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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Lthik und Kapitalismus

wachen Augen umgesehen und als die Frucht seiner Schulung ein gutes Buch
auf den Tisch aller Parlamentshüuser, wo von Arbeit -- Kapital -- Volks¬
wohl geredet wird, niedergelegt.*)

Das Buch liest sich leichter, als die Schwere seines Gehalts ahnen läßt.
Traub ist ein guter Sullst. Als Theologe brachte er das Pectus mit und hat
uns doch mit Pastoralen Phrasen verschont, mit denen inferiore Geister so oft
im Kanzelton die soziale Frage spielend lösen. Daß der Verfasser Theologe
ist, mag ihm vielleicht in den Augen der strengen Wissenschafter schaden. Aber
mit Unrecht. Traub ist außerdem aus dem Kreise Naumanns. Aber Traub
teilt nicht den pessimistischen Zug von Naumanns religiös-christlicher Welt¬
anschauung. Eine Literaturangabe am Schlüsse jedes der sechsundzwanzig Para¬
graphen zeigt, daß Traub mit schwäbischer Akribie zu Werke ging, mit dem
Schulsack eines alten Tübinger Stiftsrepetenten. Traub hat etwas innerlich
Verwandtes mit seinen Landsleuten Friedrich List und dem Philosophen Planck,
Sinn für das reale Leben und Bedürfnis zu Begriffskonstruktion zugleich.

Das Werk Traubs ist es also wert, eingehender betrachtet zu werden in
Für und Wider. Traub ist sich klar über die Schwierigkeit der ganzen Er¬
örterung. Er sagt einleitend: "Unsre Aufgabe ist, zuverlässige Maßstäbe für die
sittliche Beurteilung der heutigen kapitalistischen Entwicklung zu gewinnen. Hierzu
ist ein Doppeltes nötig. Einmal müssen wir prüfen, welche sittlichen Wir¬
kungen von den bestehenden wirtschaftlichen Ordnungen ausgehn. Dann gilt es
den Versuch, bestimmte sittliche Richtungslinien zu ziehn, nach welchen die volks¬
wirtschaftliche Entwicklung beeinflußt werden soll."

Aber Traub will sich nicht bei dieser philosophisch-sozialen Arbeit begnügen.
Er will höher gehn. Das Resultat soll ihn stark machen, Normen zu finden
zur sittlichen Beeinflussung der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Es ist ein
weiter Weg, der bis zu diesem Resultat und zu den Mitteln der Ethik führt,
in denen auch heute das Heil der Volksgesundung zu suchen ist. Mit zwei
ethischen Gedankenreihen schließt das Buch, und ich will sie zuerst als das Ziel
der ganzen Untersuchung nennen zur Beleuchtung der ganzen scharfsinnigen De¬
duktion. Erstens: keine Technik und keine Wirtschaft kann die sittlichen Kräfte
ersetzen. Zweitens: die Ethik --sagen wir die Ethik Christi -- darf die Ver¬
bindung mit dem Leben nie verlieren. Ich gebe diese beiden Gedankenreihen
mit den Worten Traubs wieder zur kurzen Orientierung über das ganze
Problem.

Traub sagt in seinem Rückblick und Ausblick am Schluß: "Die Ethik
erfaßt den ganzen Menschen und zwingt ihn in jedem Beruf, sittlicher Mensch
zu bleiben. Die Kunst des sittlichen Lebens ist überall dieselbe. Dazu kommt,
daß keine Technik und keine Wirtschaft die sittlichen Kräfte ersetzen kann. Denn



*) Ethik und Kapitalismus. Grundzüge einer Sozialethik von I,lo. tksol. Traub.
Heilbronn, E. Salzer, 1905. 4 Mark 20 Pfennige.
Lthik und Kapitalismus

wachen Augen umgesehen und als die Frucht seiner Schulung ein gutes Buch
auf den Tisch aller Parlamentshüuser, wo von Arbeit — Kapital — Volks¬
wohl geredet wird, niedergelegt.*)

Das Buch liest sich leichter, als die Schwere seines Gehalts ahnen läßt.
Traub ist ein guter Sullst. Als Theologe brachte er das Pectus mit und hat
uns doch mit Pastoralen Phrasen verschont, mit denen inferiore Geister so oft
im Kanzelton die soziale Frage spielend lösen. Daß der Verfasser Theologe
ist, mag ihm vielleicht in den Augen der strengen Wissenschafter schaden. Aber
mit Unrecht. Traub ist außerdem aus dem Kreise Naumanns. Aber Traub
teilt nicht den pessimistischen Zug von Naumanns religiös-christlicher Welt¬
anschauung. Eine Literaturangabe am Schlüsse jedes der sechsundzwanzig Para¬
graphen zeigt, daß Traub mit schwäbischer Akribie zu Werke ging, mit dem
Schulsack eines alten Tübinger Stiftsrepetenten. Traub hat etwas innerlich
Verwandtes mit seinen Landsleuten Friedrich List und dem Philosophen Planck,
Sinn für das reale Leben und Bedürfnis zu Begriffskonstruktion zugleich.

Das Werk Traubs ist es also wert, eingehender betrachtet zu werden in
Für und Wider. Traub ist sich klar über die Schwierigkeit der ganzen Er¬
örterung. Er sagt einleitend: „Unsre Aufgabe ist, zuverlässige Maßstäbe für die
sittliche Beurteilung der heutigen kapitalistischen Entwicklung zu gewinnen. Hierzu
ist ein Doppeltes nötig. Einmal müssen wir prüfen, welche sittlichen Wir¬
kungen von den bestehenden wirtschaftlichen Ordnungen ausgehn. Dann gilt es
den Versuch, bestimmte sittliche Richtungslinien zu ziehn, nach welchen die volks¬
wirtschaftliche Entwicklung beeinflußt werden soll."

Aber Traub will sich nicht bei dieser philosophisch-sozialen Arbeit begnügen.
Er will höher gehn. Das Resultat soll ihn stark machen, Normen zu finden
zur sittlichen Beeinflussung der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Es ist ein
weiter Weg, der bis zu diesem Resultat und zu den Mitteln der Ethik führt,
in denen auch heute das Heil der Volksgesundung zu suchen ist. Mit zwei
ethischen Gedankenreihen schließt das Buch, und ich will sie zuerst als das Ziel
der ganzen Untersuchung nennen zur Beleuchtung der ganzen scharfsinnigen De¬
duktion. Erstens: keine Technik und keine Wirtschaft kann die sittlichen Kräfte
ersetzen. Zweitens: die Ethik —sagen wir die Ethik Christi — darf die Ver¬
bindung mit dem Leben nie verlieren. Ich gebe diese beiden Gedankenreihen
mit den Worten Traubs wieder zur kurzen Orientierung über das ganze
Problem.

Traub sagt in seinem Rückblick und Ausblick am Schluß: „Die Ethik
erfaßt den ganzen Menschen und zwingt ihn in jedem Beruf, sittlicher Mensch
zu bleiben. Die Kunst des sittlichen Lebens ist überall dieselbe. Dazu kommt,
daß keine Technik und keine Wirtschaft die sittlichen Kräfte ersetzen kann. Denn



*) Ethik und Kapitalismus. Grundzüge einer Sozialethik von I,lo. tksol. Traub.
Heilbronn, E. Salzer, 1905. 4 Mark 20 Pfennige.
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[0299] Lthik und Kapitalismus wachen Augen umgesehen und als die Frucht seiner Schulung ein gutes Buch auf den Tisch aller Parlamentshüuser, wo von Arbeit — Kapital — Volks¬ wohl geredet wird, niedergelegt.*) Das Buch liest sich leichter, als die Schwere seines Gehalts ahnen läßt. Traub ist ein guter Sullst. Als Theologe brachte er das Pectus mit und hat uns doch mit Pastoralen Phrasen verschont, mit denen inferiore Geister so oft im Kanzelton die soziale Frage spielend lösen. Daß der Verfasser Theologe ist, mag ihm vielleicht in den Augen der strengen Wissenschafter schaden. Aber mit Unrecht. Traub ist außerdem aus dem Kreise Naumanns. Aber Traub teilt nicht den pessimistischen Zug von Naumanns religiös-christlicher Welt¬ anschauung. Eine Literaturangabe am Schlüsse jedes der sechsundzwanzig Para¬ graphen zeigt, daß Traub mit schwäbischer Akribie zu Werke ging, mit dem Schulsack eines alten Tübinger Stiftsrepetenten. Traub hat etwas innerlich Verwandtes mit seinen Landsleuten Friedrich List und dem Philosophen Planck, Sinn für das reale Leben und Bedürfnis zu Begriffskonstruktion zugleich. Das Werk Traubs ist es also wert, eingehender betrachtet zu werden in Für und Wider. Traub ist sich klar über die Schwierigkeit der ganzen Er¬ örterung. Er sagt einleitend: „Unsre Aufgabe ist, zuverlässige Maßstäbe für die sittliche Beurteilung der heutigen kapitalistischen Entwicklung zu gewinnen. Hierzu ist ein Doppeltes nötig. Einmal müssen wir prüfen, welche sittlichen Wir¬ kungen von den bestehenden wirtschaftlichen Ordnungen ausgehn. Dann gilt es den Versuch, bestimmte sittliche Richtungslinien zu ziehn, nach welchen die volks¬ wirtschaftliche Entwicklung beeinflußt werden soll." Aber Traub will sich nicht bei dieser philosophisch-sozialen Arbeit begnügen. Er will höher gehn. Das Resultat soll ihn stark machen, Normen zu finden zur sittlichen Beeinflussung der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Es ist ein weiter Weg, der bis zu diesem Resultat und zu den Mitteln der Ethik führt, in denen auch heute das Heil der Volksgesundung zu suchen ist. Mit zwei ethischen Gedankenreihen schließt das Buch, und ich will sie zuerst als das Ziel der ganzen Untersuchung nennen zur Beleuchtung der ganzen scharfsinnigen De¬ duktion. Erstens: keine Technik und keine Wirtschaft kann die sittlichen Kräfte ersetzen. Zweitens: die Ethik —sagen wir die Ethik Christi — darf die Ver¬ bindung mit dem Leben nie verlieren. Ich gebe diese beiden Gedankenreihen mit den Worten Traubs wieder zur kurzen Orientierung über das ganze Problem. Traub sagt in seinem Rückblick und Ausblick am Schluß: „Die Ethik erfaßt den ganzen Menschen und zwingt ihn in jedem Beruf, sittlicher Mensch zu bleiben. Die Kunst des sittlichen Lebens ist überall dieselbe. Dazu kommt, daß keine Technik und keine Wirtschaft die sittlichen Kräfte ersetzen kann. Denn *) Ethik und Kapitalismus. Grundzüge einer Sozialethik von I,lo. tksol. Traub. Heilbronn, E. Salzer, 1905. 4 Mark 20 Pfennige.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/299>, abgerufen am 14.05.2024.