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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Eine neue Blücher-Biographie

Aufgabe unterzogen hat, uns ein Lebensbild des Mannes zu geben, der uns einst
"bewußt und groß vom Feinde losriß". Das Werk*), von dem der erste Band
vorliegt, ist mit großem Fleiß unter sorgfältiger Benutzung des verfügbaren
gedruckten Materials bearbeitet, und das bisher Bekannte ist dabei durch
mancherlei noch nicht benutzte archivalische Quellen ergänzt worden. Die Aus¬
stattung des mit sechs Bildnissen aus verschiednen Lebensaltern Blüchers und
neunzehn Kartenskizzen versehenen Buches ist sehr gediegen. Dieser erste Band
reicht bis zum Jahre 1811. Eine Würdigung Blüchers als Feldherr ist dem
zweiten (Schluß-)Bande vorbehalten.

Man darf gespannt sein, wie der Verfasser insbesondre diese Aufgabe lösen
wird, können wir uns doch die Führertätigkeit Blüchers kaum anders als
gemeinsam mit Gneisenau ausgeübt denken, wohl mit eine Erklärung dafür,
daß Blücher noch keine würdige Biographie gefunden hat. Unzweifelhaft gebührt
Gneisenau ein reiches Maß an den Erfolgen der Schlesischen Armee, ein
reicheres, als es sonst einem Chef des Generalstabes zufüllt, aber inmitten der
Großtaten des Heeres von der Katzbach bis Belle-Alliance steht doch die alles
überragende herrliche Gestalt des alten Helden. Seine Seele barg die Glut,
an der sich das Kriegsfeuer immer wieder aufs neue entzündete, seiner fort¬
reißenden Gewalt war es zu danken, daß sich die Kriegführung der Koalition
nicht an ihren eignen Reibungen erschöpfte. Blücher ist mit nichten ein vor¬
wiegend repräsentativer General, wie sie uns Sir Ion Hamilton^) bei den
Japanern schildert, während dem Generalstabe dort die eigentliche Heerführung
zufiel. Der englische General fand bei den Japanern im mandschurischen Kriege
überhaupt geringe Begeisterungsfähigkeit für die Persönlichkeiten der Führer.
Der Individualismus ist nach ihm ein Produkt des Westens, nicht des Ostens.
Wenn die dem japanischen Volke eigentümliche Gemeinsamkeit des Empfindens
eine wesentliche Ursache seiner Erfolge ist, so wird man allerdings sagen können,
daß solche Gemeinsamkeit des Empfindens im höchsten Maße auch im preußischen
Volke 1813 bestand. Gleichwohl brachte sich damals eine Reihe ausgeprägter
Persönlichkeiten zur Geltung, und in ihrem Wirken auf der Grundlage der
vorhandnen Volksstimmung beruhte die hohe Leistungsfähigkeit der Nation.
Wie uns General von Unger in dem bis jetzt vorliegenden Bande das Werden
seines Helden schildert, ist schon erkennbar, daß wir es hier mit einer Persön¬
lichkeit zu tun haben, deren spätere Tätigkeit im Felde sich nimmermehr nach
Art japanischer Führer durch den Generalstab neutralisiert sehen konnte, und von
dem man nur Würde und Ruhe gefordert hätte. Für europäische Heere hat der
Ausspruch des Erzherzogs Albrecht von Österreichs) volle Giltigkeit: "Man
hat vielfach geglaubt, daß der Mangel unentbehrlicher Feldherrneigenschaften





*) Berlin, E. S. Mittler Sohn, 1907.
^ Ltakk soiÄp KooK II.
Über die Verantwortlichkeit im Kriege. Wien, 1869.
Eine neue Blücher-Biographie

Aufgabe unterzogen hat, uns ein Lebensbild des Mannes zu geben, der uns einst
„bewußt und groß vom Feinde losriß". Das Werk*), von dem der erste Band
vorliegt, ist mit großem Fleiß unter sorgfältiger Benutzung des verfügbaren
gedruckten Materials bearbeitet, und das bisher Bekannte ist dabei durch
mancherlei noch nicht benutzte archivalische Quellen ergänzt worden. Die Aus¬
stattung des mit sechs Bildnissen aus verschiednen Lebensaltern Blüchers und
neunzehn Kartenskizzen versehenen Buches ist sehr gediegen. Dieser erste Band
reicht bis zum Jahre 1811. Eine Würdigung Blüchers als Feldherr ist dem
zweiten (Schluß-)Bande vorbehalten.

Man darf gespannt sein, wie der Verfasser insbesondre diese Aufgabe lösen
wird, können wir uns doch die Führertätigkeit Blüchers kaum anders als
gemeinsam mit Gneisenau ausgeübt denken, wohl mit eine Erklärung dafür,
daß Blücher noch keine würdige Biographie gefunden hat. Unzweifelhaft gebührt
Gneisenau ein reiches Maß an den Erfolgen der Schlesischen Armee, ein
reicheres, als es sonst einem Chef des Generalstabes zufüllt, aber inmitten der
Großtaten des Heeres von der Katzbach bis Belle-Alliance steht doch die alles
überragende herrliche Gestalt des alten Helden. Seine Seele barg die Glut,
an der sich das Kriegsfeuer immer wieder aufs neue entzündete, seiner fort¬
reißenden Gewalt war es zu danken, daß sich die Kriegführung der Koalition
nicht an ihren eignen Reibungen erschöpfte. Blücher ist mit nichten ein vor¬
wiegend repräsentativer General, wie sie uns Sir Ion Hamilton^) bei den
Japanern schildert, während dem Generalstabe dort die eigentliche Heerführung
zufiel. Der englische General fand bei den Japanern im mandschurischen Kriege
überhaupt geringe Begeisterungsfähigkeit für die Persönlichkeiten der Führer.
Der Individualismus ist nach ihm ein Produkt des Westens, nicht des Ostens.
Wenn die dem japanischen Volke eigentümliche Gemeinsamkeit des Empfindens
eine wesentliche Ursache seiner Erfolge ist, so wird man allerdings sagen können,
daß solche Gemeinsamkeit des Empfindens im höchsten Maße auch im preußischen
Volke 1813 bestand. Gleichwohl brachte sich damals eine Reihe ausgeprägter
Persönlichkeiten zur Geltung, und in ihrem Wirken auf der Grundlage der
vorhandnen Volksstimmung beruhte die hohe Leistungsfähigkeit der Nation.
Wie uns General von Unger in dem bis jetzt vorliegenden Bande das Werden
seines Helden schildert, ist schon erkennbar, daß wir es hier mit einer Persön¬
lichkeit zu tun haben, deren spätere Tätigkeit im Felde sich nimmermehr nach
Art japanischer Führer durch den Generalstab neutralisiert sehen konnte, und von
dem man nur Würde und Ruhe gefordert hätte. Für europäische Heere hat der
Ausspruch des Erzherzogs Albrecht von Österreichs) volle Giltigkeit: „Man
hat vielfach geglaubt, daß der Mangel unentbehrlicher Feldherrneigenschaften





*) Berlin, E. S. Mittler Sohn, 1907.
^ Ltakk soiÄp KooK II.
Über die Verantwortlichkeit im Kriege. Wien, 1869.
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[0348] Eine neue Blücher-Biographie Aufgabe unterzogen hat, uns ein Lebensbild des Mannes zu geben, der uns einst „bewußt und groß vom Feinde losriß". Das Werk*), von dem der erste Band vorliegt, ist mit großem Fleiß unter sorgfältiger Benutzung des verfügbaren gedruckten Materials bearbeitet, und das bisher Bekannte ist dabei durch mancherlei noch nicht benutzte archivalische Quellen ergänzt worden. Die Aus¬ stattung des mit sechs Bildnissen aus verschiednen Lebensaltern Blüchers und neunzehn Kartenskizzen versehenen Buches ist sehr gediegen. Dieser erste Band reicht bis zum Jahre 1811. Eine Würdigung Blüchers als Feldherr ist dem zweiten (Schluß-)Bande vorbehalten. Man darf gespannt sein, wie der Verfasser insbesondre diese Aufgabe lösen wird, können wir uns doch die Führertätigkeit Blüchers kaum anders als gemeinsam mit Gneisenau ausgeübt denken, wohl mit eine Erklärung dafür, daß Blücher noch keine würdige Biographie gefunden hat. Unzweifelhaft gebührt Gneisenau ein reiches Maß an den Erfolgen der Schlesischen Armee, ein reicheres, als es sonst einem Chef des Generalstabes zufüllt, aber inmitten der Großtaten des Heeres von der Katzbach bis Belle-Alliance steht doch die alles überragende herrliche Gestalt des alten Helden. Seine Seele barg die Glut, an der sich das Kriegsfeuer immer wieder aufs neue entzündete, seiner fort¬ reißenden Gewalt war es zu danken, daß sich die Kriegführung der Koalition nicht an ihren eignen Reibungen erschöpfte. Blücher ist mit nichten ein vor¬ wiegend repräsentativer General, wie sie uns Sir Ion Hamilton^) bei den Japanern schildert, während dem Generalstabe dort die eigentliche Heerführung zufiel. Der englische General fand bei den Japanern im mandschurischen Kriege überhaupt geringe Begeisterungsfähigkeit für die Persönlichkeiten der Führer. Der Individualismus ist nach ihm ein Produkt des Westens, nicht des Ostens. Wenn die dem japanischen Volke eigentümliche Gemeinsamkeit des Empfindens eine wesentliche Ursache seiner Erfolge ist, so wird man allerdings sagen können, daß solche Gemeinsamkeit des Empfindens im höchsten Maße auch im preußischen Volke 1813 bestand. Gleichwohl brachte sich damals eine Reihe ausgeprägter Persönlichkeiten zur Geltung, und in ihrem Wirken auf der Grundlage der vorhandnen Volksstimmung beruhte die hohe Leistungsfähigkeit der Nation. Wie uns General von Unger in dem bis jetzt vorliegenden Bande das Werden seines Helden schildert, ist schon erkennbar, daß wir es hier mit einer Persön¬ lichkeit zu tun haben, deren spätere Tätigkeit im Felde sich nimmermehr nach Art japanischer Führer durch den Generalstab neutralisiert sehen konnte, und von dem man nur Würde und Ruhe gefordert hätte. Für europäische Heere hat der Ausspruch des Erzherzogs Albrecht von Österreichs) volle Giltigkeit: „Man hat vielfach geglaubt, daß der Mangel unentbehrlicher Feldherrneigenschaften *) Berlin, E. S. Mittler Sohn, 1907. ^ Ltakk soiÄp KooK II. Über die Verantwortlichkeit im Kriege. Wien, 1869.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/348>, abgerufen am 14.05.2024.