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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Soziale und wirtschaftliche Kämpfe

Unglück zu unsrer Freude erlebt, daß die erste Sorge der Witwen war, es
möchte ihnen ihr Häuschen erhalten werden."

Derselbe Abgeordnete faßte dann sein Urteil über die Folgen dieser günstigen
Eigentumsverhältnisse und über die Folgerungen, die für eine praktische Politik
daraus zu ziehn sind, in folgenden Worten zusammen:

"Man muß die günstigen sozialen und politischen Verhältnisse an der
Saar in erster Linie den günstigen Besitzverhültnissen zuschreiben. Wir haben
infolgedessen bei der letzten Reichstagswahl im Bezirk Saarbrücken nicht ganz
3000 sozialdemokratische Stimmen und im Kreise Ottweiler sogar nur 500
gehabt. Die Leute kommen gar nicht dazu, den sozialdemokratischen Utopien
nachzujagen. Deshalb bitte ich unsre Staatsverwaltung dringend, in der
bisherigen Ansiedlungspolitik fortzufahren. Ich halte es nicht für richtig, daß
man in letzter Zeit mehr Mietwohnungen gebaut hat. Es finden die Saarberg¬
leute kein besondres Vergnügen an diesen Mietwohnungen, wenn sie sie auch,
vorläufig gern annehmen. Es ist in der Presse schon ausgesprochen worden,
man möchte allmählich diese jetzt erbauten Mietwohnungen den Bergleuten als
Eigentum zuweisen. Diesen Wunsch möchte ich befürworten. Ich bitte deshalb
dringend, Hausbauprämien zu bewilligen, billige Baugrundstücke bereit zu stellen,
wie es die Forstverwaltung hier und da schon getan hat, und mit sonstigen
Unterstützungen an die Bergleute zum Bau von Häusern mit billigen Hypotheken
aus der Knappschaftskasfe vorzugehn."

Eine solche Feststellung, wie sie hier von sachkundiger Seite erfolgt ist,
hat mehr Wert als langatmige sozialpolitische Untersuchungen. Man wird
ruhig annehmen können, daß man in jedem Arbeiter, dem man zu einem kleinen
Hause verhilft, einen Staatsbürger gewonnen hat, auf den man zählen kann.
Eine Wohnungspolitik, die dieses Ziel verfolgte, müßte unbedingt günstige
Wirkungen haben. Nun ist allerdings auf diesem Gebiete manches erreicht
worden, besonders in Rheinland und Westfalen sind durch die gemeinnützigen
Bauvereine hübsche und gesunde Arbeiterhäuser in großer Zahl errichtet worden,
aber daß das Geschaffne für die große und immer wachsende Zahl der gerade
in diesem Jndustriebezirk vorhandnen Arbeiter nicht ausreicht, kann keinem Zweifel
unterliegen. An einer Staatspolitik, die bewußt darauf hinarbeitet, möglichst
vielen Arbeitern zu einem eignen Hause zu verhelfen, hat es in Preußen
wenigstens bisher gefehlt. Das preußische Bausluchtliniengesetz von 2. Juli 1875
kennt nur polizeiliche Rücksichten, jeder soziale Gedanke ist ihm fremd. In
welcher Weise das künftige Gesetz, an dessen Vorbereitung seit langer Zeit
gearbeitet wird, die Bebauung regeln wird, ist nicht bekannt, aber das scheint
doch klar zu sein, daß es den Aufgaben unsrer Zeit nur gerecht werde" wird,
wenn die im Saarrevier und an vielen andern Stellen gemachten Ersahrungen
berücksichtigt werden, wenn also mit diesem Gesetze planmäßig darauf hin¬
gearbeitet wird, aus besitzlosen Arbeitern Eigentümer zu schaffen. Wird zugleich
von der Erbpacht Gebrauch gemacht, so ist die Gefahr ausgeschlossen, daß eine


Soziale und wirtschaftliche Kämpfe

Unglück zu unsrer Freude erlebt, daß die erste Sorge der Witwen war, es
möchte ihnen ihr Häuschen erhalten werden."

Derselbe Abgeordnete faßte dann sein Urteil über die Folgen dieser günstigen
Eigentumsverhältnisse und über die Folgerungen, die für eine praktische Politik
daraus zu ziehn sind, in folgenden Worten zusammen:

„Man muß die günstigen sozialen und politischen Verhältnisse an der
Saar in erster Linie den günstigen Besitzverhültnissen zuschreiben. Wir haben
infolgedessen bei der letzten Reichstagswahl im Bezirk Saarbrücken nicht ganz
3000 sozialdemokratische Stimmen und im Kreise Ottweiler sogar nur 500
gehabt. Die Leute kommen gar nicht dazu, den sozialdemokratischen Utopien
nachzujagen. Deshalb bitte ich unsre Staatsverwaltung dringend, in der
bisherigen Ansiedlungspolitik fortzufahren. Ich halte es nicht für richtig, daß
man in letzter Zeit mehr Mietwohnungen gebaut hat. Es finden die Saarberg¬
leute kein besondres Vergnügen an diesen Mietwohnungen, wenn sie sie auch,
vorläufig gern annehmen. Es ist in der Presse schon ausgesprochen worden,
man möchte allmählich diese jetzt erbauten Mietwohnungen den Bergleuten als
Eigentum zuweisen. Diesen Wunsch möchte ich befürworten. Ich bitte deshalb
dringend, Hausbauprämien zu bewilligen, billige Baugrundstücke bereit zu stellen,
wie es die Forstverwaltung hier und da schon getan hat, und mit sonstigen
Unterstützungen an die Bergleute zum Bau von Häusern mit billigen Hypotheken
aus der Knappschaftskasfe vorzugehn."

Eine solche Feststellung, wie sie hier von sachkundiger Seite erfolgt ist,
hat mehr Wert als langatmige sozialpolitische Untersuchungen. Man wird
ruhig annehmen können, daß man in jedem Arbeiter, dem man zu einem kleinen
Hause verhilft, einen Staatsbürger gewonnen hat, auf den man zählen kann.
Eine Wohnungspolitik, die dieses Ziel verfolgte, müßte unbedingt günstige
Wirkungen haben. Nun ist allerdings auf diesem Gebiete manches erreicht
worden, besonders in Rheinland und Westfalen sind durch die gemeinnützigen
Bauvereine hübsche und gesunde Arbeiterhäuser in großer Zahl errichtet worden,
aber daß das Geschaffne für die große und immer wachsende Zahl der gerade
in diesem Jndustriebezirk vorhandnen Arbeiter nicht ausreicht, kann keinem Zweifel
unterliegen. An einer Staatspolitik, die bewußt darauf hinarbeitet, möglichst
vielen Arbeitern zu einem eignen Hause zu verhelfen, hat es in Preußen
wenigstens bisher gefehlt. Das preußische Bausluchtliniengesetz von 2. Juli 1875
kennt nur polizeiliche Rücksichten, jeder soziale Gedanke ist ihm fremd. In
welcher Weise das künftige Gesetz, an dessen Vorbereitung seit langer Zeit
gearbeitet wird, die Bebauung regeln wird, ist nicht bekannt, aber das scheint
doch klar zu sein, daß es den Aufgaben unsrer Zeit nur gerecht werde» wird,
wenn die im Saarrevier und an vielen andern Stellen gemachten Ersahrungen
berücksichtigt werden, wenn also mit diesem Gesetze planmäßig darauf hin¬
gearbeitet wird, aus besitzlosen Arbeitern Eigentümer zu schaffen. Wird zugleich
von der Erbpacht Gebrauch gemacht, so ist die Gefahr ausgeschlossen, daß eine


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[0616] Soziale und wirtschaftliche Kämpfe Unglück zu unsrer Freude erlebt, daß die erste Sorge der Witwen war, es möchte ihnen ihr Häuschen erhalten werden." Derselbe Abgeordnete faßte dann sein Urteil über die Folgen dieser günstigen Eigentumsverhältnisse und über die Folgerungen, die für eine praktische Politik daraus zu ziehn sind, in folgenden Worten zusammen: „Man muß die günstigen sozialen und politischen Verhältnisse an der Saar in erster Linie den günstigen Besitzverhültnissen zuschreiben. Wir haben infolgedessen bei der letzten Reichstagswahl im Bezirk Saarbrücken nicht ganz 3000 sozialdemokratische Stimmen und im Kreise Ottweiler sogar nur 500 gehabt. Die Leute kommen gar nicht dazu, den sozialdemokratischen Utopien nachzujagen. Deshalb bitte ich unsre Staatsverwaltung dringend, in der bisherigen Ansiedlungspolitik fortzufahren. Ich halte es nicht für richtig, daß man in letzter Zeit mehr Mietwohnungen gebaut hat. Es finden die Saarberg¬ leute kein besondres Vergnügen an diesen Mietwohnungen, wenn sie sie auch, vorläufig gern annehmen. Es ist in der Presse schon ausgesprochen worden, man möchte allmählich diese jetzt erbauten Mietwohnungen den Bergleuten als Eigentum zuweisen. Diesen Wunsch möchte ich befürworten. Ich bitte deshalb dringend, Hausbauprämien zu bewilligen, billige Baugrundstücke bereit zu stellen, wie es die Forstverwaltung hier und da schon getan hat, und mit sonstigen Unterstützungen an die Bergleute zum Bau von Häusern mit billigen Hypotheken aus der Knappschaftskasfe vorzugehn." Eine solche Feststellung, wie sie hier von sachkundiger Seite erfolgt ist, hat mehr Wert als langatmige sozialpolitische Untersuchungen. Man wird ruhig annehmen können, daß man in jedem Arbeiter, dem man zu einem kleinen Hause verhilft, einen Staatsbürger gewonnen hat, auf den man zählen kann. Eine Wohnungspolitik, die dieses Ziel verfolgte, müßte unbedingt günstige Wirkungen haben. Nun ist allerdings auf diesem Gebiete manches erreicht worden, besonders in Rheinland und Westfalen sind durch die gemeinnützigen Bauvereine hübsche und gesunde Arbeiterhäuser in großer Zahl errichtet worden, aber daß das Geschaffne für die große und immer wachsende Zahl der gerade in diesem Jndustriebezirk vorhandnen Arbeiter nicht ausreicht, kann keinem Zweifel unterliegen. An einer Staatspolitik, die bewußt darauf hinarbeitet, möglichst vielen Arbeitern zu einem eignen Hause zu verhelfen, hat es in Preußen wenigstens bisher gefehlt. Das preußische Bausluchtliniengesetz von 2. Juli 1875 kennt nur polizeiliche Rücksichten, jeder soziale Gedanke ist ihm fremd. In welcher Weise das künftige Gesetz, an dessen Vorbereitung seit langer Zeit gearbeitet wird, die Bebauung regeln wird, ist nicht bekannt, aber das scheint doch klar zu sein, daß es den Aufgaben unsrer Zeit nur gerecht werde» wird, wenn die im Saarrevier und an vielen andern Stellen gemachten Ersahrungen berücksichtigt werden, wenn also mit diesem Gesetze planmäßig darauf hin¬ gearbeitet wird, aus besitzlosen Arbeitern Eigentümer zu schaffen. Wird zugleich von der Erbpacht Gebrauch gemacht, so ist die Gefahr ausgeschlossen, daß eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/616>, abgerufen am 29.05.2024.