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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Luftreisen

sie fürs Auge nicht wahrnehmbar. Befindet sich nun der Ballon auf der ab¬
steigenden Seite einer solchen Welle, so zeigen zwar Barometer und Barograph
ein Sinken an, das Windrädchen aber rührt sich nicht. In diesem Falle wäre
es zwecklose Ballastverschwendung, das Fahrzeug zu erleichtern. Wie die
fallende Welle den mit ihr schwimmenden Ballon mit hinabgerissen hat, so
wird ihn die nächste steigende Welle wieder emporbringen. Dasselbe, nur
weniger zuverlässig, erreicht man auch durch Beobachtung einer feinen Flaum¬
feder, die man mittelst eines dünnen Seidenfadens an einem Stock befestigt
zum Korbe heraushängt. Wenn sich der Ballon mit der umgebenden Luft
im Gleichgewicht befindet, so bleibt die Feder, gleichviel ob die Strömung
steigt oder füllt, ganz unbeweglich. Flattert sie dagegen nach oben, so ist
das ein Beweis, daß der Ballon sein Gleichgewicht verloren hat und von
der Strömung unabhängig sinkt. Auch ausgeworfne Papierschnitzel lassen
eine Gleichgewichtslage erkennen, wenn sich der Korb mit ihnen in derselben
Höhe hält.

Während der Nacht hatten wir mehr als sonst unter Müdigkeit zu leiden
gehabt, einer wie der andre fiel für längere oder kürzere Zeit diesem Ruhe¬
bedürfnis zum Opfer, es mußte wohl der Einfluß der Frühlingsluft sein. Auch
der Führer durfte sich gelegentlich ein Ausruhen gönnen, für seinen bewährten
Reisegefährten und Führeraspiranten Justizrat Dr. Reiche! war dies ja die
Prüfungsfahrt, ihm konnte er also getrost die Führung des Bcillous wiederholt
überlassen. Dabei bereitete ein Gedanke uns viel Vergnügen. In Zeitungs¬
berichten über Ballonfahrten pflegt die Bezeichnung "die kühnen Luftschiffer"
nie zu fehlen, und mancher, der es liest, denkt wohl mit geheimem Grausen an
die Aufregung und Lebensgefahr, in der sie bestündig schweben, und vergegen¬
wärtigt sich ihre schreckensbleichen, angstverzerrten Gesichter. War nun wieder
mal einer der Mitreisenden -- oder auch gleich zwei auf einmal --, die
Beine über Sandsäcke lang ausgestreckt, auf seinem Ecksitzchen in sanften
Schlummer versunken und unterbrach die Stille der Nacht durch behagliche
Töne, die man sonst wohl von bequemern Lagerstätten her zu vernehmen ge¬
wöhnt ist, dann machten wir andern uns lachend gegenseitig auf den "kühnen
Luftschiffer" aufmerksam. Übrigens hatten wir, obwohl zu Vieren, diesmal doch
etwas mehr Platz. Es war der neuste und geräumigste Korb des Vereins, den
wir mitgenommen hatten, innen sogar mit Plüsch ausgeschlagen, freilich auch
etwas schwerer, doch kam es bei so reichlichem Auftrieb des Ballons auf ein
paar Säcke Ballast weniger nicht an.

Tornow am Bober war sowohl auf der Fahrt nach Rußland als bei der
heutigen der Punkt, bis zu dem wir fast in gerader Linie nach Ostnordost ge¬
trieben wurden. Von hier bogen wir im August 1906 nach rechts ab an der
Oder aufwärts nach dem Oberlauf der Warta, wie der Fluß in Nußland ge¬
nannt wird, heute umgekehrt nach links in das Gebiet der untern deutschen
Warthe und darüber hinaus. Der Wind war immer schwächer geworden:


Luftreisen

sie fürs Auge nicht wahrnehmbar. Befindet sich nun der Ballon auf der ab¬
steigenden Seite einer solchen Welle, so zeigen zwar Barometer und Barograph
ein Sinken an, das Windrädchen aber rührt sich nicht. In diesem Falle wäre
es zwecklose Ballastverschwendung, das Fahrzeug zu erleichtern. Wie die
fallende Welle den mit ihr schwimmenden Ballon mit hinabgerissen hat, so
wird ihn die nächste steigende Welle wieder emporbringen. Dasselbe, nur
weniger zuverlässig, erreicht man auch durch Beobachtung einer feinen Flaum¬
feder, die man mittelst eines dünnen Seidenfadens an einem Stock befestigt
zum Korbe heraushängt. Wenn sich der Ballon mit der umgebenden Luft
im Gleichgewicht befindet, so bleibt die Feder, gleichviel ob die Strömung
steigt oder füllt, ganz unbeweglich. Flattert sie dagegen nach oben, so ist
das ein Beweis, daß der Ballon sein Gleichgewicht verloren hat und von
der Strömung unabhängig sinkt. Auch ausgeworfne Papierschnitzel lassen
eine Gleichgewichtslage erkennen, wenn sich der Korb mit ihnen in derselben
Höhe hält.

Während der Nacht hatten wir mehr als sonst unter Müdigkeit zu leiden
gehabt, einer wie der andre fiel für längere oder kürzere Zeit diesem Ruhe¬
bedürfnis zum Opfer, es mußte wohl der Einfluß der Frühlingsluft sein. Auch
der Führer durfte sich gelegentlich ein Ausruhen gönnen, für seinen bewährten
Reisegefährten und Führeraspiranten Justizrat Dr. Reiche! war dies ja die
Prüfungsfahrt, ihm konnte er also getrost die Führung des Bcillous wiederholt
überlassen. Dabei bereitete ein Gedanke uns viel Vergnügen. In Zeitungs¬
berichten über Ballonfahrten pflegt die Bezeichnung „die kühnen Luftschiffer"
nie zu fehlen, und mancher, der es liest, denkt wohl mit geheimem Grausen an
die Aufregung und Lebensgefahr, in der sie bestündig schweben, und vergegen¬
wärtigt sich ihre schreckensbleichen, angstverzerrten Gesichter. War nun wieder
mal einer der Mitreisenden — oder auch gleich zwei auf einmal —, die
Beine über Sandsäcke lang ausgestreckt, auf seinem Ecksitzchen in sanften
Schlummer versunken und unterbrach die Stille der Nacht durch behagliche
Töne, die man sonst wohl von bequemern Lagerstätten her zu vernehmen ge¬
wöhnt ist, dann machten wir andern uns lachend gegenseitig auf den „kühnen
Luftschiffer" aufmerksam. Übrigens hatten wir, obwohl zu Vieren, diesmal doch
etwas mehr Platz. Es war der neuste und geräumigste Korb des Vereins, den
wir mitgenommen hatten, innen sogar mit Plüsch ausgeschlagen, freilich auch
etwas schwerer, doch kam es bei so reichlichem Auftrieb des Ballons auf ein
paar Säcke Ballast weniger nicht an.

Tornow am Bober war sowohl auf der Fahrt nach Rußland als bei der
heutigen der Punkt, bis zu dem wir fast in gerader Linie nach Ostnordost ge¬
trieben wurden. Von hier bogen wir im August 1906 nach rechts ab an der
Oder aufwärts nach dem Oberlauf der Warta, wie der Fluß in Nußland ge¬
nannt wird, heute umgekehrt nach links in das Gebiet der untern deutschen
Warthe und darüber hinaus. Der Wind war immer schwächer geworden:


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[0574] Luftreisen sie fürs Auge nicht wahrnehmbar. Befindet sich nun der Ballon auf der ab¬ steigenden Seite einer solchen Welle, so zeigen zwar Barometer und Barograph ein Sinken an, das Windrädchen aber rührt sich nicht. In diesem Falle wäre es zwecklose Ballastverschwendung, das Fahrzeug zu erleichtern. Wie die fallende Welle den mit ihr schwimmenden Ballon mit hinabgerissen hat, so wird ihn die nächste steigende Welle wieder emporbringen. Dasselbe, nur weniger zuverlässig, erreicht man auch durch Beobachtung einer feinen Flaum¬ feder, die man mittelst eines dünnen Seidenfadens an einem Stock befestigt zum Korbe heraushängt. Wenn sich der Ballon mit der umgebenden Luft im Gleichgewicht befindet, so bleibt die Feder, gleichviel ob die Strömung steigt oder füllt, ganz unbeweglich. Flattert sie dagegen nach oben, so ist das ein Beweis, daß der Ballon sein Gleichgewicht verloren hat und von der Strömung unabhängig sinkt. Auch ausgeworfne Papierschnitzel lassen eine Gleichgewichtslage erkennen, wenn sich der Korb mit ihnen in derselben Höhe hält. Während der Nacht hatten wir mehr als sonst unter Müdigkeit zu leiden gehabt, einer wie der andre fiel für längere oder kürzere Zeit diesem Ruhe¬ bedürfnis zum Opfer, es mußte wohl der Einfluß der Frühlingsluft sein. Auch der Führer durfte sich gelegentlich ein Ausruhen gönnen, für seinen bewährten Reisegefährten und Führeraspiranten Justizrat Dr. Reiche! war dies ja die Prüfungsfahrt, ihm konnte er also getrost die Führung des Bcillous wiederholt überlassen. Dabei bereitete ein Gedanke uns viel Vergnügen. In Zeitungs¬ berichten über Ballonfahrten pflegt die Bezeichnung „die kühnen Luftschiffer" nie zu fehlen, und mancher, der es liest, denkt wohl mit geheimem Grausen an die Aufregung und Lebensgefahr, in der sie bestündig schweben, und vergegen¬ wärtigt sich ihre schreckensbleichen, angstverzerrten Gesichter. War nun wieder mal einer der Mitreisenden — oder auch gleich zwei auf einmal —, die Beine über Sandsäcke lang ausgestreckt, auf seinem Ecksitzchen in sanften Schlummer versunken und unterbrach die Stille der Nacht durch behagliche Töne, die man sonst wohl von bequemern Lagerstätten her zu vernehmen ge¬ wöhnt ist, dann machten wir andern uns lachend gegenseitig auf den „kühnen Luftschiffer" aufmerksam. Übrigens hatten wir, obwohl zu Vieren, diesmal doch etwas mehr Platz. Es war der neuste und geräumigste Korb des Vereins, den wir mitgenommen hatten, innen sogar mit Plüsch ausgeschlagen, freilich auch etwas schwerer, doch kam es bei so reichlichem Auftrieb des Ballons auf ein paar Säcke Ballast weniger nicht an. Tornow am Bober war sowohl auf der Fahrt nach Rußland als bei der heutigen der Punkt, bis zu dem wir fast in gerader Linie nach Ostnordost ge¬ trieben wurden. Von hier bogen wir im August 1906 nach rechts ab an der Oder aufwärts nach dem Oberlauf der Warta, wie der Fluß in Nußland ge¬ nannt wird, heute umgekehrt nach links in das Gebiet der untern deutschen Warthe und darüber hinaus. Der Wind war immer schwächer geworden:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/574>, abgerufen am 09.06.2024.