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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Zehn Jahre Zionismus

Maximalkonzession versteifen, sondern sie soll auch speziellere und geringere
Konzessionen anstreben wie etwa für die Palästinabank, für den Landkauf, für
die Einwanderung, für den Empfang des "Zehnten" usw. Und für diese ge¬
samte diplomatisch-politische Tätigkeit kann der reale Boden nicht besser geschaffen
und, wenn geschaffen, geebnet werden als durch eine planmäßige, energische, un¬
entwegte Arbeit in Palästina, die greifbare Ergebnisse zeitigt. Das Ziel dieser
Arbeit ist einerseits, den Komplex von Bedingungen zu schaffen, der für eine
natürliche, stetig wachsende Einwanderung nötig ist, andrerseits, den jüdischen
Massen einen entsprechenden Einfluß auf das kulturwirtschaftliche und soziale
Leben in Palästina zu sichern. Keins der beiden Ziele benötigt als Grundlage
des Charters. Der Charter schafft überhaupt nicht als solcher die Bedingungen
für eine jüdische Masseneinwandrung. Eine Großkolonisation wird nicht "ge¬
macht". Es liegt vielmehr in ihrem Wesen, daß sie mit einer systematischen
Tätigkeit in bescheidnen Umfange beginnt, und, von den natürlichen Bedingungen
des Kolonisationsgebiets begünstigt, fortschreitend den Boden für eine Massen¬
siedlung schafft. Das ist eine Erkenntnis, die sich aus der Betrachtung der
Geschichte der großen Wandrungen und Siedlungen in den letzten Jahrhunderten
ergibt. Und daß dieser Erkenntnis zufolge nun auch in Palästina eine der
Wirklichkeit entsprechende Kolonisationsmethode eingeschlagen ist, eröffnet für den
Zionismus verheißungsvolle Aussichten.

Denn schon gegenwärtig hat, obwohl wir erst im Anfang der Entwicklung
stehn, die praktische Palästinaarbeit die ökonomische Position der Juden im
Lande gestärkt. Ebenso wichtig aber sind die moralischen Erfolge, die die
Palästinakommission durch ihre umsichtige, methodische und praktische Arbeit in
der jüdischen wie in der nichtjüdischer Welt errungen hat; sie dürften namentlich
auch das Vertrauen der türkischen Regierung zu dem Willen und den Fähig¬
keiten des jüdischen Volks steigern. Und aus mancherlei Anzeichen läßt sich
schließen, daß in Stambul die Politik des Sultans Bajazet des Zweiten, der
1492 die aus Spanien Vertriebnen Juden aufnahm und dabei sagte: "Ihr nennt
Ferdinand von Aragonien einen weisen König! Er aber macht unser Land
reich und sein eignes arm!" noch heute nicht ganz verlassen und vergessen ist.

Das jüdische Kapital setzt neuerdings mit Unternehmungen industriellen,
kommerziellen und auch landwirtschaftlichen Charakters kräftig ein; es find das
natürlich Äußerungen der Privatinitiative, aber die Palästinakvmmission bahnt
ihnen den Weg, indem sie mit Eifer und Erfolg an die wissenschaftliche und
praktische Erforschung Palästinas gegangen ist. Ein landwirtschaftliches und
technisches Auskunftsbureau ist von ihr errichtet worden, eine Kunstgewerbeschule
blüht in Jerusalem und erzeugt die ersten palüstinischen Teppiche; eine land¬
wirtschaftliche Versuchsstation ist im Entstehn begriffen, ein hygienisches Labora¬
torium zur Bekämpfung der endemischen Krankheiten ist geplant, die Errichtung
einer hebräischen Mittelschule in Jaffa gesichert -- kurz, Bedeutendes ist seit
dem Jahre 1903 geleistet, Bedeutenderes noch ist eingeleitet oder für die Zukunft


Grenzboten III 1907 38
Zehn Jahre Zionismus

Maximalkonzession versteifen, sondern sie soll auch speziellere und geringere
Konzessionen anstreben wie etwa für die Palästinabank, für den Landkauf, für
die Einwanderung, für den Empfang des „Zehnten" usw. Und für diese ge¬
samte diplomatisch-politische Tätigkeit kann der reale Boden nicht besser geschaffen
und, wenn geschaffen, geebnet werden als durch eine planmäßige, energische, un¬
entwegte Arbeit in Palästina, die greifbare Ergebnisse zeitigt. Das Ziel dieser
Arbeit ist einerseits, den Komplex von Bedingungen zu schaffen, der für eine
natürliche, stetig wachsende Einwanderung nötig ist, andrerseits, den jüdischen
Massen einen entsprechenden Einfluß auf das kulturwirtschaftliche und soziale
Leben in Palästina zu sichern. Keins der beiden Ziele benötigt als Grundlage
des Charters. Der Charter schafft überhaupt nicht als solcher die Bedingungen
für eine jüdische Masseneinwandrung. Eine Großkolonisation wird nicht „ge¬
macht". Es liegt vielmehr in ihrem Wesen, daß sie mit einer systematischen
Tätigkeit in bescheidnen Umfange beginnt, und, von den natürlichen Bedingungen
des Kolonisationsgebiets begünstigt, fortschreitend den Boden für eine Massen¬
siedlung schafft. Das ist eine Erkenntnis, die sich aus der Betrachtung der
Geschichte der großen Wandrungen und Siedlungen in den letzten Jahrhunderten
ergibt. Und daß dieser Erkenntnis zufolge nun auch in Palästina eine der
Wirklichkeit entsprechende Kolonisationsmethode eingeschlagen ist, eröffnet für den
Zionismus verheißungsvolle Aussichten.

Denn schon gegenwärtig hat, obwohl wir erst im Anfang der Entwicklung
stehn, die praktische Palästinaarbeit die ökonomische Position der Juden im
Lande gestärkt. Ebenso wichtig aber sind die moralischen Erfolge, die die
Palästinakommission durch ihre umsichtige, methodische und praktische Arbeit in
der jüdischen wie in der nichtjüdischer Welt errungen hat; sie dürften namentlich
auch das Vertrauen der türkischen Regierung zu dem Willen und den Fähig¬
keiten des jüdischen Volks steigern. Und aus mancherlei Anzeichen läßt sich
schließen, daß in Stambul die Politik des Sultans Bajazet des Zweiten, der
1492 die aus Spanien Vertriebnen Juden aufnahm und dabei sagte: „Ihr nennt
Ferdinand von Aragonien einen weisen König! Er aber macht unser Land
reich und sein eignes arm!" noch heute nicht ganz verlassen und vergessen ist.

Das jüdische Kapital setzt neuerdings mit Unternehmungen industriellen,
kommerziellen und auch landwirtschaftlichen Charakters kräftig ein; es find das
natürlich Äußerungen der Privatinitiative, aber die Palästinakvmmission bahnt
ihnen den Weg, indem sie mit Eifer und Erfolg an die wissenschaftliche und
praktische Erforschung Palästinas gegangen ist. Ein landwirtschaftliches und
technisches Auskunftsbureau ist von ihr errichtet worden, eine Kunstgewerbeschule
blüht in Jerusalem und erzeugt die ersten palüstinischen Teppiche; eine land¬
wirtschaftliche Versuchsstation ist im Entstehn begriffen, ein hygienisches Labora¬
torium zur Bekämpfung der endemischen Krankheiten ist geplant, die Errichtung
einer hebräischen Mittelschule in Jaffa gesichert — kurz, Bedeutendes ist seit
dem Jahre 1903 geleistet, Bedeutenderes noch ist eingeleitet oder für die Zukunft


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[0297] Zehn Jahre Zionismus Maximalkonzession versteifen, sondern sie soll auch speziellere und geringere Konzessionen anstreben wie etwa für die Palästinabank, für den Landkauf, für die Einwanderung, für den Empfang des „Zehnten" usw. Und für diese ge¬ samte diplomatisch-politische Tätigkeit kann der reale Boden nicht besser geschaffen und, wenn geschaffen, geebnet werden als durch eine planmäßige, energische, un¬ entwegte Arbeit in Palästina, die greifbare Ergebnisse zeitigt. Das Ziel dieser Arbeit ist einerseits, den Komplex von Bedingungen zu schaffen, der für eine natürliche, stetig wachsende Einwanderung nötig ist, andrerseits, den jüdischen Massen einen entsprechenden Einfluß auf das kulturwirtschaftliche und soziale Leben in Palästina zu sichern. Keins der beiden Ziele benötigt als Grundlage des Charters. Der Charter schafft überhaupt nicht als solcher die Bedingungen für eine jüdische Masseneinwandrung. Eine Großkolonisation wird nicht „ge¬ macht". Es liegt vielmehr in ihrem Wesen, daß sie mit einer systematischen Tätigkeit in bescheidnen Umfange beginnt, und, von den natürlichen Bedingungen des Kolonisationsgebiets begünstigt, fortschreitend den Boden für eine Massen¬ siedlung schafft. Das ist eine Erkenntnis, die sich aus der Betrachtung der Geschichte der großen Wandrungen und Siedlungen in den letzten Jahrhunderten ergibt. Und daß dieser Erkenntnis zufolge nun auch in Palästina eine der Wirklichkeit entsprechende Kolonisationsmethode eingeschlagen ist, eröffnet für den Zionismus verheißungsvolle Aussichten. Denn schon gegenwärtig hat, obwohl wir erst im Anfang der Entwicklung stehn, die praktische Palästinaarbeit die ökonomische Position der Juden im Lande gestärkt. Ebenso wichtig aber sind die moralischen Erfolge, die die Palästinakommission durch ihre umsichtige, methodische und praktische Arbeit in der jüdischen wie in der nichtjüdischer Welt errungen hat; sie dürften namentlich auch das Vertrauen der türkischen Regierung zu dem Willen und den Fähig¬ keiten des jüdischen Volks steigern. Und aus mancherlei Anzeichen läßt sich schließen, daß in Stambul die Politik des Sultans Bajazet des Zweiten, der 1492 die aus Spanien Vertriebnen Juden aufnahm und dabei sagte: „Ihr nennt Ferdinand von Aragonien einen weisen König! Er aber macht unser Land reich und sein eignes arm!" noch heute nicht ganz verlassen und vergessen ist. Das jüdische Kapital setzt neuerdings mit Unternehmungen industriellen, kommerziellen und auch landwirtschaftlichen Charakters kräftig ein; es find das natürlich Äußerungen der Privatinitiative, aber die Palästinakvmmission bahnt ihnen den Weg, indem sie mit Eifer und Erfolg an die wissenschaftliche und praktische Erforschung Palästinas gegangen ist. Ein landwirtschaftliches und technisches Auskunftsbureau ist von ihr errichtet worden, eine Kunstgewerbeschule blüht in Jerusalem und erzeugt die ersten palüstinischen Teppiche; eine land¬ wirtschaftliche Versuchsstation ist im Entstehn begriffen, ein hygienisches Labora¬ torium zur Bekämpfung der endemischen Krankheiten ist geplant, die Errichtung einer hebräischen Mittelschule in Jaffa gesichert — kurz, Bedeutendes ist seit dem Jahre 1903 geleistet, Bedeutenderes noch ist eingeleitet oder für die Zukunft Grenzboten III 1907 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/297>, abgerufen am 14.05.2024.