Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Line Philosophie des Krieges von der Natur des Urmenschen, die glücklicherweise nicht die des Hasen gewesen Line Philosophie des Krieges von der Natur des Urmenschen, die glücklicherweise nicht die des Hasen gewesen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0674" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303376"/> <fw type="header" place="top"> Line Philosophie des Krieges</fw><lb/> <p xml:id="ID_3306" prev="#ID_3305" next="#ID_3307"> von der Natur des Urmenschen, die glücklicherweise nicht die des Hasen gewesen<lb/> sei. Wäre dieses der Fall gewesen, so würde er entweder ausgerottet worden<lb/> oder ein stumpfsinniger Egoist ohne Kultur geblieben sein. Indem er sich gegen<lb/> die Tiere wie gegen seinesgleichen zur Wehr setzte, entwickelte er zunächst die<lb/> Eigenschaften der Angriffslust, der Grausamkeit und der Begehrlichkeit und dann<lb/> später, in Gruppen lebend und den Verteidigungskampf als Glied der Gruppe<lb/> führend, alle sittlichen Tugenden, da nur der gemeinsame Kampf gegen ge¬<lb/> meinsame Gegner tiefe, leidenschaftliche Sympathie, Opfermut, begeisterte<lb/> Hingabe an ein großes Ziel zu wecken vermag. Diese Wirkungen erhöhen<lb/> und erweitern sich in dem Maße, als aus der Horde, dem Stamm, der<lb/> Stadtgemeinde der Großstaat hervorgeht, der selbst eine Schöpfung des Krieges<lb/> ist, sodaß also der Krieg die höchste Form des menschlichen Gemeinschafts¬<lb/> lebens erzeugt. Und diese Form zu erhalten und alle in ihr liegenden Keime<lb/> zu entfalten, bleibt der Krieg immer notwendig. Er wirkt als Verbreiter der<lb/> Kultur, wie die Kriege Alexanders des Großen und die der Römer beweisen,<lb/> er räumt veraltete, unlebensfähige Staatengebilde weg, wie die napoleonischen<lb/> Kriege getan haben, er ist die größte Gesamtleistung, in der alle Kräfte der<lb/> Nation beendigt und aufs höchste angespannt werden, und er beglückt hierdurch,<lb/> denn höchste Kraftleistung ist höchstes Glück (zur Veranschaulichung der psychischen<lb/> Wirkungen des Krieges wird öfters herangezogen, was Ratzel in „Glücksinseln<lb/> und Träume" von seinen Kriegserfahrungen erzählt). Und bereitet der Krieg<lb/> tiefstes Leid, so liegt auch darin eine Steigerung des Glücks, da wahres Glück<lb/> ohne tiefe seelische Erschütterungen nicht erlangt werden kann. Endlich ist der<lb/> Krieg das Weltgericht, das einer jeden Nation ihr eignes Innere enthüllt,<lb/> an den Tag bringt, was sie wert ist, wie sie die Friedenszeit angewandt<lb/> hat, was sie an Leistungen oder an Nachlässigkeiten und Verschuldungen an¬<lb/> gehäuft hat. Diese großartige und notwendige Entwicklungserscheinung aus der<lb/> Welt schaffen, ihre Wirkungen durch ausgeklügelte Einrichtungen wie Schieds¬<lb/> gerichte ersetzen zu wollen, ist Torheit. Menschenklugheit erscheint als Dummheit<lb/> neben der Weisheit der Natur. ' Auch kann der kriegerische Konkurrenzkampf<lb/> der Staaten nicht etwa durch deu wirtschaftlichen Konkurrenzkampf ersetzt<lb/> werden, denn dieser ist von ganz andrer Natur: er ist rein egoistischer Art,<lb/> während der Krieg, in dem sich jeder Einzelne für sein Volk und für die<lb/> Enkel dieses Volk opfert, Bewährung des edelsten und reinsten Altruismus ist.<lb/> Inwiefern der Krieg selektionistisch wirkt, wird untersucht und nicht in Abrede<lb/> gestellt, daß er in einem gewissen Grade auch antiselektionistische Wirkungen<lb/> habe. Die schlimmen Wirkungen und Folgen des Krieges werden vollauf<lb/> gewürdigt, jedoch durch Berechnung auf ihr richtiges Maß zurückgeführt.<lb/> Selbstverständlich wird jede einzelne Behauptung des Verfassers von den<lb/> Friedensfreunden nicht bloß bestritten sondern als falsch erwiesen werden, wie<lb/> das denn auch vielfach schon im voraus geschehen ist, am scharfsinnigsten wohl<lb/> von dem französierten Russen Novicow, gegen den Steinmetz oft polemisiert.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0674]
Line Philosophie des Krieges
von der Natur des Urmenschen, die glücklicherweise nicht die des Hasen gewesen
sei. Wäre dieses der Fall gewesen, so würde er entweder ausgerottet worden
oder ein stumpfsinniger Egoist ohne Kultur geblieben sein. Indem er sich gegen
die Tiere wie gegen seinesgleichen zur Wehr setzte, entwickelte er zunächst die
Eigenschaften der Angriffslust, der Grausamkeit und der Begehrlichkeit und dann
später, in Gruppen lebend und den Verteidigungskampf als Glied der Gruppe
führend, alle sittlichen Tugenden, da nur der gemeinsame Kampf gegen ge¬
meinsame Gegner tiefe, leidenschaftliche Sympathie, Opfermut, begeisterte
Hingabe an ein großes Ziel zu wecken vermag. Diese Wirkungen erhöhen
und erweitern sich in dem Maße, als aus der Horde, dem Stamm, der
Stadtgemeinde der Großstaat hervorgeht, der selbst eine Schöpfung des Krieges
ist, sodaß also der Krieg die höchste Form des menschlichen Gemeinschafts¬
lebens erzeugt. Und diese Form zu erhalten und alle in ihr liegenden Keime
zu entfalten, bleibt der Krieg immer notwendig. Er wirkt als Verbreiter der
Kultur, wie die Kriege Alexanders des Großen und die der Römer beweisen,
er räumt veraltete, unlebensfähige Staatengebilde weg, wie die napoleonischen
Kriege getan haben, er ist die größte Gesamtleistung, in der alle Kräfte der
Nation beendigt und aufs höchste angespannt werden, und er beglückt hierdurch,
denn höchste Kraftleistung ist höchstes Glück (zur Veranschaulichung der psychischen
Wirkungen des Krieges wird öfters herangezogen, was Ratzel in „Glücksinseln
und Träume" von seinen Kriegserfahrungen erzählt). Und bereitet der Krieg
tiefstes Leid, so liegt auch darin eine Steigerung des Glücks, da wahres Glück
ohne tiefe seelische Erschütterungen nicht erlangt werden kann. Endlich ist der
Krieg das Weltgericht, das einer jeden Nation ihr eignes Innere enthüllt,
an den Tag bringt, was sie wert ist, wie sie die Friedenszeit angewandt
hat, was sie an Leistungen oder an Nachlässigkeiten und Verschuldungen an¬
gehäuft hat. Diese großartige und notwendige Entwicklungserscheinung aus der
Welt schaffen, ihre Wirkungen durch ausgeklügelte Einrichtungen wie Schieds¬
gerichte ersetzen zu wollen, ist Torheit. Menschenklugheit erscheint als Dummheit
neben der Weisheit der Natur. ' Auch kann der kriegerische Konkurrenzkampf
der Staaten nicht etwa durch deu wirtschaftlichen Konkurrenzkampf ersetzt
werden, denn dieser ist von ganz andrer Natur: er ist rein egoistischer Art,
während der Krieg, in dem sich jeder Einzelne für sein Volk und für die
Enkel dieses Volk opfert, Bewährung des edelsten und reinsten Altruismus ist.
Inwiefern der Krieg selektionistisch wirkt, wird untersucht und nicht in Abrede
gestellt, daß er in einem gewissen Grade auch antiselektionistische Wirkungen
habe. Die schlimmen Wirkungen und Folgen des Krieges werden vollauf
gewürdigt, jedoch durch Berechnung auf ihr richtiges Maß zurückgeführt.
Selbstverständlich wird jede einzelne Behauptung des Verfassers von den
Friedensfreunden nicht bloß bestritten sondern als falsch erwiesen werden, wie
das denn auch vielfach schon im voraus geschehen ist, am scharfsinnigsten wohl
von dem französierten Russen Novicow, gegen den Steinmetz oft polemisiert.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |