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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line Mittelmeerfahrt nach Spanien

am nördlichen oder südlichen Horizont, ein Vorgebirge der sardinischen oder
der afrikanischen Küste. Aber er wirkt fern, unstofflich und stört nicht den Ein¬
druck der vorbeigleitenden Unendlichkeit.

Das Mittelmeer!

Bald ist es von einer verdrießlich grünen Farbe, undurchsichtig und dM
flüssig wie geschmolzenes Flaschenglas, bald leuchtet es wie ein Opal in matter
Milchfarbe; dann wieder atmet die ganze Fläche heißes Indigo. Oder es ist,
als seien Kristalle in seinem Spiegel; so durchsichtig ist es und fast luftig
leicht, daß unsre Schatten quer hindurchgehn und deutlich auf den grau¬
glänzenden Rücken eines großen Hals fallen, der uns getreulich in einigen
Klaftern Tiefe begleitet. Zahlreiche große Medusen durchkreuzen in rhythmischen
Stößen das zitternde klare Element, silberschuppige Fische und lange geschlängelte
Schleimfasern fahren erschreckt zu beiden Seiten des Schiffskiels auseinander.
Es ist ein schmutziger holländischer Frachtendampfer, auf dem wir fahren. Wir
essen dreimal des Tags "Viksemad", schlafen in kleinen Proviantrüumen direkt
oberhalb der Schraube, mitten unter offnen Kisten mit Rosinen, Zwetschken,
Grütze und getrockneten Fischen -- und müssen dafür dreihundert Franken be¬
zahlen. Wir haben dieses Fahrzeug gewählt, um Geld zu ersparen. Mit einem
Pasfagierdampfer hätte es uns die Hälfte gekostet, aber dies erfuhren wir erst,
als es zu spät war. Diese Fahrgelegenheit hat uns jedoch -- "der König von
Sizilien" selbst verschafft, und er kam dreimal in höchsteigner Person an Bord,
um das Fahrgeld selbander in Empfang zu nehmen. Insoweit war also alles
in Ordnung.

Wir schlafen übrigens nicht viel. Wenn die ersten Rosenblätter des Morgens
auf blanken Glanzwellchen daher geschaukelt kommen, finden sie uns schon in
Bewegung: wir lesen das Log ab, suchen auf der Seekarte die gegenwärtige
Lage unsers Schiffes, untersuchen die Kimmung mit dem großen Fernrohr. Mit
allen Poren saugen wir diese neue Welt in uns ein -- und speisen Haufen
von Biksemad dazu. Die Seeluft zehrt, sagte der Matrose, während er sich
übergab. Welche Tage, welche Nächte! Ohne eine Wolke steht die Sonne
tagsüber am Himmel und schüttet vergeblich ihre ganze Fülle aus über das
unersättliche Meer. Und wenn sie müde dem Horizont zusinkt, dann streckt sich
das Meer in güldner Schönheit, als wollte es sie zurückhalten; es erglüht in
unkeuschen Farben, schwimmt wie goldflutendes Haar weit hinaus gegen Westen.
Und die Sonne greift kraftvoll in dieses herrliche Goldhaar, während sie
hinabsinkt. Da geht ein Schauer durch die See, ein glühendes Erröten, als
schäme sie sich ihrer prachtvollen Nacktheit; sie sinkt matt dahin, von einem
zartgoldnen Schimmer umhaucht. Und von Osten her trügt der Abend einen
Flor aus Hellem Drap und Aschgrau herbei und deckt ihn schonend über
ihre Blöße.

Himmel und See sind entschwunden. Nur unser kleines Schiff ist zurück¬
geblieben mitten auf einer Fläche von mattem Silber, die sich fernhin nach


Line Mittelmeerfahrt nach Spanien

am nördlichen oder südlichen Horizont, ein Vorgebirge der sardinischen oder
der afrikanischen Küste. Aber er wirkt fern, unstofflich und stört nicht den Ein¬
druck der vorbeigleitenden Unendlichkeit.

Das Mittelmeer!

Bald ist es von einer verdrießlich grünen Farbe, undurchsichtig und dM
flüssig wie geschmolzenes Flaschenglas, bald leuchtet es wie ein Opal in matter
Milchfarbe; dann wieder atmet die ganze Fläche heißes Indigo. Oder es ist,
als seien Kristalle in seinem Spiegel; so durchsichtig ist es und fast luftig
leicht, daß unsre Schatten quer hindurchgehn und deutlich auf den grau¬
glänzenden Rücken eines großen Hals fallen, der uns getreulich in einigen
Klaftern Tiefe begleitet. Zahlreiche große Medusen durchkreuzen in rhythmischen
Stößen das zitternde klare Element, silberschuppige Fische und lange geschlängelte
Schleimfasern fahren erschreckt zu beiden Seiten des Schiffskiels auseinander.
Es ist ein schmutziger holländischer Frachtendampfer, auf dem wir fahren. Wir
essen dreimal des Tags „Viksemad", schlafen in kleinen Proviantrüumen direkt
oberhalb der Schraube, mitten unter offnen Kisten mit Rosinen, Zwetschken,
Grütze und getrockneten Fischen — und müssen dafür dreihundert Franken be¬
zahlen. Wir haben dieses Fahrzeug gewählt, um Geld zu ersparen. Mit einem
Pasfagierdampfer hätte es uns die Hälfte gekostet, aber dies erfuhren wir erst,
als es zu spät war. Diese Fahrgelegenheit hat uns jedoch — „der König von
Sizilien" selbst verschafft, und er kam dreimal in höchsteigner Person an Bord,
um das Fahrgeld selbander in Empfang zu nehmen. Insoweit war also alles
in Ordnung.

Wir schlafen übrigens nicht viel. Wenn die ersten Rosenblätter des Morgens
auf blanken Glanzwellchen daher geschaukelt kommen, finden sie uns schon in
Bewegung: wir lesen das Log ab, suchen auf der Seekarte die gegenwärtige
Lage unsers Schiffes, untersuchen die Kimmung mit dem großen Fernrohr. Mit
allen Poren saugen wir diese neue Welt in uns ein — und speisen Haufen
von Biksemad dazu. Die Seeluft zehrt, sagte der Matrose, während er sich
übergab. Welche Tage, welche Nächte! Ohne eine Wolke steht die Sonne
tagsüber am Himmel und schüttet vergeblich ihre ganze Fülle aus über das
unersättliche Meer. Und wenn sie müde dem Horizont zusinkt, dann streckt sich
das Meer in güldner Schönheit, als wollte es sie zurückhalten; es erglüht in
unkeuschen Farben, schwimmt wie goldflutendes Haar weit hinaus gegen Westen.
Und die Sonne greift kraftvoll in dieses herrliche Goldhaar, während sie
hinabsinkt. Da geht ein Schauer durch die See, ein glühendes Erröten, als
schäme sie sich ihrer prachtvollen Nacktheit; sie sinkt matt dahin, von einem
zartgoldnen Schimmer umhaucht. Und von Osten her trügt der Abend einen
Flor aus Hellem Drap und Aschgrau herbei und deckt ihn schonend über
ihre Blöße.

Himmel und See sind entschwunden. Nur unser kleines Schiff ist zurück¬
geblieben mitten auf einer Fläche von mattem Silber, die sich fernhin nach


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[0364] Line Mittelmeerfahrt nach Spanien am nördlichen oder südlichen Horizont, ein Vorgebirge der sardinischen oder der afrikanischen Küste. Aber er wirkt fern, unstofflich und stört nicht den Ein¬ druck der vorbeigleitenden Unendlichkeit. Das Mittelmeer! Bald ist es von einer verdrießlich grünen Farbe, undurchsichtig und dM flüssig wie geschmolzenes Flaschenglas, bald leuchtet es wie ein Opal in matter Milchfarbe; dann wieder atmet die ganze Fläche heißes Indigo. Oder es ist, als seien Kristalle in seinem Spiegel; so durchsichtig ist es und fast luftig leicht, daß unsre Schatten quer hindurchgehn und deutlich auf den grau¬ glänzenden Rücken eines großen Hals fallen, der uns getreulich in einigen Klaftern Tiefe begleitet. Zahlreiche große Medusen durchkreuzen in rhythmischen Stößen das zitternde klare Element, silberschuppige Fische und lange geschlängelte Schleimfasern fahren erschreckt zu beiden Seiten des Schiffskiels auseinander. Es ist ein schmutziger holländischer Frachtendampfer, auf dem wir fahren. Wir essen dreimal des Tags „Viksemad", schlafen in kleinen Proviantrüumen direkt oberhalb der Schraube, mitten unter offnen Kisten mit Rosinen, Zwetschken, Grütze und getrockneten Fischen — und müssen dafür dreihundert Franken be¬ zahlen. Wir haben dieses Fahrzeug gewählt, um Geld zu ersparen. Mit einem Pasfagierdampfer hätte es uns die Hälfte gekostet, aber dies erfuhren wir erst, als es zu spät war. Diese Fahrgelegenheit hat uns jedoch — „der König von Sizilien" selbst verschafft, und er kam dreimal in höchsteigner Person an Bord, um das Fahrgeld selbander in Empfang zu nehmen. Insoweit war also alles in Ordnung. Wir schlafen übrigens nicht viel. Wenn die ersten Rosenblätter des Morgens auf blanken Glanzwellchen daher geschaukelt kommen, finden sie uns schon in Bewegung: wir lesen das Log ab, suchen auf der Seekarte die gegenwärtige Lage unsers Schiffes, untersuchen die Kimmung mit dem großen Fernrohr. Mit allen Poren saugen wir diese neue Welt in uns ein — und speisen Haufen von Biksemad dazu. Die Seeluft zehrt, sagte der Matrose, während er sich übergab. Welche Tage, welche Nächte! Ohne eine Wolke steht die Sonne tagsüber am Himmel und schüttet vergeblich ihre ganze Fülle aus über das unersättliche Meer. Und wenn sie müde dem Horizont zusinkt, dann streckt sich das Meer in güldner Schönheit, als wollte es sie zurückhalten; es erglüht in unkeuschen Farben, schwimmt wie goldflutendes Haar weit hinaus gegen Westen. Und die Sonne greift kraftvoll in dieses herrliche Goldhaar, während sie hinabsinkt. Da geht ein Schauer durch die See, ein glühendes Erröten, als schäme sie sich ihrer prachtvollen Nacktheit; sie sinkt matt dahin, von einem zartgoldnen Schimmer umhaucht. Und von Osten her trügt der Abend einen Flor aus Hellem Drap und Aschgrau herbei und deckt ihn schonend über ihre Blöße. Himmel und See sind entschwunden. Nur unser kleines Schiff ist zurück¬ geblieben mitten auf einer Fläche von mattem Silber, die sich fernhin nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/364>, abgerufen am 14.05.2024.