Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreichs Allianzversuche IM3 bis ^370

Verhandlungen wieder in Fluß gebracht hat. Aber man wird bezweifeln dürfen,
ob sich die Leiter des französischen Staats so kopfüber in das kriegerische
Abenteuer gestürzt hätten, wenn sie nicht aus den frühern Bündnisverhand¬
lungen den Eindruck erlangt Hütten, daß man im Ernstfalle leicht zu einem
vollständigen Einvernehmen mit den Bundesgenossen werde gelangen können.
Der Kaiser glaubte ein moralisches Anrecht an die Waffenhilfe Österreichs und
Italiens zu haben. Darum lag ihm und seinen Räten auch nichts daran, die
Hohenzollernkandidatur abzuwenden, vielmehr erschien ihnen der unvorher¬
gesehene Zwischenfall eine geeignete Handhabe, den Krieg herbeizuführen, ohne
den Frankreich nicht die schuldige Vergeltung für Sadowa erhielt. Mit Recht
sagt der neueste französische Beurteiler dieser weltgeschichtlichen Tage: "Alle
Schritte des französischen Kabinetts vom 6. bis zum 15. Juli waren viel mehr
von dem Verlangen eingegeben, Preußen, seinem König, Vismarck eine Nieder¬
lage beizubringen, als von der Sorge, Leopold von Hohenzollern vom spanischen
Throne fernzuhalten. Je mehr durch die Ratschläge Europas, durch die Zurück¬
haltung Prius und die Mäßigung des Königs von Preußen die Drohung
einer preußischen Monarchie in Spanien schwand, um so mehr steifte man sich
in Paris darauf, andre Beleidigungen aufzufinden in der Verzögerung der
Antwort Wilhelms des Ersten auf die französischen Forderungen, in seiner
Weigerung, für die Zukunft Bürgschaften zu geben, in der Abberufung des
Barons Werther, in der Verabschiedung Benedettis, in der Emser Depesche. Es
scheint, die kaiserliche Regierung brauchte durchaus eine Beleidigung, deren
öffentliche Sühne für die Hohenzollern eine Demütigung war."

Wie wenig aber die bisherigen Verhandlungen hingereicht hatten, Öster¬
reich und Italien an eine kriegerische Politik Frankreichs zu binden, sollte sich
bald zeigen. Schon am 5. Juli sondierte, dem erhaltnen Auftrage gemäß, der
damalige französische Geschäftsträger in Wien, Marquis von Cazaux, gesprächs¬
weise den Grafen Beust, ob die Mitwirkung Österreichs im Fall ein Krieges
über eine diplomatische Aktion hinaufginge. Nun lautete zwar, was Cazaux
berichtete, günstig genug: er empfing aus seinen Besprechungen mit Beust den
Eindruck, daß an einem Einverständnis mit Österreich nicht zu zweifeln sei. Am
9. Juli telegraphierte er nach einer langen Unterredung mit dem Reichskanzler:
"Trotz der etwas unbestimmten Ausdrücke in den Weisungen an den Fürsten
Metternich ist mein Eindruck der, daß Frankreich vollkommen auf den Kanzler
zählen kann, wie auch die Dinge laufen mögen. Graf Beust dringt nur auf
eine Verständigung, auf ein vorläufiges Übereinkommen über die verschiednen
Punkte,^ um nicht gezwungen zu sein, vor vollendete Tatsachen gestellt zu
werden." Allein Cazaux verstand sich offenbar schlecht auf die diplomatische
Sprache des Herrn von Beust. Er gab dessen Worten eine viel zu optimistische
Auslegung. Der Herzog von Gramont selbst hat im Januar 1873 in seiner
Polemik nut Beust diesem bezeugt: "Niemals habe ich behauptet, daß Sie uns
zum Krieg ermutigt haben. Ich gebe vollkommen zu. weil es die Wahrheit ist,


Frankreichs Allianzversuche IM3 bis ^370

Verhandlungen wieder in Fluß gebracht hat. Aber man wird bezweifeln dürfen,
ob sich die Leiter des französischen Staats so kopfüber in das kriegerische
Abenteuer gestürzt hätten, wenn sie nicht aus den frühern Bündnisverhand¬
lungen den Eindruck erlangt Hütten, daß man im Ernstfalle leicht zu einem
vollständigen Einvernehmen mit den Bundesgenossen werde gelangen können.
Der Kaiser glaubte ein moralisches Anrecht an die Waffenhilfe Österreichs und
Italiens zu haben. Darum lag ihm und seinen Räten auch nichts daran, die
Hohenzollernkandidatur abzuwenden, vielmehr erschien ihnen der unvorher¬
gesehene Zwischenfall eine geeignete Handhabe, den Krieg herbeizuführen, ohne
den Frankreich nicht die schuldige Vergeltung für Sadowa erhielt. Mit Recht
sagt der neueste französische Beurteiler dieser weltgeschichtlichen Tage: „Alle
Schritte des französischen Kabinetts vom 6. bis zum 15. Juli waren viel mehr
von dem Verlangen eingegeben, Preußen, seinem König, Vismarck eine Nieder¬
lage beizubringen, als von der Sorge, Leopold von Hohenzollern vom spanischen
Throne fernzuhalten. Je mehr durch die Ratschläge Europas, durch die Zurück¬
haltung Prius und die Mäßigung des Königs von Preußen die Drohung
einer preußischen Monarchie in Spanien schwand, um so mehr steifte man sich
in Paris darauf, andre Beleidigungen aufzufinden in der Verzögerung der
Antwort Wilhelms des Ersten auf die französischen Forderungen, in seiner
Weigerung, für die Zukunft Bürgschaften zu geben, in der Abberufung des
Barons Werther, in der Verabschiedung Benedettis, in der Emser Depesche. Es
scheint, die kaiserliche Regierung brauchte durchaus eine Beleidigung, deren
öffentliche Sühne für die Hohenzollern eine Demütigung war."

Wie wenig aber die bisherigen Verhandlungen hingereicht hatten, Öster¬
reich und Italien an eine kriegerische Politik Frankreichs zu binden, sollte sich
bald zeigen. Schon am 5. Juli sondierte, dem erhaltnen Auftrage gemäß, der
damalige französische Geschäftsträger in Wien, Marquis von Cazaux, gesprächs¬
weise den Grafen Beust, ob die Mitwirkung Österreichs im Fall ein Krieges
über eine diplomatische Aktion hinaufginge. Nun lautete zwar, was Cazaux
berichtete, günstig genug: er empfing aus seinen Besprechungen mit Beust den
Eindruck, daß an einem Einverständnis mit Österreich nicht zu zweifeln sei. Am
9. Juli telegraphierte er nach einer langen Unterredung mit dem Reichskanzler:
„Trotz der etwas unbestimmten Ausdrücke in den Weisungen an den Fürsten
Metternich ist mein Eindruck der, daß Frankreich vollkommen auf den Kanzler
zählen kann, wie auch die Dinge laufen mögen. Graf Beust dringt nur auf
eine Verständigung, auf ein vorläufiges Übereinkommen über die verschiednen
Punkte,^ um nicht gezwungen zu sein, vor vollendete Tatsachen gestellt zu
werden." Allein Cazaux verstand sich offenbar schlecht auf die diplomatische
Sprache des Herrn von Beust. Er gab dessen Worten eine viel zu optimistische
Auslegung. Der Herzog von Gramont selbst hat im Januar 1873 in seiner
Polemik nut Beust diesem bezeugt: „Niemals habe ich behauptet, daß Sie uns
zum Krieg ermutigt haben. Ich gebe vollkommen zu. weil es die Wahrheit ist,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302883"/>
          <fw type="header" place="top"> Frankreichs Allianzversuche IM3 bis ^370</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_761" prev="#ID_760"> Verhandlungen wieder in Fluß gebracht hat. Aber man wird bezweifeln dürfen,<lb/>
ob sich die Leiter des französischen Staats so kopfüber in das kriegerische<lb/>
Abenteuer gestürzt hätten, wenn sie nicht aus den frühern Bündnisverhand¬<lb/>
lungen den Eindruck erlangt Hütten, daß man im Ernstfalle leicht zu einem<lb/>
vollständigen Einvernehmen mit den Bundesgenossen werde gelangen können.<lb/>
Der Kaiser glaubte ein moralisches Anrecht an die Waffenhilfe Österreichs und<lb/>
Italiens zu haben. Darum lag ihm und seinen Räten auch nichts daran, die<lb/>
Hohenzollernkandidatur abzuwenden, vielmehr erschien ihnen der unvorher¬<lb/>
gesehene Zwischenfall eine geeignete Handhabe, den Krieg herbeizuführen, ohne<lb/>
den Frankreich nicht die schuldige Vergeltung für Sadowa erhielt. Mit Recht<lb/>
sagt der neueste französische Beurteiler dieser weltgeschichtlichen Tage: &#x201E;Alle<lb/>
Schritte des französischen Kabinetts vom 6. bis zum 15. Juli waren viel mehr<lb/>
von dem Verlangen eingegeben, Preußen, seinem König, Vismarck eine Nieder¬<lb/>
lage beizubringen, als von der Sorge, Leopold von Hohenzollern vom spanischen<lb/>
Throne fernzuhalten. Je mehr durch die Ratschläge Europas, durch die Zurück¬<lb/>
haltung Prius und die Mäßigung des Königs von Preußen die Drohung<lb/>
einer preußischen Monarchie in Spanien schwand, um so mehr steifte man sich<lb/>
in Paris darauf, andre Beleidigungen aufzufinden in der Verzögerung der<lb/>
Antwort Wilhelms des Ersten auf die französischen Forderungen, in seiner<lb/>
Weigerung, für die Zukunft Bürgschaften zu geben, in der Abberufung des<lb/>
Barons Werther, in der Verabschiedung Benedettis, in der Emser Depesche. Es<lb/>
scheint, die kaiserliche Regierung brauchte durchaus eine Beleidigung, deren<lb/>
öffentliche Sühne für die Hohenzollern eine Demütigung war."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_762" next="#ID_763"> Wie wenig aber die bisherigen Verhandlungen hingereicht hatten, Öster¬<lb/>
reich und Italien an eine kriegerische Politik Frankreichs zu binden, sollte sich<lb/>
bald zeigen. Schon am 5. Juli sondierte, dem erhaltnen Auftrage gemäß, der<lb/>
damalige französische Geschäftsträger in Wien, Marquis von Cazaux, gesprächs¬<lb/>
weise den Grafen Beust, ob die Mitwirkung Österreichs im Fall ein Krieges<lb/>
über eine diplomatische Aktion hinaufginge. Nun lautete zwar, was Cazaux<lb/>
berichtete, günstig genug: er empfing aus seinen Besprechungen mit Beust den<lb/>
Eindruck, daß an einem Einverständnis mit Österreich nicht zu zweifeln sei. Am<lb/>
9. Juli telegraphierte er nach einer langen Unterredung mit dem Reichskanzler:<lb/>
&#x201E;Trotz der etwas unbestimmten Ausdrücke in den Weisungen an den Fürsten<lb/>
Metternich ist mein Eindruck der, daß Frankreich vollkommen auf den Kanzler<lb/>
zählen kann, wie auch die Dinge laufen mögen. Graf Beust dringt nur auf<lb/>
eine Verständigung, auf ein vorläufiges Übereinkommen über die verschiednen<lb/>
Punkte,^ um nicht gezwungen zu sein, vor vollendete Tatsachen gestellt zu<lb/>
werden." Allein Cazaux verstand sich offenbar schlecht auf die diplomatische<lb/>
Sprache des Herrn von Beust. Er gab dessen Worten eine viel zu optimistische<lb/>
Auslegung. Der Herzog von Gramont selbst hat im Januar 1873 in seiner<lb/>
Polemik nut Beust diesem bezeugt: &#x201E;Niemals habe ich behauptet, daß Sie uns<lb/>
zum Krieg ermutigt haben. Ich gebe vollkommen zu. weil es die Wahrheit ist,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0181] Frankreichs Allianzversuche IM3 bis ^370 Verhandlungen wieder in Fluß gebracht hat. Aber man wird bezweifeln dürfen, ob sich die Leiter des französischen Staats so kopfüber in das kriegerische Abenteuer gestürzt hätten, wenn sie nicht aus den frühern Bündnisverhand¬ lungen den Eindruck erlangt Hütten, daß man im Ernstfalle leicht zu einem vollständigen Einvernehmen mit den Bundesgenossen werde gelangen können. Der Kaiser glaubte ein moralisches Anrecht an die Waffenhilfe Österreichs und Italiens zu haben. Darum lag ihm und seinen Räten auch nichts daran, die Hohenzollernkandidatur abzuwenden, vielmehr erschien ihnen der unvorher¬ gesehene Zwischenfall eine geeignete Handhabe, den Krieg herbeizuführen, ohne den Frankreich nicht die schuldige Vergeltung für Sadowa erhielt. Mit Recht sagt der neueste französische Beurteiler dieser weltgeschichtlichen Tage: „Alle Schritte des französischen Kabinetts vom 6. bis zum 15. Juli waren viel mehr von dem Verlangen eingegeben, Preußen, seinem König, Vismarck eine Nieder¬ lage beizubringen, als von der Sorge, Leopold von Hohenzollern vom spanischen Throne fernzuhalten. Je mehr durch die Ratschläge Europas, durch die Zurück¬ haltung Prius und die Mäßigung des Königs von Preußen die Drohung einer preußischen Monarchie in Spanien schwand, um so mehr steifte man sich in Paris darauf, andre Beleidigungen aufzufinden in der Verzögerung der Antwort Wilhelms des Ersten auf die französischen Forderungen, in seiner Weigerung, für die Zukunft Bürgschaften zu geben, in der Abberufung des Barons Werther, in der Verabschiedung Benedettis, in der Emser Depesche. Es scheint, die kaiserliche Regierung brauchte durchaus eine Beleidigung, deren öffentliche Sühne für die Hohenzollern eine Demütigung war." Wie wenig aber die bisherigen Verhandlungen hingereicht hatten, Öster¬ reich und Italien an eine kriegerische Politik Frankreichs zu binden, sollte sich bald zeigen. Schon am 5. Juli sondierte, dem erhaltnen Auftrage gemäß, der damalige französische Geschäftsträger in Wien, Marquis von Cazaux, gesprächs¬ weise den Grafen Beust, ob die Mitwirkung Österreichs im Fall ein Krieges über eine diplomatische Aktion hinaufginge. Nun lautete zwar, was Cazaux berichtete, günstig genug: er empfing aus seinen Besprechungen mit Beust den Eindruck, daß an einem Einverständnis mit Österreich nicht zu zweifeln sei. Am 9. Juli telegraphierte er nach einer langen Unterredung mit dem Reichskanzler: „Trotz der etwas unbestimmten Ausdrücke in den Weisungen an den Fürsten Metternich ist mein Eindruck der, daß Frankreich vollkommen auf den Kanzler zählen kann, wie auch die Dinge laufen mögen. Graf Beust dringt nur auf eine Verständigung, auf ein vorläufiges Übereinkommen über die verschiednen Punkte,^ um nicht gezwungen zu sein, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden." Allein Cazaux verstand sich offenbar schlecht auf die diplomatische Sprache des Herrn von Beust. Er gab dessen Worten eine viel zu optimistische Auslegung. Der Herzog von Gramont selbst hat im Januar 1873 in seiner Polemik nut Beust diesem bezeugt: „Niemals habe ich behauptet, daß Sie uns zum Krieg ermutigt haben. Ich gebe vollkommen zu. weil es die Wahrheit ist,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/181
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/181>, abgerufen am 15.05.2024.