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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Ägypten im Jahre ^9^6

Polizei in den Städten durch Europäer ist ohnehin angebahnt. Daß es in
Zukunft unmöglich sein wird, den steigenden Bedürfnissen der ägyptischen
Städte ohne Regelung der Beiziehung von Europäern und Ägyptern zur
Leistung von lokalen Abgaben gerecht zu werden, hatte Lord Cromer schon
bei frühern Gelegenheiten ausgeführt.

Schon aus dem erwähnten geht hervor, welcherlei Aufgaben dem zu
wählenden Gesetzgebenden Rat zufielen. Auf ihn muß nun noch näher ein¬
gegangen werden. Es muß betont werden, daß es sich nur um persönliche
Ansichten Lord Cromers handelt, zu deren Verwirklichung die Negierung
keinerlei Schritte bis jetzt getan hat, da die Kapitulationen nach wie vor zu
Recht bestehn und nur mit Zustimmung der Mächte geändert werden können.
Das wichtigste wäre, eine Art der Zusammensetzung des zu schaffenden Rates
zu finden, die diesem von vornherein das Vertrauen der Europäer gewinnen
müßte. Hierdurch würde die Hauptschwierigkeit aus dem Wege geschafft werden
können. Der Rat müßte notwendigerweise einen kosmopolitischen Charakter
haben, wie das Land, dem er dienen soll, ein kosmopolitisches ist und auch
immer bleiben wird nach Lord Cromers Ansicht, der die Möglichkeit, Ägypten
werde einmal eine britische Kolonie werden, nicht nur als irrig, unausführbar,
sondern geradezu als absurd bezeichnet. Das Gerichtswesen und das gesetzgeberische
System muß deshalb nach seiner Ansicht international gemacht werden.

Im einzelnen sollte sich der Gesetzgebende Rat teils aus gewühlten Mit¬
gliedern, teils aus solchen, die von der Regierung ernannt werden, zusammen¬
setzen. Lord Cromer hat in seinem diesjährigen Bericht die Zahl von etwa
sechsunddreißig bis vierzig Mitgliedern ins Auge gefaßt, von denen vier Re¬
gierungsbeamte, sieben Richter aus den gemischten Gerichtshöfen, auf deren
Anwesenheit im Rat er großen Wert legt, und zwanzig von den verschiednen
Nationen zu wählende Mitglieder sein sollten. Die Teilnahme der Nationali¬
täten würde sich nach der Stärke ihrer Bevölkerungszahl und nach dem An¬
teil richten, den sie am gesamten Handel nehmen. Im ganzen würden sie etwa
zwanzig Mitglieder stellen, zu denen dann noch fünf von der ägyptischen Re¬
gierung zu ernennende unoffizielle Mitglieder kämen.

Lord Cromer gibt ohne weiteres zu, daß er nicht glaubt, in seinen Vor¬
schlägen etwas vollkommnes zu bieten. Er hofft aber, daß sich nach und nach
aus seinen Vorschlügen etwas unbedingt brauchbares gestalten lasse, da es nur
auf diese Weise möglich sei, sich selbst eignes Recht zu schaffen an Stelle der
unhaltbaren Zustünde, die es oft zur Entscheidung einer Frage nötig machen,
an fünfzehn Orten um die Ansicht zu bitten und sich nach den wechselnden
Stimmungen der Politik zu richten.




Ägypten im Jahre ^9^6

Polizei in den Städten durch Europäer ist ohnehin angebahnt. Daß es in
Zukunft unmöglich sein wird, den steigenden Bedürfnissen der ägyptischen
Städte ohne Regelung der Beiziehung von Europäern und Ägyptern zur
Leistung von lokalen Abgaben gerecht zu werden, hatte Lord Cromer schon
bei frühern Gelegenheiten ausgeführt.

Schon aus dem erwähnten geht hervor, welcherlei Aufgaben dem zu
wählenden Gesetzgebenden Rat zufielen. Auf ihn muß nun noch näher ein¬
gegangen werden. Es muß betont werden, daß es sich nur um persönliche
Ansichten Lord Cromers handelt, zu deren Verwirklichung die Negierung
keinerlei Schritte bis jetzt getan hat, da die Kapitulationen nach wie vor zu
Recht bestehn und nur mit Zustimmung der Mächte geändert werden können.
Das wichtigste wäre, eine Art der Zusammensetzung des zu schaffenden Rates
zu finden, die diesem von vornherein das Vertrauen der Europäer gewinnen
müßte. Hierdurch würde die Hauptschwierigkeit aus dem Wege geschafft werden
können. Der Rat müßte notwendigerweise einen kosmopolitischen Charakter
haben, wie das Land, dem er dienen soll, ein kosmopolitisches ist und auch
immer bleiben wird nach Lord Cromers Ansicht, der die Möglichkeit, Ägypten
werde einmal eine britische Kolonie werden, nicht nur als irrig, unausführbar,
sondern geradezu als absurd bezeichnet. Das Gerichtswesen und das gesetzgeberische
System muß deshalb nach seiner Ansicht international gemacht werden.

Im einzelnen sollte sich der Gesetzgebende Rat teils aus gewühlten Mit¬
gliedern, teils aus solchen, die von der Regierung ernannt werden, zusammen¬
setzen. Lord Cromer hat in seinem diesjährigen Bericht die Zahl von etwa
sechsunddreißig bis vierzig Mitgliedern ins Auge gefaßt, von denen vier Re¬
gierungsbeamte, sieben Richter aus den gemischten Gerichtshöfen, auf deren
Anwesenheit im Rat er großen Wert legt, und zwanzig von den verschiednen
Nationen zu wählende Mitglieder sein sollten. Die Teilnahme der Nationali¬
täten würde sich nach der Stärke ihrer Bevölkerungszahl und nach dem An¬
teil richten, den sie am gesamten Handel nehmen. Im ganzen würden sie etwa
zwanzig Mitglieder stellen, zu denen dann noch fünf von der ägyptischen Re¬
gierung zu ernennende unoffizielle Mitglieder kämen.

Lord Cromer gibt ohne weiteres zu, daß er nicht glaubt, in seinen Vor¬
schlägen etwas vollkommnes zu bieten. Er hofft aber, daß sich nach und nach
aus seinen Vorschlügen etwas unbedingt brauchbares gestalten lasse, da es nur
auf diese Weise möglich sei, sich selbst eignes Recht zu schaffen an Stelle der
unhaltbaren Zustünde, die es oft zur Entscheidung einer Frage nötig machen,
an fünfzehn Orten um die Ansicht zu bitten und sich nach den wechselnden
Stimmungen der Politik zu richten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/447>, abgerufen am 15.05.2024.