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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Papst Pius der Zehnte

diplomatischen Verfechtung der Unabhängigkeit der Bischöfe von der Staatsregierung
und bei der Beanstandung des Rechts des französischen Präsidenten, den König
von Italien zu besuchen, allzuhart aufgestoßen, um sich nicht Schranken auf¬
zuerlegen auch dann, wenn ihm unter andern Verhältnissen kein Wort und keine
Entschließung scharf genug gewesen wäre. Was der Papst später in Reaktion
auf die Ausführung des Gesetzes betreffend die von ihm im Prinzip abgewiesne
Trennung von Staat und Kirche gesagt und gebilligt hat, das darf man nur
(min, Zrano hö-lis nehmen. Der ihm sehr nahe stehende Neapler Erzbischof Kardinal
Capecelatro hat nicht verfehlt, es mit besondrer Rücksicht auf die französischen
Vorgänge in einer Broschüre auszusprechen, daß eine Trennung von Staat und
Kirche praktisch unmöglich sei: Kirche und Staat, so erklärt er, stehn entweder
feindselig oder freundlich zueinander. Die freundliche Beziehung ist nach
Capecelatro, und wie ohne weiteres angenommen werden darf, dem Papste von
Konkordaten und Gesetzen, die es überhaupt erst seit Heinrich dem Fünften und
Calixtus dem Zweiten gibt, unabhängig; ja das Verhältnis zwischen Kirche und
Staat kann ohne Konkordate und bei einer ein Vertragsverhältnis absolut
ausschließenden Gesetzgebung vorzüglich sein auch im Sinne der Kirche, wie
namentlich Brasilien bewiesen hat, wo nach der Revolution von 1899 ein
Trennungsgesetz von Staat und Kirche gegeben worden ist, und wo sich dennoch
die Zahl der Diözesen verdoppelt hat, und aus einer Kirchenprovinz deren vier
geworden sind. Wenngleich also der Papst der französischen Regierung das
Eingeständnis der veränderten Rechtsverhältnisse nicht hat versagen können, so
ist er doch weit entfernt, die Kirche in Frankreich dem Willen der Republik
unterzuordnen. Der heutige rnoäus vivencli in Frankreich verrät davon mancherlei,
und wären die französischen Katholiken eine einheitlich ins Feld zu führende
Macht, wie sie es freilich bei weitem nicht sind -- zwischen der Gruppe des
Monsignore Delassus und der des Abbe Laberthonniere, der des Monsignore
Turinaz und der des Abbe Naudet, der des Pater Fontaine und des Abbe
Loisy bestehn allzu tiefgehende Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des
Glaubens und den Beruf der Kirche --, so entspräche Verfassung und Kultus
der katholischen Kirche noch weniger als schon gegenwärtig den Normen und
Absichten des Trennnngsgesetzes der Republik.

In Italien ist es für Pius den Zehnten nicht ganz so einfach wie ander¬
weit -- auch wie in Deutschland und Österreich, wo ja der Ultramontanismus
konsistent ist und dank einer großartigen Organisation das bürgerliche Leben
bedeutsam beeinflußt --, seinem politischen Prinzip zur Geltung zu verhelfe:,.
Hier hat sich der Papst ja noch nicht entschließen können, das Existenzrecht
des Königreichs anzuerkennen, da eine solche Anerkennung den Verzicht auf
den Kirchenstaat in sich schließt. Als Pius der Zehnte Papst geworden war,
erteilte er seinen erste": Segen im Innern der Peterskirche und nicht von deren
äußerer Loggia aus, um so zu zeigen, daß er an dem Anspruch auf weltliche
Macht festhalte und sich gleich seinen beiden Vorgängern auf dem Heiligen


Papst Pius der Zehnte

diplomatischen Verfechtung der Unabhängigkeit der Bischöfe von der Staatsregierung
und bei der Beanstandung des Rechts des französischen Präsidenten, den König
von Italien zu besuchen, allzuhart aufgestoßen, um sich nicht Schranken auf¬
zuerlegen auch dann, wenn ihm unter andern Verhältnissen kein Wort und keine
Entschließung scharf genug gewesen wäre. Was der Papst später in Reaktion
auf die Ausführung des Gesetzes betreffend die von ihm im Prinzip abgewiesne
Trennung von Staat und Kirche gesagt und gebilligt hat, das darf man nur
(min, Zrano hö-lis nehmen. Der ihm sehr nahe stehende Neapler Erzbischof Kardinal
Capecelatro hat nicht verfehlt, es mit besondrer Rücksicht auf die französischen
Vorgänge in einer Broschüre auszusprechen, daß eine Trennung von Staat und
Kirche praktisch unmöglich sei: Kirche und Staat, so erklärt er, stehn entweder
feindselig oder freundlich zueinander. Die freundliche Beziehung ist nach
Capecelatro, und wie ohne weiteres angenommen werden darf, dem Papste von
Konkordaten und Gesetzen, die es überhaupt erst seit Heinrich dem Fünften und
Calixtus dem Zweiten gibt, unabhängig; ja das Verhältnis zwischen Kirche und
Staat kann ohne Konkordate und bei einer ein Vertragsverhältnis absolut
ausschließenden Gesetzgebung vorzüglich sein auch im Sinne der Kirche, wie
namentlich Brasilien bewiesen hat, wo nach der Revolution von 1899 ein
Trennungsgesetz von Staat und Kirche gegeben worden ist, und wo sich dennoch
die Zahl der Diözesen verdoppelt hat, und aus einer Kirchenprovinz deren vier
geworden sind. Wenngleich also der Papst der französischen Regierung das
Eingeständnis der veränderten Rechtsverhältnisse nicht hat versagen können, so
ist er doch weit entfernt, die Kirche in Frankreich dem Willen der Republik
unterzuordnen. Der heutige rnoäus vivencli in Frankreich verrät davon mancherlei,
und wären die französischen Katholiken eine einheitlich ins Feld zu führende
Macht, wie sie es freilich bei weitem nicht sind — zwischen der Gruppe des
Monsignore Delassus und der des Abbe Laberthonniere, der des Monsignore
Turinaz und der des Abbe Naudet, der des Pater Fontaine und des Abbe
Loisy bestehn allzu tiefgehende Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des
Glaubens und den Beruf der Kirche —, so entspräche Verfassung und Kultus
der katholischen Kirche noch weniger als schon gegenwärtig den Normen und
Absichten des Trennnngsgesetzes der Republik.

In Italien ist es für Pius den Zehnten nicht ganz so einfach wie ander¬
weit — auch wie in Deutschland und Österreich, wo ja der Ultramontanismus
konsistent ist und dank einer großartigen Organisation das bürgerliche Leben
bedeutsam beeinflußt —, seinem politischen Prinzip zur Geltung zu verhelfe:,.
Hier hat sich der Papst ja noch nicht entschließen können, das Existenzrecht
des Königreichs anzuerkennen, da eine solche Anerkennung den Verzicht auf
den Kirchenstaat in sich schließt. Als Pius der Zehnte Papst geworden war,
erteilte er seinen erste»: Segen im Innern der Peterskirche und nicht von deren
äußerer Loggia aus, um so zu zeigen, daß er an dem Anspruch auf weltliche
Macht festhalte und sich gleich seinen beiden Vorgängern auf dem Heiligen


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[0228] Papst Pius der Zehnte diplomatischen Verfechtung der Unabhängigkeit der Bischöfe von der Staatsregierung und bei der Beanstandung des Rechts des französischen Präsidenten, den König von Italien zu besuchen, allzuhart aufgestoßen, um sich nicht Schranken auf¬ zuerlegen auch dann, wenn ihm unter andern Verhältnissen kein Wort und keine Entschließung scharf genug gewesen wäre. Was der Papst später in Reaktion auf die Ausführung des Gesetzes betreffend die von ihm im Prinzip abgewiesne Trennung von Staat und Kirche gesagt und gebilligt hat, das darf man nur (min, Zrano hö-lis nehmen. Der ihm sehr nahe stehende Neapler Erzbischof Kardinal Capecelatro hat nicht verfehlt, es mit besondrer Rücksicht auf die französischen Vorgänge in einer Broschüre auszusprechen, daß eine Trennung von Staat und Kirche praktisch unmöglich sei: Kirche und Staat, so erklärt er, stehn entweder feindselig oder freundlich zueinander. Die freundliche Beziehung ist nach Capecelatro, und wie ohne weiteres angenommen werden darf, dem Papste von Konkordaten und Gesetzen, die es überhaupt erst seit Heinrich dem Fünften und Calixtus dem Zweiten gibt, unabhängig; ja das Verhältnis zwischen Kirche und Staat kann ohne Konkordate und bei einer ein Vertragsverhältnis absolut ausschließenden Gesetzgebung vorzüglich sein auch im Sinne der Kirche, wie namentlich Brasilien bewiesen hat, wo nach der Revolution von 1899 ein Trennungsgesetz von Staat und Kirche gegeben worden ist, und wo sich dennoch die Zahl der Diözesen verdoppelt hat, und aus einer Kirchenprovinz deren vier geworden sind. Wenngleich also der Papst der französischen Regierung das Eingeständnis der veränderten Rechtsverhältnisse nicht hat versagen können, so ist er doch weit entfernt, die Kirche in Frankreich dem Willen der Republik unterzuordnen. Der heutige rnoäus vivencli in Frankreich verrät davon mancherlei, und wären die französischen Katholiken eine einheitlich ins Feld zu führende Macht, wie sie es freilich bei weitem nicht sind — zwischen der Gruppe des Monsignore Delassus und der des Abbe Laberthonniere, der des Monsignore Turinaz und der des Abbe Naudet, der des Pater Fontaine und des Abbe Loisy bestehn allzu tiefgehende Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des Glaubens und den Beruf der Kirche —, so entspräche Verfassung und Kultus der katholischen Kirche noch weniger als schon gegenwärtig den Normen und Absichten des Trennnngsgesetzes der Republik. In Italien ist es für Pius den Zehnten nicht ganz so einfach wie ander¬ weit — auch wie in Deutschland und Österreich, wo ja der Ultramontanismus konsistent ist und dank einer großartigen Organisation das bürgerliche Leben bedeutsam beeinflußt —, seinem politischen Prinzip zur Geltung zu verhelfe:,. Hier hat sich der Papst ja noch nicht entschließen können, das Existenzrecht des Königreichs anzuerkennen, da eine solche Anerkennung den Verzicht auf den Kirchenstaat in sich schließt. Als Pius der Zehnte Papst geworden war, erteilte er seinen erste»: Segen im Innern der Peterskirche und nicht von deren äußerer Loggia aus, um so zu zeigen, daß er an dem Anspruch auf weltliche Macht festhalte und sich gleich seinen beiden Vorgängern auf dem Heiligen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/228>, abgerufen am 30.05.2024.