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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Aus dem Lager der Gegner Goethes

gekannt, und Basedow war ein Riese gegen Lavater, wenigstens in der Vernunft
und männlichen Kraft. Uiberhaupt ist das ganze Leben von Goethe eine
Spazierfahrt, während welcher mancherlei Gegenstände unserm Auge vorüber
gehen, ohne unsern Geist wahrhaft zu bereichern. Die Engländer, welche den
großen Lama nicht zu fürchten haben, haben ihn gar tüchtig bei den Ohren
gehabt, in dem Edinburgher Review, woraus Meister Goethe manches lernen
kann, wenn er Lust hat.

Apropos bei dem Edinburgher ReView! Ich wünsche, daß sie in Ur. 74
die Theilung von Pohlen mögen gelesen haben, es ist ein gar zu erbauliches
Stück, und wirft ein Licht auf die Erscheinungen neuerer Zeit.

Sie haben meiner Berührung des kitzlichen Punktes zu viele Wichtigkeit
gegeben. Nachdem ich die zweite Hälfte der Handschrift des Lebens gelesen hatte,
ist die Frage, ob Wieland als komischer Dichter recht hatte, mit Ja entschieden,
und ich muß bekennen, daß ich jetzt Manches, freilich in meinem Alter, gar nicht
gefährlich finde, was mir als Jüngling das Blut ein wenig in Wallung
brachte. Aber darauf kann ein komischer Dichter nicht Rücksicht nehmen, der
die verdorbene vornehme Welt durch Lächerlichkeiten oder vielmehr Darstellungen
derselben bessern will; er muß voraussetzen, daß der Jüngling durch moralische
und religiöse Erziehung gegen das Verführerische schlüpfriger Situationen
gewappnet sey."

Bekannt ist K. I. Schützers gehässiges Pamphlet gegen Goethes Wander¬
jahre. In Grubers Nachlaß finden sich nur noch wenige Blätter, die auf die
falschen Wanderjahre Bezug nehmen. Anfang 1822 hatte er dem Freunde
folgende Zeilen geschickt: "Bey dem Interesse, was ich, wie Du, mein Ver¬
ehrtester Freund, weißt an der Erscheinung der 2^" Wanderjahre und ihrem
Verfasser nehme, kann ich es mir nicht versagen Dir beifolgende Gedichte mit¬
zutheilen und Dich um Dein Gutachten besonders über das lezte zu bitten.
Der Verfasser der Wanderjahre hat mir nun auch noch ein neues (noch nicht
in den Buchhandel gekommenes) damit zusammenhängendes Werk: Gedanken
einer frommen Gräfin zugeschickt, das dergestalt voll asketischer Frömmelet) ist,
daß Fouque statt seines "Visier auf!" ihm lieber "Capuze ab" hätte zurufen sollen.

N. S. Im eben erschienenen 3. Heft des 3. Bandes seiner Hefte über Kunst
und Alterthum, unter dem Titel: Geneigte Teilnahme an den Wanderjahren,
übergeht Goethe mit vornehmem Stillschweigen seinen Gegner ganz, und berichtet
dagegen, daß Hr. Varnhagen von Ense etc. ihn über sich selbst aufgeklärt,
und das Problem seines Lebens, an dem er selber wohl noch irre werden
könne, gelöst habe! Ebendas. S. 52 hat er seine Jnhaltsanzeige der Jliade,
von Riemern, als Etwas ganz Außerordentliches anpreisen lassen."

Die drei Gedichte sind 1. von Friedrich de la Motte Fouque vom
14. Dezember 1821 "An den ungenannten Versasser von Wilhelm Meisters
Tagebuch, nach Empfang eines Exemplars dieses geistreichen Werkes", 2. von
dem Verfasser von Wilhelm Meisters Tagebuch und der Wanderjahre "Antwort


Aus dem Lager der Gegner Goethes

gekannt, und Basedow war ein Riese gegen Lavater, wenigstens in der Vernunft
und männlichen Kraft. Uiberhaupt ist das ganze Leben von Goethe eine
Spazierfahrt, während welcher mancherlei Gegenstände unserm Auge vorüber
gehen, ohne unsern Geist wahrhaft zu bereichern. Die Engländer, welche den
großen Lama nicht zu fürchten haben, haben ihn gar tüchtig bei den Ohren
gehabt, in dem Edinburgher Review, woraus Meister Goethe manches lernen
kann, wenn er Lust hat.

Apropos bei dem Edinburgher ReView! Ich wünsche, daß sie in Ur. 74
die Theilung von Pohlen mögen gelesen haben, es ist ein gar zu erbauliches
Stück, und wirft ein Licht auf die Erscheinungen neuerer Zeit.

Sie haben meiner Berührung des kitzlichen Punktes zu viele Wichtigkeit
gegeben. Nachdem ich die zweite Hälfte der Handschrift des Lebens gelesen hatte,
ist die Frage, ob Wieland als komischer Dichter recht hatte, mit Ja entschieden,
und ich muß bekennen, daß ich jetzt Manches, freilich in meinem Alter, gar nicht
gefährlich finde, was mir als Jüngling das Blut ein wenig in Wallung
brachte. Aber darauf kann ein komischer Dichter nicht Rücksicht nehmen, der
die verdorbene vornehme Welt durch Lächerlichkeiten oder vielmehr Darstellungen
derselben bessern will; er muß voraussetzen, daß der Jüngling durch moralische
und religiöse Erziehung gegen das Verführerische schlüpfriger Situationen
gewappnet sey."

Bekannt ist K. I. Schützers gehässiges Pamphlet gegen Goethes Wander¬
jahre. In Grubers Nachlaß finden sich nur noch wenige Blätter, die auf die
falschen Wanderjahre Bezug nehmen. Anfang 1822 hatte er dem Freunde
folgende Zeilen geschickt: „Bey dem Interesse, was ich, wie Du, mein Ver¬
ehrtester Freund, weißt an der Erscheinung der 2^» Wanderjahre und ihrem
Verfasser nehme, kann ich es mir nicht versagen Dir beifolgende Gedichte mit¬
zutheilen und Dich um Dein Gutachten besonders über das lezte zu bitten.
Der Verfasser der Wanderjahre hat mir nun auch noch ein neues (noch nicht
in den Buchhandel gekommenes) damit zusammenhängendes Werk: Gedanken
einer frommen Gräfin zugeschickt, das dergestalt voll asketischer Frömmelet) ist,
daß Fouque statt seines »Visier auf!« ihm lieber »Capuze ab« hätte zurufen sollen.

N. S. Im eben erschienenen 3. Heft des 3. Bandes seiner Hefte über Kunst
und Alterthum, unter dem Titel: Geneigte Teilnahme an den Wanderjahren,
übergeht Goethe mit vornehmem Stillschweigen seinen Gegner ganz, und berichtet
dagegen, daß Hr. Varnhagen von Ense etc. ihn über sich selbst aufgeklärt,
und das Problem seines Lebens, an dem er selber wohl noch irre werden
könne, gelöst habe! Ebendas. S. 52 hat er seine Jnhaltsanzeige der Jliade,
von Riemern, als Etwas ganz Außerordentliches anpreisen lassen."

Die drei Gedichte sind 1. von Friedrich de la Motte Fouque vom
14. Dezember 1821 „An den ungenannten Versasser von Wilhelm Meisters
Tagebuch, nach Empfang eines Exemplars dieses geistreichen Werkes", 2. von
dem Verfasser von Wilhelm Meisters Tagebuch und der Wanderjahre „Antwort


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[0406] Aus dem Lager der Gegner Goethes gekannt, und Basedow war ein Riese gegen Lavater, wenigstens in der Vernunft und männlichen Kraft. Uiberhaupt ist das ganze Leben von Goethe eine Spazierfahrt, während welcher mancherlei Gegenstände unserm Auge vorüber gehen, ohne unsern Geist wahrhaft zu bereichern. Die Engländer, welche den großen Lama nicht zu fürchten haben, haben ihn gar tüchtig bei den Ohren gehabt, in dem Edinburgher Review, woraus Meister Goethe manches lernen kann, wenn er Lust hat. Apropos bei dem Edinburgher ReView! Ich wünsche, daß sie in Ur. 74 die Theilung von Pohlen mögen gelesen haben, es ist ein gar zu erbauliches Stück, und wirft ein Licht auf die Erscheinungen neuerer Zeit. Sie haben meiner Berührung des kitzlichen Punktes zu viele Wichtigkeit gegeben. Nachdem ich die zweite Hälfte der Handschrift des Lebens gelesen hatte, ist die Frage, ob Wieland als komischer Dichter recht hatte, mit Ja entschieden, und ich muß bekennen, daß ich jetzt Manches, freilich in meinem Alter, gar nicht gefährlich finde, was mir als Jüngling das Blut ein wenig in Wallung brachte. Aber darauf kann ein komischer Dichter nicht Rücksicht nehmen, der die verdorbene vornehme Welt durch Lächerlichkeiten oder vielmehr Darstellungen derselben bessern will; er muß voraussetzen, daß der Jüngling durch moralische und religiöse Erziehung gegen das Verführerische schlüpfriger Situationen gewappnet sey." Bekannt ist K. I. Schützers gehässiges Pamphlet gegen Goethes Wander¬ jahre. In Grubers Nachlaß finden sich nur noch wenige Blätter, die auf die falschen Wanderjahre Bezug nehmen. Anfang 1822 hatte er dem Freunde folgende Zeilen geschickt: „Bey dem Interesse, was ich, wie Du, mein Ver¬ ehrtester Freund, weißt an der Erscheinung der 2^» Wanderjahre und ihrem Verfasser nehme, kann ich es mir nicht versagen Dir beifolgende Gedichte mit¬ zutheilen und Dich um Dein Gutachten besonders über das lezte zu bitten. Der Verfasser der Wanderjahre hat mir nun auch noch ein neues (noch nicht in den Buchhandel gekommenes) damit zusammenhängendes Werk: Gedanken einer frommen Gräfin zugeschickt, das dergestalt voll asketischer Frömmelet) ist, daß Fouque statt seines »Visier auf!« ihm lieber »Capuze ab« hätte zurufen sollen. N. S. Im eben erschienenen 3. Heft des 3. Bandes seiner Hefte über Kunst und Alterthum, unter dem Titel: Geneigte Teilnahme an den Wanderjahren, übergeht Goethe mit vornehmem Stillschweigen seinen Gegner ganz, und berichtet dagegen, daß Hr. Varnhagen von Ense etc. ihn über sich selbst aufgeklärt, und das Problem seines Lebens, an dem er selber wohl noch irre werden könne, gelöst habe! Ebendas. S. 52 hat er seine Jnhaltsanzeige der Jliade, von Riemern, als Etwas ganz Außerordentliches anpreisen lassen." Die drei Gedichte sind 1. von Friedrich de la Motte Fouque vom 14. Dezember 1821 „An den ungenannten Versasser von Wilhelm Meisters Tagebuch, nach Empfang eines Exemplars dieses geistreichen Werkes", 2. von dem Verfasser von Wilhelm Meisters Tagebuch und der Wanderjahre „Antwort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/406>, abgerufen am 16.05.2024.