ioo, das wir wieder nicht übersetzen können, wie uns auch die Vergrößerungsbilduugen des Jtalieners abgehn. Aber wir helfen uns mit einer Umschreibung und kommen ebenfalls zum Ziel. Bald ist die eine, bald die andre Sprache im Vorteil, durch den Verstand wird alles wettgemacht. Oos ir^mea, naturf,, arts xroourg.. Diese Denkarbeit, von der wir hier nnr einige Proben gegeben haben, geht unablässig und auch dann noch fort, wenn bereits in der eignen Sprache Spezial- ausdrücke vorhanden und gebräuchlich sind; lieber wird sich das Volk mit seinen alten Begriffen behelfen, als daß es die neuen Worte anwendete. Sagt es nicht noch heute: das große Wasser, der große Teich, ja die große Pfütze für den Atlantischen Ozean? Der Tunichtgut wird über den großen Bach nach Amerika spediert. Unsre Vettern jenseits der großen Pfütze. Stehen uns nicht die Augen voll Wasser anstatt voll Tränen, färbt den Fuchs nicht die rote Tinte anstatt das Blut, ziehen wir nicht vom Leder anstatt aus der Scheide? Oft ist das bloß Witz; im großen und ganzen aber ist es Bequemlichkeit, Gewöhnung an die alten ausgetretnen Geleise, das Hängen an alten Sachen. Die neuen schont die Sprache so viel wie möglich. Das nennt Rudolf Nleinpaul man ökonomisch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/168>, abgerufen am 14.05.2024.