Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreichs Allianzversuche 1.868 bis 1.370

spanische Krone. Aber jetzt bremste der österreichische Reichskanzler, so stark er
konnte, weil er weder den Anlaß zu einem Rachekrieg für günstig noch den
Zeitpunkt für erfolgversprechend hielt; er suchte den Krieg zu verhindern, indem
er seine Mitwirkung versagte. Allein er bremste nur so lange, als die Ent¬
scheidung noch nicht unwiderruflich getroffen war. Sobald der Krieg eine Tat¬
sache war, hielt er es für geboten, die Gelegenheit, im Bunde mit Frankreich
seine politischen Ziele zu erreichen, nicht zu versäumen, er erkannte auch infolge
der früher ausgetauschten Erklärungen eine moralische Verpflichtung zur Hilfe¬
leistung an. Nur sollte bei der Überstürzung, womit die Katastrophe herein¬
gebrochen war, der Eintritt in die Aktion erst vorbereitet werden durch eine
gemeinschaftliche Mediation Österreichs und Italiens, die sich später, nach
Vollendung der Rüstungen, in tätige Mitwirkung verwandeln sollte. Am Zu¬
standekommen dieses Zweibundes, der die Basis des Dreibundes werden sollte,
ist vom 26. Juli bis zum 4. August unter Mitwirkung Frankreichs in aller
Hast gearbeitet worden. Auch für ihn war zunächst die römische Frage eine
Klippe. Als dieses Hindernis glücklich beseitigt worden war, blieben noch
Differenzen zwischen Österreich und Frankreich, wobei jenes unter dem Eindruck
der ersten Kriegsereignisse dem Andrängen des Kaisers Napoleon auszuweichen
suchte. Diese Differenzen waren noch nicht beglichen, als die Kunde von den
Schlachten bei Wörth und Spichern den Verhandlungen ein jähes Ende
bereitete.

Also kurz gesagt: im ersten Stadium scheiterten die Allianzverhandlungen
an der römischen Frage, im zweiten an der berechnenden Zögerungspolitik
Österreichs, im dritten an dem Eindruck der deutschen Siege. Der Hauptsünder
in der Verschwörung aber, der eigentliche Faiseur der Verhandlungen war nicht
der Kaiser Napoleon, sondern der Herr von Beust. Er hat es verstanden, die
Fäden so lange in der Hand zu behalten -- bereit, sie vollends zusammenzu¬
knüpfen, aber zugleich immer noch imstande, sie wieder aufzulösen --, bis er
einer letzten Entscheidung glücklich überhoben war. Wenn Viktor Emanuel
zuletzt erleichtert zum Grafen Vitzthum sagte: Nun sind wir fein heraus, nous
avons xar Kcmneur 6<zKg,xxö8, so hat Wohl Beust bei sich dasselbe gedacht. Aber
noch im Jahre 1873 sagte er zu dem damaligen Botschafter Herrn von Banneville:
"Wenn Sie nur trotz der ungenügenden Streitkräfte und der ungenügenden
Vorbereitung entschlossen und rasch in Deutschland eingebrochen wären, so konnte
alles anders gehn." Banneville hörte in Wien, daß noch nach den Schlachten von
Metz und Sedan, noch zu Ende des Jahres, eine ziemlich große Partei, an
ihrer Spitze der Kriegsminister Kühn, für einen Marsch nach Berlin war. Eine
Armee von 150000 Mann hätte für diesen Zweck genügt, man hätte sich in
Deutschland durch die 300000 französischen Kriegsgefangnen verstärken können,
und die Drohungen Rußlands nahm man nicht ernst. "Die Wahrheit ist, so
schloß Banneville seine Depesche vom 5. Januar 1873, daß es in Wien am
guten Willen nicht gefehlt hat. Aber man war nicht bereit, so wenig wie leider


Frankreichs Allianzversuche 1.868 bis 1.370

spanische Krone. Aber jetzt bremste der österreichische Reichskanzler, so stark er
konnte, weil er weder den Anlaß zu einem Rachekrieg für günstig noch den
Zeitpunkt für erfolgversprechend hielt; er suchte den Krieg zu verhindern, indem
er seine Mitwirkung versagte. Allein er bremste nur so lange, als die Ent¬
scheidung noch nicht unwiderruflich getroffen war. Sobald der Krieg eine Tat¬
sache war, hielt er es für geboten, die Gelegenheit, im Bunde mit Frankreich
seine politischen Ziele zu erreichen, nicht zu versäumen, er erkannte auch infolge
der früher ausgetauschten Erklärungen eine moralische Verpflichtung zur Hilfe¬
leistung an. Nur sollte bei der Überstürzung, womit die Katastrophe herein¬
gebrochen war, der Eintritt in die Aktion erst vorbereitet werden durch eine
gemeinschaftliche Mediation Österreichs und Italiens, die sich später, nach
Vollendung der Rüstungen, in tätige Mitwirkung verwandeln sollte. Am Zu¬
standekommen dieses Zweibundes, der die Basis des Dreibundes werden sollte,
ist vom 26. Juli bis zum 4. August unter Mitwirkung Frankreichs in aller
Hast gearbeitet worden. Auch für ihn war zunächst die römische Frage eine
Klippe. Als dieses Hindernis glücklich beseitigt worden war, blieben noch
Differenzen zwischen Österreich und Frankreich, wobei jenes unter dem Eindruck
der ersten Kriegsereignisse dem Andrängen des Kaisers Napoleon auszuweichen
suchte. Diese Differenzen waren noch nicht beglichen, als die Kunde von den
Schlachten bei Wörth und Spichern den Verhandlungen ein jähes Ende
bereitete.

Also kurz gesagt: im ersten Stadium scheiterten die Allianzverhandlungen
an der römischen Frage, im zweiten an der berechnenden Zögerungspolitik
Österreichs, im dritten an dem Eindruck der deutschen Siege. Der Hauptsünder
in der Verschwörung aber, der eigentliche Faiseur der Verhandlungen war nicht
der Kaiser Napoleon, sondern der Herr von Beust. Er hat es verstanden, die
Fäden so lange in der Hand zu behalten — bereit, sie vollends zusammenzu¬
knüpfen, aber zugleich immer noch imstande, sie wieder aufzulösen —, bis er
einer letzten Entscheidung glücklich überhoben war. Wenn Viktor Emanuel
zuletzt erleichtert zum Grafen Vitzthum sagte: Nun sind wir fein heraus, nous
avons xar Kcmneur 6<zKg,xxö8, so hat Wohl Beust bei sich dasselbe gedacht. Aber
noch im Jahre 1873 sagte er zu dem damaligen Botschafter Herrn von Banneville:
„Wenn Sie nur trotz der ungenügenden Streitkräfte und der ungenügenden
Vorbereitung entschlossen und rasch in Deutschland eingebrochen wären, so konnte
alles anders gehn." Banneville hörte in Wien, daß noch nach den Schlachten von
Metz und Sedan, noch zu Ende des Jahres, eine ziemlich große Partei, an
ihrer Spitze der Kriegsminister Kühn, für einen Marsch nach Berlin war. Eine
Armee von 150000 Mann hätte für diesen Zweck genügt, man hätte sich in
Deutschland durch die 300000 französischen Kriegsgefangnen verstärken können,
und die Drohungen Rußlands nahm man nicht ernst. „Die Wahrheit ist, so
schloß Banneville seine Depesche vom 5. Januar 1873, daß es in Wien am
guten Willen nicht gefehlt hat. Aber man war nicht bereit, so wenig wie leider


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302891"/>
          <fw type="header" place="top"> Frankreichs Allianzversuche 1.868 bis 1.370</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_777" prev="#ID_776"> spanische Krone. Aber jetzt bremste der österreichische Reichskanzler, so stark er<lb/>
konnte, weil er weder den Anlaß zu einem Rachekrieg für günstig noch den<lb/>
Zeitpunkt für erfolgversprechend hielt; er suchte den Krieg zu verhindern, indem<lb/>
er seine Mitwirkung versagte.  Allein er bremste nur so lange, als die Ent¬<lb/>
scheidung noch nicht unwiderruflich getroffen war. Sobald der Krieg eine Tat¬<lb/>
sache war, hielt er es für geboten, die Gelegenheit, im Bunde mit Frankreich<lb/>
seine politischen Ziele zu erreichen, nicht zu versäumen, er erkannte auch infolge<lb/>
der früher ausgetauschten Erklärungen eine moralische Verpflichtung zur Hilfe¬<lb/>
leistung an.  Nur sollte bei der Überstürzung, womit die Katastrophe herein¬<lb/>
gebrochen war, der Eintritt in die Aktion erst vorbereitet werden durch eine<lb/>
gemeinschaftliche Mediation Österreichs und Italiens, die sich später, nach<lb/>
Vollendung der Rüstungen, in tätige Mitwirkung verwandeln sollte. Am Zu¬<lb/>
standekommen dieses Zweibundes, der die Basis des Dreibundes werden sollte,<lb/>
ist vom 26. Juli bis zum 4. August unter Mitwirkung Frankreichs in aller<lb/>
Hast gearbeitet worden.  Auch für ihn war zunächst die römische Frage eine<lb/>
Klippe. Als dieses Hindernis glücklich beseitigt worden war, blieben noch<lb/>
Differenzen zwischen Österreich und Frankreich, wobei jenes unter dem Eindruck<lb/>
der ersten Kriegsereignisse dem Andrängen des Kaisers Napoleon auszuweichen<lb/>
suchte.  Diese Differenzen waren noch nicht beglichen, als die Kunde von den<lb/>
Schlachten bei Wörth und Spichern den Verhandlungen ein jähes Ende<lb/>
bereitete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_778" next="#ID_779"> Also kurz gesagt: im ersten Stadium scheiterten die Allianzverhandlungen<lb/>
an der römischen Frage, im zweiten an der berechnenden Zögerungspolitik<lb/>
Österreichs, im dritten an dem Eindruck der deutschen Siege. Der Hauptsünder<lb/>
in der Verschwörung aber, der eigentliche Faiseur der Verhandlungen war nicht<lb/>
der Kaiser Napoleon, sondern der Herr von Beust. Er hat es verstanden, die<lb/>
Fäden so lange in der Hand zu behalten &#x2014; bereit, sie vollends zusammenzu¬<lb/>
knüpfen, aber zugleich immer noch imstande, sie wieder aufzulösen &#x2014;, bis er<lb/>
einer letzten Entscheidung glücklich überhoben war.  Wenn Viktor Emanuel<lb/>
zuletzt erleichtert zum Grafen Vitzthum sagte: Nun sind wir fein heraus, nous<lb/>
avons xar Kcmneur 6&lt;zKg,xxö8, so hat Wohl Beust bei sich dasselbe gedacht. Aber<lb/>
noch im Jahre 1873 sagte er zu dem damaligen Botschafter Herrn von Banneville:<lb/>
&#x201E;Wenn Sie nur trotz der ungenügenden Streitkräfte und der ungenügenden<lb/>
Vorbereitung entschlossen und rasch in Deutschland eingebrochen wären, so konnte<lb/>
alles anders gehn." Banneville hörte in Wien, daß noch nach den Schlachten von<lb/>
Metz und Sedan, noch zu Ende des Jahres, eine ziemlich große Partei, an<lb/>
ihrer Spitze der Kriegsminister Kühn, für einen Marsch nach Berlin war. Eine<lb/>
Armee von 150000 Mann hätte für diesen Zweck genügt, man hätte sich in<lb/>
Deutschland durch die 300000 französischen Kriegsgefangnen verstärken können,<lb/>
und die Drohungen Rußlands nahm man nicht ernst.  &#x201E;Die Wahrheit ist, so<lb/>
schloß Banneville seine Depesche vom 5. Januar 1873, daß es in Wien am<lb/>
guten Willen nicht gefehlt hat. Aber man war nicht bereit, so wenig wie leider</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] Frankreichs Allianzversuche 1.868 bis 1.370 spanische Krone. Aber jetzt bremste der österreichische Reichskanzler, so stark er konnte, weil er weder den Anlaß zu einem Rachekrieg für günstig noch den Zeitpunkt für erfolgversprechend hielt; er suchte den Krieg zu verhindern, indem er seine Mitwirkung versagte. Allein er bremste nur so lange, als die Ent¬ scheidung noch nicht unwiderruflich getroffen war. Sobald der Krieg eine Tat¬ sache war, hielt er es für geboten, die Gelegenheit, im Bunde mit Frankreich seine politischen Ziele zu erreichen, nicht zu versäumen, er erkannte auch infolge der früher ausgetauschten Erklärungen eine moralische Verpflichtung zur Hilfe¬ leistung an. Nur sollte bei der Überstürzung, womit die Katastrophe herein¬ gebrochen war, der Eintritt in die Aktion erst vorbereitet werden durch eine gemeinschaftliche Mediation Österreichs und Italiens, die sich später, nach Vollendung der Rüstungen, in tätige Mitwirkung verwandeln sollte. Am Zu¬ standekommen dieses Zweibundes, der die Basis des Dreibundes werden sollte, ist vom 26. Juli bis zum 4. August unter Mitwirkung Frankreichs in aller Hast gearbeitet worden. Auch für ihn war zunächst die römische Frage eine Klippe. Als dieses Hindernis glücklich beseitigt worden war, blieben noch Differenzen zwischen Österreich und Frankreich, wobei jenes unter dem Eindruck der ersten Kriegsereignisse dem Andrängen des Kaisers Napoleon auszuweichen suchte. Diese Differenzen waren noch nicht beglichen, als die Kunde von den Schlachten bei Wörth und Spichern den Verhandlungen ein jähes Ende bereitete. Also kurz gesagt: im ersten Stadium scheiterten die Allianzverhandlungen an der römischen Frage, im zweiten an der berechnenden Zögerungspolitik Österreichs, im dritten an dem Eindruck der deutschen Siege. Der Hauptsünder in der Verschwörung aber, der eigentliche Faiseur der Verhandlungen war nicht der Kaiser Napoleon, sondern der Herr von Beust. Er hat es verstanden, die Fäden so lange in der Hand zu behalten — bereit, sie vollends zusammenzu¬ knüpfen, aber zugleich immer noch imstande, sie wieder aufzulösen —, bis er einer letzten Entscheidung glücklich überhoben war. Wenn Viktor Emanuel zuletzt erleichtert zum Grafen Vitzthum sagte: Nun sind wir fein heraus, nous avons xar Kcmneur 6<zKg,xxö8, so hat Wohl Beust bei sich dasselbe gedacht. Aber noch im Jahre 1873 sagte er zu dem damaligen Botschafter Herrn von Banneville: „Wenn Sie nur trotz der ungenügenden Streitkräfte und der ungenügenden Vorbereitung entschlossen und rasch in Deutschland eingebrochen wären, so konnte alles anders gehn." Banneville hörte in Wien, daß noch nach den Schlachten von Metz und Sedan, noch zu Ende des Jahres, eine ziemlich große Partei, an ihrer Spitze der Kriegsminister Kühn, für einen Marsch nach Berlin war. Eine Armee von 150000 Mann hätte für diesen Zweck genügt, man hätte sich in Deutschland durch die 300000 französischen Kriegsgefangnen verstärken können, und die Drohungen Rußlands nahm man nicht ernst. „Die Wahrheit ist, so schloß Banneville seine Depesche vom 5. Januar 1873, daß es in Wien am guten Willen nicht gefehlt hat. Aber man war nicht bereit, so wenig wie leider

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/189
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/189>, abgerufen am 16.05.2024.