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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Thomas Bailey Aldrich

Muse: er lacht über den gelungner Gaunerstreich, durch den er sein mühsam
erworbnes Vermögen eingebüßt, und hat seine Rachepläne gegen den Gold¬
gräber, dem er mit Lebensgefahr nachgespürt hat, bald leichten Herzens ver¬
gessen. Diese dramatische Episode, die nach dem Herzen Bret Hartes gewesen
sein muß, ist mit köstlicher Laune wiedergegeben. Daß übrigens Amerikas
Autoren derartige Begebenheiten nicht aus ihrer Phantasie zu schöpften brauchten,
daß die Wirklichkeit ihnen reichen Stoff dafür bot, ist mehrfach bestätigt worden.
Für Aldrich ist es ganz bezeichnend, wie er den Gauner im kritischen Augen¬
blick von der Bildfläche verschwinden läßt, damit alles in Harmonie ende.

Zuweilen klingen in Aldrichs Lyrik ernstere Töne an, besonders in den
"Achtundzwanzig Sonetten". Da ists, wie wenn ein andrer zu uns spräche
als der hochherzige Dichter, der des Lebens Sonnenstrahlen so glücklich zu
fangen und festzuhalten wußte. Es sind zum Teil Erinnerungen an seine
Reisen -- die schwarze Silhouette Fredericksburgs mit den Schatten des nahenden
Verhängnisses, die Geheimnisse der nachtdunkeln Wüste, dann wieder ein Hinein¬
tauchen in phantastische Träume, die ostwärts fliegen wollen in ein sonndurch-
glühtes Land, oder ein Grübeln über das tiefe Ausruhen im Schlafe, und wie
es sein wird, wenn wir nicht wieder erwachen -- das sind die Themata der
Sonette. Sie stehn meiner Ansicht nach höher als die übrigen Poesien
Aldrichs, ausgenommen vielleicht die Gedichte, in denen die keusche Anmut der
Kindesseele wiedergegeben wird.

Die Eigentümlichkeit der kindlichen Persönlichkeit hat Aldrich trefflich ver¬
standen, und wenn man genau zusieht, so spuken in einigen seiner kurzen Erzählungen
schon die ersten Spuren jener übertriebnen Rücksichtnahme auf die Individualität
des Kindes, die gegenwärtig in der amerikanischen Jugenderziehung zum Grundsatz
geworden ist und in dieser uneingeschränkten Anwendung nur verderblich wirken
kann. Doch zeigt sich hierin die Reaktion gegen die eignen Kindheitserfahrungen.
Wer die puritanische Sonntagsfeier, die sogar so stille Spielkameraden wie
Bücher verbannte, so hassen gelernt hat wie Aldrich, der wird die Erziehung
der nächsten Generation auf andrer Basis aufbauen. Das ist der ernstere Inhalt,
der solchen lustigen Büchern wie Aldrichs Ltor/ ok a back oder den Knaben¬
geschichten Mark Twains zugrunde gelegt ist. Auch sie trugen das ihre dazu
bei, mit dem alten Gerümpel der sogenannten ethischen Anschauungen aus der
Zeit der Pilgerväter aufzuräumen.

Solche kritische und erziehliche Tätigkeit sichert Aldrich einen Platz unter
den führenden Geistern seines Landes, wenngleich ihm vielleicht die Nachwelt
nicht einhellig den Kranz der Unsterblichkeit reichen wird. Das eben ist das
sympathische an dieser jungen Literatur, daß fast alle ihre Dichter und Denker
ein klar abgegrenztes Ziel vor sich sehen, dem sie ihre volle, unverbrauchte Kraft
zuwenden. Und wenn ein solches Lebenswerk getan ist, vereint es sich mit
dem verwandten Streben andrer Mitarbeiter zu Nutz und Frommen des ganzen
Volkes. Dieses erntet die Früchte, ob auch das Werk des Einzelnen bescheiden


Thomas Bailey Aldrich

Muse: er lacht über den gelungner Gaunerstreich, durch den er sein mühsam
erworbnes Vermögen eingebüßt, und hat seine Rachepläne gegen den Gold¬
gräber, dem er mit Lebensgefahr nachgespürt hat, bald leichten Herzens ver¬
gessen. Diese dramatische Episode, die nach dem Herzen Bret Hartes gewesen
sein muß, ist mit köstlicher Laune wiedergegeben. Daß übrigens Amerikas
Autoren derartige Begebenheiten nicht aus ihrer Phantasie zu schöpften brauchten,
daß die Wirklichkeit ihnen reichen Stoff dafür bot, ist mehrfach bestätigt worden.
Für Aldrich ist es ganz bezeichnend, wie er den Gauner im kritischen Augen¬
blick von der Bildfläche verschwinden läßt, damit alles in Harmonie ende.

Zuweilen klingen in Aldrichs Lyrik ernstere Töne an, besonders in den
„Achtundzwanzig Sonetten". Da ists, wie wenn ein andrer zu uns spräche
als der hochherzige Dichter, der des Lebens Sonnenstrahlen so glücklich zu
fangen und festzuhalten wußte. Es sind zum Teil Erinnerungen an seine
Reisen — die schwarze Silhouette Fredericksburgs mit den Schatten des nahenden
Verhängnisses, die Geheimnisse der nachtdunkeln Wüste, dann wieder ein Hinein¬
tauchen in phantastische Träume, die ostwärts fliegen wollen in ein sonndurch-
glühtes Land, oder ein Grübeln über das tiefe Ausruhen im Schlafe, und wie
es sein wird, wenn wir nicht wieder erwachen — das sind die Themata der
Sonette. Sie stehn meiner Ansicht nach höher als die übrigen Poesien
Aldrichs, ausgenommen vielleicht die Gedichte, in denen die keusche Anmut der
Kindesseele wiedergegeben wird.

Die Eigentümlichkeit der kindlichen Persönlichkeit hat Aldrich trefflich ver¬
standen, und wenn man genau zusieht, so spuken in einigen seiner kurzen Erzählungen
schon die ersten Spuren jener übertriebnen Rücksichtnahme auf die Individualität
des Kindes, die gegenwärtig in der amerikanischen Jugenderziehung zum Grundsatz
geworden ist und in dieser uneingeschränkten Anwendung nur verderblich wirken
kann. Doch zeigt sich hierin die Reaktion gegen die eignen Kindheitserfahrungen.
Wer die puritanische Sonntagsfeier, die sogar so stille Spielkameraden wie
Bücher verbannte, so hassen gelernt hat wie Aldrich, der wird die Erziehung
der nächsten Generation auf andrer Basis aufbauen. Das ist der ernstere Inhalt,
der solchen lustigen Büchern wie Aldrichs Ltor/ ok a back oder den Knaben¬
geschichten Mark Twains zugrunde gelegt ist. Auch sie trugen das ihre dazu
bei, mit dem alten Gerümpel der sogenannten ethischen Anschauungen aus der
Zeit der Pilgerväter aufzuräumen.

Solche kritische und erziehliche Tätigkeit sichert Aldrich einen Platz unter
den führenden Geistern seines Landes, wenngleich ihm vielleicht die Nachwelt
nicht einhellig den Kranz der Unsterblichkeit reichen wird. Das eben ist das
sympathische an dieser jungen Literatur, daß fast alle ihre Dichter und Denker
ein klar abgegrenztes Ziel vor sich sehen, dem sie ihre volle, unverbrauchte Kraft
zuwenden. Und wenn ein solches Lebenswerk getan ist, vereint es sich mit
dem verwandten Streben andrer Mitarbeiter zu Nutz und Frommen des ganzen
Volkes. Dieses erntet die Früchte, ob auch das Werk des Einzelnen bescheiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/312>, abgerufen am 15.05.2024.