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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Die christlichen Gewerkschaften in den Jahren 1,906 und 590?

Den christlichen Gewerkschaften liegt aber auch die Bildung ihrer Arbeiter,
besonders der führenden Kräfte am Herzen, Zu diesem Zwecke werden vom
Volksverein für das katholische Deutschland seit 1901 alljährlich Kurse von
acht- bis zehnwöchiger Dauer, desgleichen vom Gesamtverbande der evangelischen
Arbeitervereine in Gemeinschaft mit andern sozialpolitischen Korporationen seit
1904 alljährlich Kurse von vierwöchiger Dauer abgehalten. Hierdurch will man
den immer steigenden Anforderungen in geistiger Hinsicht gerecht werden. Ferner
wird in den letzten Jahren die billige sozialpolitische und gewerkschaftliche
Literatur energisch zu verbreiten gesucht. Der dieserhalb auf dem General¬
sekretariat in Köln eingerichtete Schriftenverlag erreichte in den ersten zehn
Monaten seines Bestehens einen Umsatz von etwa 20000 Mark.

Beachtung verdient noch, daß jetzt alle christlichen Gewerkschaften über eigne
Verbandsorgane verfügen. Es erscheinen gegenwärtig 24 mit einer Auflage
von über 400000 Exemplaren. Wöchentlich erscheinen 17, vierzehntäglich 9
und monatlich 1. Die Verbünde der Bergarbeiter, Bauhandwerker, Textil¬
arbeiter, Metallarbeiter, bayrischen Eisenbahner, Hilfs- und Trausportarbeiter
und Holzarbeiter haben jetzt eigne Redakteure angestellt.

Daß die Mitgliederzunahme tatsächlich anhält, beweist uns von neuem der
Mitgliederstand im Jahre 1907. Die Organisationen, d. h. die dem Gesamt-
verband angeschlossenen Verbände, der christlichen Gewerkschaften hatten sich
wiederum am I.April 1907 um 17 220 Mitglieder vermehrt, trotzdem daß wegen
der Neichstagswahl die gewerkschaftliche Agitation in der ersten Hälfte des
Quartals daniederlag, und sich nach der Wahlschlacht eine außerordentliche Ver-
sammlungsmüdigkeit zeigte. Folgende fünf Organisationen kommen hauptsächlich
in Betracht. Am 1. Mai 1907 betrug die Mitgliederzahl der Bergarbeiter 77111,
der Bauhandwerker 42209, der Textilarbeiter 40097, der Metallarbeiter 27341,
der bayrischen Eisenbahner 24500. Vergleicht man diese Zahlen mit denen im
Jahre 1906, die ich schon angeführt habe, so liegt doch wohl die Berechtigung
vor, daß man auch weiterhin eine andauernde Erstarkung annehmen darf.

Die Gegner der christlichen Gewerkschaften bezeichnen diese mit Vorliebe
als "ultramontane Organisationen". Aus welchem Grunde? Weil an der
Gründung verschiedner Verbände katholische Geistliche mitgewirkt haben? Der
Mtramontcmismus hat mit den christlichen Gewerkschaften nicht das mindeste
gemein. Sowohl die ersten Anregungen zur Gründung der meisten und größten
Verbände kamen aus Arbeiterkreisen, wie auch die Statuten und die einleitenden
Delegiertentage von Arbeitern selbst vorbereitet wurden.

Von besonderm Interesse ist bei dieser Gelegenheit die Gründung der so¬
genannten "vaterländischen Arbeitervereine". Brauchen wir tatsächlich noch eine
Gewerkschaftsrichtung? Nein! Das Zentralblatt schreibt: "In einem Lande,
in dem schon mehr als zwei Millionen Arbeiter gewerkschaftlich organisiert sind,
und diese, wie die Erfahrung lehrt, in den entscheidenden Situationen die seither
abseits Gestcmdnen mit sich reißen, ist der Zeitpunkt für derartige Gründungen


Die christlichen Gewerkschaften in den Jahren 1,906 und 590?

Den christlichen Gewerkschaften liegt aber auch die Bildung ihrer Arbeiter,
besonders der führenden Kräfte am Herzen, Zu diesem Zwecke werden vom
Volksverein für das katholische Deutschland seit 1901 alljährlich Kurse von
acht- bis zehnwöchiger Dauer, desgleichen vom Gesamtverbande der evangelischen
Arbeitervereine in Gemeinschaft mit andern sozialpolitischen Korporationen seit
1904 alljährlich Kurse von vierwöchiger Dauer abgehalten. Hierdurch will man
den immer steigenden Anforderungen in geistiger Hinsicht gerecht werden. Ferner
wird in den letzten Jahren die billige sozialpolitische und gewerkschaftliche
Literatur energisch zu verbreiten gesucht. Der dieserhalb auf dem General¬
sekretariat in Köln eingerichtete Schriftenverlag erreichte in den ersten zehn
Monaten seines Bestehens einen Umsatz von etwa 20000 Mark.

Beachtung verdient noch, daß jetzt alle christlichen Gewerkschaften über eigne
Verbandsorgane verfügen. Es erscheinen gegenwärtig 24 mit einer Auflage
von über 400000 Exemplaren. Wöchentlich erscheinen 17, vierzehntäglich 9
und monatlich 1. Die Verbünde der Bergarbeiter, Bauhandwerker, Textil¬
arbeiter, Metallarbeiter, bayrischen Eisenbahner, Hilfs- und Trausportarbeiter
und Holzarbeiter haben jetzt eigne Redakteure angestellt.

Daß die Mitgliederzunahme tatsächlich anhält, beweist uns von neuem der
Mitgliederstand im Jahre 1907. Die Organisationen, d. h. die dem Gesamt-
verband angeschlossenen Verbände, der christlichen Gewerkschaften hatten sich
wiederum am I.April 1907 um 17 220 Mitglieder vermehrt, trotzdem daß wegen
der Neichstagswahl die gewerkschaftliche Agitation in der ersten Hälfte des
Quartals daniederlag, und sich nach der Wahlschlacht eine außerordentliche Ver-
sammlungsmüdigkeit zeigte. Folgende fünf Organisationen kommen hauptsächlich
in Betracht. Am 1. Mai 1907 betrug die Mitgliederzahl der Bergarbeiter 77111,
der Bauhandwerker 42209, der Textilarbeiter 40097, der Metallarbeiter 27341,
der bayrischen Eisenbahner 24500. Vergleicht man diese Zahlen mit denen im
Jahre 1906, die ich schon angeführt habe, so liegt doch wohl die Berechtigung
vor, daß man auch weiterhin eine andauernde Erstarkung annehmen darf.

Die Gegner der christlichen Gewerkschaften bezeichnen diese mit Vorliebe
als „ultramontane Organisationen". Aus welchem Grunde? Weil an der
Gründung verschiedner Verbände katholische Geistliche mitgewirkt haben? Der
Mtramontcmismus hat mit den christlichen Gewerkschaften nicht das mindeste
gemein. Sowohl die ersten Anregungen zur Gründung der meisten und größten
Verbände kamen aus Arbeiterkreisen, wie auch die Statuten und die einleitenden
Delegiertentage von Arbeitern selbst vorbereitet wurden.

Von besonderm Interesse ist bei dieser Gelegenheit die Gründung der so¬
genannten „vaterländischen Arbeitervereine". Brauchen wir tatsächlich noch eine
Gewerkschaftsrichtung? Nein! Das Zentralblatt schreibt: „In einem Lande,
in dem schon mehr als zwei Millionen Arbeiter gewerkschaftlich organisiert sind,
und diese, wie die Erfahrung lehrt, in den entscheidenden Situationen die seither
abseits Gestcmdnen mit sich reißen, ist der Zeitpunkt für derartige Gründungen


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[0338] Die christlichen Gewerkschaften in den Jahren 1,906 und 590? Den christlichen Gewerkschaften liegt aber auch die Bildung ihrer Arbeiter, besonders der führenden Kräfte am Herzen, Zu diesem Zwecke werden vom Volksverein für das katholische Deutschland seit 1901 alljährlich Kurse von acht- bis zehnwöchiger Dauer, desgleichen vom Gesamtverbande der evangelischen Arbeitervereine in Gemeinschaft mit andern sozialpolitischen Korporationen seit 1904 alljährlich Kurse von vierwöchiger Dauer abgehalten. Hierdurch will man den immer steigenden Anforderungen in geistiger Hinsicht gerecht werden. Ferner wird in den letzten Jahren die billige sozialpolitische und gewerkschaftliche Literatur energisch zu verbreiten gesucht. Der dieserhalb auf dem General¬ sekretariat in Köln eingerichtete Schriftenverlag erreichte in den ersten zehn Monaten seines Bestehens einen Umsatz von etwa 20000 Mark. Beachtung verdient noch, daß jetzt alle christlichen Gewerkschaften über eigne Verbandsorgane verfügen. Es erscheinen gegenwärtig 24 mit einer Auflage von über 400000 Exemplaren. Wöchentlich erscheinen 17, vierzehntäglich 9 und monatlich 1. Die Verbünde der Bergarbeiter, Bauhandwerker, Textil¬ arbeiter, Metallarbeiter, bayrischen Eisenbahner, Hilfs- und Trausportarbeiter und Holzarbeiter haben jetzt eigne Redakteure angestellt. Daß die Mitgliederzunahme tatsächlich anhält, beweist uns von neuem der Mitgliederstand im Jahre 1907. Die Organisationen, d. h. die dem Gesamt- verband angeschlossenen Verbände, der christlichen Gewerkschaften hatten sich wiederum am I.April 1907 um 17 220 Mitglieder vermehrt, trotzdem daß wegen der Neichstagswahl die gewerkschaftliche Agitation in der ersten Hälfte des Quartals daniederlag, und sich nach der Wahlschlacht eine außerordentliche Ver- sammlungsmüdigkeit zeigte. Folgende fünf Organisationen kommen hauptsächlich in Betracht. Am 1. Mai 1907 betrug die Mitgliederzahl der Bergarbeiter 77111, der Bauhandwerker 42209, der Textilarbeiter 40097, der Metallarbeiter 27341, der bayrischen Eisenbahner 24500. Vergleicht man diese Zahlen mit denen im Jahre 1906, die ich schon angeführt habe, so liegt doch wohl die Berechtigung vor, daß man auch weiterhin eine andauernde Erstarkung annehmen darf. Die Gegner der christlichen Gewerkschaften bezeichnen diese mit Vorliebe als „ultramontane Organisationen". Aus welchem Grunde? Weil an der Gründung verschiedner Verbände katholische Geistliche mitgewirkt haben? Der Mtramontcmismus hat mit den christlichen Gewerkschaften nicht das mindeste gemein. Sowohl die ersten Anregungen zur Gründung der meisten und größten Verbände kamen aus Arbeiterkreisen, wie auch die Statuten und die einleitenden Delegiertentage von Arbeitern selbst vorbereitet wurden. Von besonderm Interesse ist bei dieser Gelegenheit die Gründung der so¬ genannten „vaterländischen Arbeitervereine". Brauchen wir tatsächlich noch eine Gewerkschaftsrichtung? Nein! Das Zentralblatt schreibt: „In einem Lande, in dem schon mehr als zwei Millionen Arbeiter gewerkschaftlich organisiert sind, und diese, wie die Erfahrung lehrt, in den entscheidenden Situationen die seither abseits Gestcmdnen mit sich reißen, ist der Zeitpunkt für derartige Gründungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/338>, abgerufen am 05.06.2024.