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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Grenburg

An den am zweiten Tage der Fahrt zunehmenden Schneeflächen und der
trotz blendenden Sonnenscheins sinkenden Temperatur merken wir, daß wir
dem kältern Norden zueilen. Bei Tjumen-Aryk erreichen wir den Ssyr-darja
zugleich mit der alten Poststraße, die dem Strom nunmehr bis Perowsk folgt,
während die Eisenbahn in gerader Richtung seine Bogen abschneidet. So
wechseln von nun an Steppen-, auch mit ausgedehnten Ssaxaulgebüschen be-
standne Flächen mit Niederungslandschaft, zwischen deren dichtem, verschiednes
Raubzeug beherbergenden Gebüsch und Waldstand der Strom verschwindet.
Aber er ist tückisch und hat vor jetzt drei Jahren durch sein Frühjahrshochwasser
auf, glaube ich. über 200 Kilometer Länge den Schienenweg so zerstört, daß
er auf einen mehrere Meter hohen Damm etwas östlich verlegt werden mußte.
Eine ganze Reihe verschiedenartigster wasserbautechnischer Arbeiten, Buhnen,
Terrassen, Stauwehre, Steinpackungen sind zum Schutz der dem Strom zu¬
gekehrten , ganz flach geböschten Dammseite besonders in dem Niederungslande
zwischen Perowsk und Karmaktschi notwendig geworden. Dieser Strich, den
die alte Poststraße in weitem Bogen umging, ist von Sümpfen und Seen,
Aryks und Flüssen durchsetzt und hat wieder einer größern Anzahl Brücken¬
bauten, darunter zwei von 125 Meter Länge, an denen trotz Frost unter
mächtigen Holzbaracken gemauert wurde, zum Dasein verholfen, um die Wasser¬
abführung zu regeln. Halbeingeschnittene Erdhütten und Kirgisenjurten liegen
trotz der Überschwemmungsgefahr in diesem Überflutungsgebiet verstreut, und
das dazu gehörende Haus- und sonstige Getier sucht sich unter der immer noch
festen Schneeschicht mühsam seine Nahrung. Das Streckenpersonal reitet zu
Pferde oder Kamel seine Strecke ab, Kamele ziehen niedrige Schlitten auf
schmalen Pfaden in einsamer Fahrt durch das Buschwerk. Eine Ssaxauloo.se
bringt mit graugrünem Schimmer etwas Abwechslung in die Schneelandschaft.
Schon haben hier und da Schneezüune gestellt werden müssen, und einmal
erinnert eine mit Hacke und Schaufel in Halbpelz und Walenki (Filzschuhen)
bereitstehende, von dem langsam fahrenden Zuge passierte Arbeiterkolonne, daß
Schneeansammlungen hier gelegentlich eine ebenso unangenehme Erscheinung
sind wie die Sandverwehungen an der Transkaspischen Eisenbahn. Weiterhin
jenseits Kasalinsk bringt der Kampf mit dem Schnee bei Nordstürmen noch
viel größere Gefahren. Da fuhren wir durch endlose Schneefelder, stellenweise
durch tief in Schneehügel eingeschnittene Hohlwege, in denen mancher Zug
festgesessen hat. In zwei und drei Reihen standen beiderseits die Schneezüune
hinter- und auch übereinander eigentlich bis Orenburg und mußten in ihrer
Ausdehnung Staunen erregen, denn der Umfang der geleisteten Arbeit steht
im Mißverhältnis zur geringen Dichtigkeit der Bevölkerung und zu der zur
Verfügung stehenden kleinen Anzahl Streckenarbeiter, denen keine Soldaten zu
gelegentlicher Unterstützung zugeführt werden können.

Von Kasalinsk aus läuft die Eisenbahn zum Nordostufer des Aralsees.
Hier war tiefer Winter, achtzehn Grad Kälte und in dem nächtlichen Dunkel


In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Grenburg

An den am zweiten Tage der Fahrt zunehmenden Schneeflächen und der
trotz blendenden Sonnenscheins sinkenden Temperatur merken wir, daß wir
dem kältern Norden zueilen. Bei Tjumen-Aryk erreichen wir den Ssyr-darja
zugleich mit der alten Poststraße, die dem Strom nunmehr bis Perowsk folgt,
während die Eisenbahn in gerader Richtung seine Bogen abschneidet. So
wechseln von nun an Steppen-, auch mit ausgedehnten Ssaxaulgebüschen be-
standne Flächen mit Niederungslandschaft, zwischen deren dichtem, verschiednes
Raubzeug beherbergenden Gebüsch und Waldstand der Strom verschwindet.
Aber er ist tückisch und hat vor jetzt drei Jahren durch sein Frühjahrshochwasser
auf, glaube ich. über 200 Kilometer Länge den Schienenweg so zerstört, daß
er auf einen mehrere Meter hohen Damm etwas östlich verlegt werden mußte.
Eine ganze Reihe verschiedenartigster wasserbautechnischer Arbeiten, Buhnen,
Terrassen, Stauwehre, Steinpackungen sind zum Schutz der dem Strom zu¬
gekehrten , ganz flach geböschten Dammseite besonders in dem Niederungslande
zwischen Perowsk und Karmaktschi notwendig geworden. Dieser Strich, den
die alte Poststraße in weitem Bogen umging, ist von Sümpfen und Seen,
Aryks und Flüssen durchsetzt und hat wieder einer größern Anzahl Brücken¬
bauten, darunter zwei von 125 Meter Länge, an denen trotz Frost unter
mächtigen Holzbaracken gemauert wurde, zum Dasein verholfen, um die Wasser¬
abführung zu regeln. Halbeingeschnittene Erdhütten und Kirgisenjurten liegen
trotz der Überschwemmungsgefahr in diesem Überflutungsgebiet verstreut, und
das dazu gehörende Haus- und sonstige Getier sucht sich unter der immer noch
festen Schneeschicht mühsam seine Nahrung. Das Streckenpersonal reitet zu
Pferde oder Kamel seine Strecke ab, Kamele ziehen niedrige Schlitten auf
schmalen Pfaden in einsamer Fahrt durch das Buschwerk. Eine Ssaxauloo.se
bringt mit graugrünem Schimmer etwas Abwechslung in die Schneelandschaft.
Schon haben hier und da Schneezüune gestellt werden müssen, und einmal
erinnert eine mit Hacke und Schaufel in Halbpelz und Walenki (Filzschuhen)
bereitstehende, von dem langsam fahrenden Zuge passierte Arbeiterkolonne, daß
Schneeansammlungen hier gelegentlich eine ebenso unangenehme Erscheinung
sind wie die Sandverwehungen an der Transkaspischen Eisenbahn. Weiterhin
jenseits Kasalinsk bringt der Kampf mit dem Schnee bei Nordstürmen noch
viel größere Gefahren. Da fuhren wir durch endlose Schneefelder, stellenweise
durch tief in Schneehügel eingeschnittene Hohlwege, in denen mancher Zug
festgesessen hat. In zwei und drei Reihen standen beiderseits die Schneezüune
hinter- und auch übereinander eigentlich bis Orenburg und mußten in ihrer
Ausdehnung Staunen erregen, denn der Umfang der geleisteten Arbeit steht
im Mißverhältnis zur geringen Dichtigkeit der Bevölkerung und zu der zur
Verfügung stehenden kleinen Anzahl Streckenarbeiter, denen keine Soldaten zu
gelegentlicher Unterstützung zugeführt werden können.

Von Kasalinsk aus läuft die Eisenbahn zum Nordostufer des Aralsees.
Hier war tiefer Winter, achtzehn Grad Kälte und in dem nächtlichen Dunkel


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[0314] In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Grenburg An den am zweiten Tage der Fahrt zunehmenden Schneeflächen und der trotz blendenden Sonnenscheins sinkenden Temperatur merken wir, daß wir dem kältern Norden zueilen. Bei Tjumen-Aryk erreichen wir den Ssyr-darja zugleich mit der alten Poststraße, die dem Strom nunmehr bis Perowsk folgt, während die Eisenbahn in gerader Richtung seine Bogen abschneidet. So wechseln von nun an Steppen-, auch mit ausgedehnten Ssaxaulgebüschen be- standne Flächen mit Niederungslandschaft, zwischen deren dichtem, verschiednes Raubzeug beherbergenden Gebüsch und Waldstand der Strom verschwindet. Aber er ist tückisch und hat vor jetzt drei Jahren durch sein Frühjahrshochwasser auf, glaube ich. über 200 Kilometer Länge den Schienenweg so zerstört, daß er auf einen mehrere Meter hohen Damm etwas östlich verlegt werden mußte. Eine ganze Reihe verschiedenartigster wasserbautechnischer Arbeiten, Buhnen, Terrassen, Stauwehre, Steinpackungen sind zum Schutz der dem Strom zu¬ gekehrten , ganz flach geböschten Dammseite besonders in dem Niederungslande zwischen Perowsk und Karmaktschi notwendig geworden. Dieser Strich, den die alte Poststraße in weitem Bogen umging, ist von Sümpfen und Seen, Aryks und Flüssen durchsetzt und hat wieder einer größern Anzahl Brücken¬ bauten, darunter zwei von 125 Meter Länge, an denen trotz Frost unter mächtigen Holzbaracken gemauert wurde, zum Dasein verholfen, um die Wasser¬ abführung zu regeln. Halbeingeschnittene Erdhütten und Kirgisenjurten liegen trotz der Überschwemmungsgefahr in diesem Überflutungsgebiet verstreut, und das dazu gehörende Haus- und sonstige Getier sucht sich unter der immer noch festen Schneeschicht mühsam seine Nahrung. Das Streckenpersonal reitet zu Pferde oder Kamel seine Strecke ab, Kamele ziehen niedrige Schlitten auf schmalen Pfaden in einsamer Fahrt durch das Buschwerk. Eine Ssaxauloo.se bringt mit graugrünem Schimmer etwas Abwechslung in die Schneelandschaft. Schon haben hier und da Schneezüune gestellt werden müssen, und einmal erinnert eine mit Hacke und Schaufel in Halbpelz und Walenki (Filzschuhen) bereitstehende, von dem langsam fahrenden Zuge passierte Arbeiterkolonne, daß Schneeansammlungen hier gelegentlich eine ebenso unangenehme Erscheinung sind wie die Sandverwehungen an der Transkaspischen Eisenbahn. Weiterhin jenseits Kasalinsk bringt der Kampf mit dem Schnee bei Nordstürmen noch viel größere Gefahren. Da fuhren wir durch endlose Schneefelder, stellenweise durch tief in Schneehügel eingeschnittene Hohlwege, in denen mancher Zug festgesessen hat. In zwei und drei Reihen standen beiderseits die Schneezüune hinter- und auch übereinander eigentlich bis Orenburg und mußten in ihrer Ausdehnung Staunen erregen, denn der Umfang der geleisteten Arbeit steht im Mißverhältnis zur geringen Dichtigkeit der Bevölkerung und zu der zur Verfügung stehenden kleinen Anzahl Streckenarbeiter, denen keine Soldaten zu gelegentlicher Unterstützung zugeführt werden können. Von Kasalinsk aus läuft die Eisenbahn zum Nordostufer des Aralsees. Hier war tiefer Winter, achtzehn Grad Kälte und in dem nächtlichen Dunkel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/314>, abgerufen am 15.05.2024.