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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Ägypten im Jahre ^9^6

und Eisenbahnbnuten und bei der Klassifizierung des Landes zum Einschätzen
für die Grundsteuer gefragt werden muß.

Der bereits erwähnte Provinzialrat, über dessen Wahl durch die Delegierte"
der einzelnen Ortschaften schon gesprochen worden ist, besteht aus drei bis acht
Mitgliedern, je nach der Größe der Provinz. Er muß gefragt werden bei
Änderung von Abgrenzungen der Gemeinden, wegen Abhaltung von Märkten;
auch kau" sein Rat erbeten werden in Fragen, die die Regierung zu seiner
Kenntnis bringt, wie den Fortschritt des Unterrichts oder des Unterhalts, Ver¬
besserung der Ernte, der Bewässerungsanlagen, Auffüllung von Teichen u. a.

Der schwächste Punkt in dieser Einrichtung ist, daß ihre Zusammensetzung
hauptsächlich abhängt von den Persönlichkeiten, die in den einzelnen Ortschaften
zu Delegierten erwählt werden. Dies kann erst nach und nach besser werden,
wenn sich der Stand der Erziehung bessert, und wenn die Gewohnheit, sich
selbst eine Meinung zu bilden, bis in die kleinsten Gemeinden durchgerungen
ist. Man kann von einem Volke, das durch Jahrhunderte weder Stimme noch
irgendwelche Vertretung gehabt hat, nicht verlangen, daß es auf Grund einer
geschriebn"" Verfassung plötzlich Stimme und Recht der eignen Vertretung sach¬
gemäß ausübt, zumal wenn es noch nie dem Wunsch nach eigner Vertretung
selbst Ausdruck gegeben hat.

Fortschritte sind gemacht worden, indem man in den einzelnen Städten
Stadtverwaltungen geschaffen hat. Hier stößt man aber sofort auf die größte
Schwierigkeit, da die europäischen Bewohner frei von lokalen Abgaben sind,
und somit die entstehenden Unkosten schwer die nötige Deckung finden. In einer
Reihe von Städten hat die Bevölkerung die erwachsenden Steuern freiwillig
auf sich genommen. Auch andre Maßnahmen auf dem Gebiete der Selbstver¬
waltung sind in den letzten Zeiten getroffen worden. So besteht in jeder Provinz
eine Kommission zur Beurteilung aller Fragen, die sich ans Wahlen, Entlassungen
und Bestrafungen von Beamten u. a. beziehn. Es bestehen Kanal- und Damm¬
kommissionen, Kommissionen zur Kontrolle der Überwachung der Nildämme
durch die auf besondern Listen laufenden Bewohner. Die Nildammhochwcisser-
kommission in jeder Provinz tritt in Tätigkeit, wenn während der Zeit des
Nilhochwassers das Wasser eine bestimmte Höhe über den Nilmesser von Kairo
erreicht. Neben diesen besteht noch eine Reihe andrer Kommissionen, z.B. eine Heu¬
schreckenkommission, die sämtlich mit ausgedehnter Strafgewalt ausgerüstet sind.

Auf diese Weise hofft man, das Volk nach und nach zur Teilucihme an
den Einrichtungen des allgemeinen öffentlichen Wohles und der Landesverwal¬
tung mit heranzuziehen.

Ju derselben Art geschieht alles mögliche, um auch dem andern Wunsche
des Landes entgegenzukommen, nämlich eine möglichst große Zahl von Ägyptern
in den Stellen der höher" und nieder" Staatsverwaltung zu sehen. Seit der
britischen Besetzung im Jahre 1882 war es die dauernd im Auge behaltne
Politik der Regierung, die Zahl der Europäer in Regierungsstellen möglichst


Ägypten im Jahre ^9^6

und Eisenbahnbnuten und bei der Klassifizierung des Landes zum Einschätzen
für die Grundsteuer gefragt werden muß.

Der bereits erwähnte Provinzialrat, über dessen Wahl durch die Delegierte»
der einzelnen Ortschaften schon gesprochen worden ist, besteht aus drei bis acht
Mitgliedern, je nach der Größe der Provinz. Er muß gefragt werden bei
Änderung von Abgrenzungen der Gemeinden, wegen Abhaltung von Märkten;
auch kau» sein Rat erbeten werden in Fragen, die die Regierung zu seiner
Kenntnis bringt, wie den Fortschritt des Unterrichts oder des Unterhalts, Ver¬
besserung der Ernte, der Bewässerungsanlagen, Auffüllung von Teichen u. a.

Der schwächste Punkt in dieser Einrichtung ist, daß ihre Zusammensetzung
hauptsächlich abhängt von den Persönlichkeiten, die in den einzelnen Ortschaften
zu Delegierten erwählt werden. Dies kann erst nach und nach besser werden,
wenn sich der Stand der Erziehung bessert, und wenn die Gewohnheit, sich
selbst eine Meinung zu bilden, bis in die kleinsten Gemeinden durchgerungen
ist. Man kann von einem Volke, das durch Jahrhunderte weder Stimme noch
irgendwelche Vertretung gehabt hat, nicht verlangen, daß es auf Grund einer
geschriebn«» Verfassung plötzlich Stimme und Recht der eignen Vertretung sach¬
gemäß ausübt, zumal wenn es noch nie dem Wunsch nach eigner Vertretung
selbst Ausdruck gegeben hat.

Fortschritte sind gemacht worden, indem man in den einzelnen Städten
Stadtverwaltungen geschaffen hat. Hier stößt man aber sofort auf die größte
Schwierigkeit, da die europäischen Bewohner frei von lokalen Abgaben sind,
und somit die entstehenden Unkosten schwer die nötige Deckung finden. In einer
Reihe von Städten hat die Bevölkerung die erwachsenden Steuern freiwillig
auf sich genommen. Auch andre Maßnahmen auf dem Gebiete der Selbstver¬
waltung sind in den letzten Zeiten getroffen worden. So besteht in jeder Provinz
eine Kommission zur Beurteilung aller Fragen, die sich ans Wahlen, Entlassungen
und Bestrafungen von Beamten u. a. beziehn. Es bestehen Kanal- und Damm¬
kommissionen, Kommissionen zur Kontrolle der Überwachung der Nildämme
durch die auf besondern Listen laufenden Bewohner. Die Nildammhochwcisser-
kommission in jeder Provinz tritt in Tätigkeit, wenn während der Zeit des
Nilhochwassers das Wasser eine bestimmte Höhe über den Nilmesser von Kairo
erreicht. Neben diesen besteht noch eine Reihe andrer Kommissionen, z.B. eine Heu¬
schreckenkommission, die sämtlich mit ausgedehnter Strafgewalt ausgerüstet sind.

Auf diese Weise hofft man, das Volk nach und nach zur Teilucihme an
den Einrichtungen des allgemeinen öffentlichen Wohles und der Landesverwal¬
tung mit heranzuziehen.

Ju derselben Art geschieht alles mögliche, um auch dem andern Wunsche
des Landes entgegenzukommen, nämlich eine möglichst große Zahl von Ägyptern
in den Stellen der höher» und nieder» Staatsverwaltung zu sehen. Seit der
britischen Besetzung im Jahre 1882 war es die dauernd im Auge behaltne
Politik der Regierung, die Zahl der Europäer in Regierungsstellen möglichst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/498>, abgerufen am 14.05.2024.