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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Aus Weimars Vergangenheit

er läßt Kriemhild (Kriemhilds Rache I, 3) sich eins halten und es rühmen als
Sonntagsstück des arbeitsmüden Schöpfers, das er lieblich, wie nichts, gebildet
hat, weil ihm der schönste Gedanke erst nach Feierabend gekommen sei. Aber
wenn wir schon Hebbel eine unartige Unterschiebung nicht zumuten mögen, so
sprechen auch manche Wendungen des Gedichts gegen das Eichkätzchen. So
heißt es zum Beispiel, daß der Duft in ihm verleiblicht wäre, den still der
Lotos in die Lüfte haucht.

Liszt selbst wird am meisten von Wagner gepriesen. Er schrieb freilich
(Wesendonk, Oktober 1858), er werde immer mehr inne, daß sich eigentlich doch
kein Mensch, namentlich kein Mann, so recht innig und ernst für ihn interessiere,
und glaubt die Unmöglichkeit zu erkennen, in der Freundschaft eines Mannes
das Ersehnte zu finden, die Sehnsucht, in einem Herzen, einer bestimmten
Individualität den bergenden, erlösenden Hafen zu finden. Dennoch erkannte
er wieder Liszts unerschütterliche Zärtlichkeit, sogar eine "zarte Frömmigkeit"
an, die nur Liszt habe. "Ich verschmachte nach ihm und beklage mich darüber,
ihm nicht das sein zu können, was ich zu sein wünsche." Jener bergende Hafen
war damals für Liszt die Fürstin Carolyne. Vielleicht liegt es in der geistigen
Organisation der Künstler, wenn gerade sie dem beistimmen, was uns im preis¬
lichen Rheingold gesungen wird: in der Welten Ring nichts ist so reich, als
Ersatz zu unter dem Mann für Weibes Wonne und Wert... Denn erstens
sind die Leistungen der Kunst der Frau leichter zugänglich als oft die der
Wissenschaft. Auch in diesem Sinne ist ihr Naturell so nah mit Kunst ver¬
wandt. Sodann aber gehört es zu ihren schützbarsten Eigenschaften, den Ehr¬
geiz des Mannes ganz den ihrigen sein zu lassen. Nach solchem, womöglich
noch verschönernden, Echo des eignen Selbst sehnen sich die Künstler. Auch
gewinnen oder gewannen die Frauen dadurch, daß sie nicht Konkurrentinneu
sind, sondern teilnehmend genießen. Auch der angehende Bildhauer Lyngstrand
findet es (in der Frau vom Meere) köstlich, daß Fräulein Bolette zu Hause
an ihn denken wird, und läßt es sich hoch und heilig versprechen.

Liszt fand, was er suchte, an Carolyne. Dagegen hat sich wohl Minna
geirrt, als sie (Januar 1859) einen gewissen Stolz nicht unterdrücken konnte,
daß Wagners Opern bis zum Tannhäuser während ihrer frühern Verheiratung
geschrieben waren. "Bei Nibelungen und besonders bei Tristan und Isolde
war ich leider nicht so glücklich, ihn beeinflussen zu können oder zu dürfen."

Als Carolyne 1860 Weimar verließ, um sich nach scheinbarer Überwindung
aller Hindernisse (ihr Mann starb allerdings erst 1864) in Rom am 22. Ok¬
tober 1861 -- Liszt wurde gerade fünfzig Jahre alt -- trauen zu lassen, als
schon die Kirche geschmückt war. erfuhr zufällig der in Rom weilende junge
Sohn eines der Verbindung mit dem "Klavierspieler" abgeneigten polnischen
Vetters von der Sache. Die Trauung unterblieb und wurde nie wieder ver¬
sucht, da die Fürstin in diesem Vorfall einen deutlichen Wink des Himmels zu
sehen glaubte. In den siebenundzwanzig Jahren ihres römischen Aufenthalts


Grenzboten III 1907 33
Aus Weimars Vergangenheit

er läßt Kriemhild (Kriemhilds Rache I, 3) sich eins halten und es rühmen als
Sonntagsstück des arbeitsmüden Schöpfers, das er lieblich, wie nichts, gebildet
hat, weil ihm der schönste Gedanke erst nach Feierabend gekommen sei. Aber
wenn wir schon Hebbel eine unartige Unterschiebung nicht zumuten mögen, so
sprechen auch manche Wendungen des Gedichts gegen das Eichkätzchen. So
heißt es zum Beispiel, daß der Duft in ihm verleiblicht wäre, den still der
Lotos in die Lüfte haucht.

Liszt selbst wird am meisten von Wagner gepriesen. Er schrieb freilich
(Wesendonk, Oktober 1858), er werde immer mehr inne, daß sich eigentlich doch
kein Mensch, namentlich kein Mann, so recht innig und ernst für ihn interessiere,
und glaubt die Unmöglichkeit zu erkennen, in der Freundschaft eines Mannes
das Ersehnte zu finden, die Sehnsucht, in einem Herzen, einer bestimmten
Individualität den bergenden, erlösenden Hafen zu finden. Dennoch erkannte
er wieder Liszts unerschütterliche Zärtlichkeit, sogar eine „zarte Frömmigkeit"
an, die nur Liszt habe. „Ich verschmachte nach ihm und beklage mich darüber,
ihm nicht das sein zu können, was ich zu sein wünsche." Jener bergende Hafen
war damals für Liszt die Fürstin Carolyne. Vielleicht liegt es in der geistigen
Organisation der Künstler, wenn gerade sie dem beistimmen, was uns im preis¬
lichen Rheingold gesungen wird: in der Welten Ring nichts ist so reich, als
Ersatz zu unter dem Mann für Weibes Wonne und Wert... Denn erstens
sind die Leistungen der Kunst der Frau leichter zugänglich als oft die der
Wissenschaft. Auch in diesem Sinne ist ihr Naturell so nah mit Kunst ver¬
wandt. Sodann aber gehört es zu ihren schützbarsten Eigenschaften, den Ehr¬
geiz des Mannes ganz den ihrigen sein zu lassen. Nach solchem, womöglich
noch verschönernden, Echo des eignen Selbst sehnen sich die Künstler. Auch
gewinnen oder gewannen die Frauen dadurch, daß sie nicht Konkurrentinneu
sind, sondern teilnehmend genießen. Auch der angehende Bildhauer Lyngstrand
findet es (in der Frau vom Meere) köstlich, daß Fräulein Bolette zu Hause
an ihn denken wird, und läßt es sich hoch und heilig versprechen.

Liszt fand, was er suchte, an Carolyne. Dagegen hat sich wohl Minna
geirrt, als sie (Januar 1859) einen gewissen Stolz nicht unterdrücken konnte,
daß Wagners Opern bis zum Tannhäuser während ihrer frühern Verheiratung
geschrieben waren. „Bei Nibelungen und besonders bei Tristan und Isolde
war ich leider nicht so glücklich, ihn beeinflussen zu können oder zu dürfen."

Als Carolyne 1860 Weimar verließ, um sich nach scheinbarer Überwindung
aller Hindernisse (ihr Mann starb allerdings erst 1864) in Rom am 22. Ok¬
tober 1861 — Liszt wurde gerade fünfzig Jahre alt — trauen zu lassen, als
schon die Kirche geschmückt war. erfuhr zufällig der in Rom weilende junge
Sohn eines der Verbindung mit dem „Klavierspieler" abgeneigten polnischen
Vetters von der Sache. Die Trauung unterblieb und wurde nie wieder ver¬
sucht, da die Fürstin in diesem Vorfall einen deutlichen Wink des Himmels zu
sehen glaubte. In den siebenundzwanzig Jahren ihres römischen Aufenthalts


Grenzboten III 1907 33
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/257>, abgerufen am 14.05.2024.