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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Franziskus von Assise

erst ganz die Zertrümmerung jener Ketten und die Befreiung der Persönlichkeit
erfolgen konnte und erfolgen kann. So hat es sich auch an ihm erfüllt, wie
an all den Großen, die die Träger neuer Ideen gewesen sind: "Ihr seid es
nicht, die da reden, sondern meines Vaters Geist ist es, der dnrch euch redet!"

Und das andre, das wohl auf keinem Gebiete so deutlich zur Anschauung
kommt, wie auf dem Gebiete der Kunst. Bei den künstlerischen Borstellungen
aus dem Leben des heiligen Franz in den Freskogemälden der imposanten
Franziskanerkirche in Assisi kommt zum erstenmal die Landschaft, die Natur zu
ihrem Rechte. Bis dahin galt die Natur als etwas, was dieser im Banne der
Sünde gefangnen Welt angehört, und was darum der gottgeweihte Künstler
scheuen muß. Franziskus hat die Natur aus ihrem Bann erlöst. Von ihm
erst haben die Menschen wieder gelernt, daß die Blumen blühten und die Vögel
sangen, daß die Sonne strahlte und der Himmel blaute. Er hat den Tag herauf¬
geführt, an dem "ein Versöhnungsfest gefeiert wurde, wie es nicht ergreifender
und nicht freudiger sich denken läßt", das Friedensfest zwischen der Natur und
dem Menschen!

Franziskus und Luther haben vieles gemein! Welteroberer sind sie beide
gewesen, Persönlichkeiten von klarer Prägung und von hinreißender Kraft.
Beide haben sie ihrem Volke und ihrer Zeit im Herzen gelesen und haben dann
beide das lösende Wort gesprochen. Gebunden waren sie beide mit Herz und
Gewissen an den einen Meister, und beide waren sie Kinder des einen Gottes!

Und dennoch waren sie wieder so grundverschieden! Gab der eine, Franziskus,
dem Menschen die Natur zurück, die weite herrliche Gotteswelt, so hat der
andre den Menschen auf der eingeschlagnen Bahn höher hinaufgeführt, hat ihn
frei gemacht von der römisch-mönchischen Beurteilung der höchsten Kulturgüter,
hat ihn gelehrt, um nur zweierlei zu nennen, in Beruf und Haus Gaben
Gottes und Aufgaben für die Menschen zu sehen.

Aus welschem Blute der heilige Franz -- Luther aber ein deutscher Mann;
Franziskus ein Kind des Friedens -- Luther aber ein Held mit gepanzerter
Faust; Franziskus sich selbst verzehrend im Gefühl -- Luther aber bei aller
Tiefe des Gemüts ein Mann des Willens und der Tat; Franziskus gehorsam,
sich beugend unter menschliche Autorität, und sei es auch unter dem Opfer
seines Herzens -- Luther aber ein aufrechter Mann, ein Herold und Bringer
der Freiheit, die allein gebunden ist in Gott.

Franziskus und Luther: mögen die Römischen uns unsern Luther schmähen,
wir wollen handeln nach dem Gebote der Gerechtigkeit. Römisch mag es sein,
allein zu entscheiden nach der kirchlichen Etikette; evangelisch aber ist es, zu
fragen, wo immer wir sie finden, nach der in Gott gegründeten Menschengröße!




Franziskus von Assise

erst ganz die Zertrümmerung jener Ketten und die Befreiung der Persönlichkeit
erfolgen konnte und erfolgen kann. So hat es sich auch an ihm erfüllt, wie
an all den Großen, die die Träger neuer Ideen gewesen sind: „Ihr seid es
nicht, die da reden, sondern meines Vaters Geist ist es, der dnrch euch redet!"

Und das andre, das wohl auf keinem Gebiete so deutlich zur Anschauung
kommt, wie auf dem Gebiete der Kunst. Bei den künstlerischen Borstellungen
aus dem Leben des heiligen Franz in den Freskogemälden der imposanten
Franziskanerkirche in Assisi kommt zum erstenmal die Landschaft, die Natur zu
ihrem Rechte. Bis dahin galt die Natur als etwas, was dieser im Banne der
Sünde gefangnen Welt angehört, und was darum der gottgeweihte Künstler
scheuen muß. Franziskus hat die Natur aus ihrem Bann erlöst. Von ihm
erst haben die Menschen wieder gelernt, daß die Blumen blühten und die Vögel
sangen, daß die Sonne strahlte und der Himmel blaute. Er hat den Tag herauf¬
geführt, an dem „ein Versöhnungsfest gefeiert wurde, wie es nicht ergreifender
und nicht freudiger sich denken läßt", das Friedensfest zwischen der Natur und
dem Menschen!

Franziskus und Luther haben vieles gemein! Welteroberer sind sie beide
gewesen, Persönlichkeiten von klarer Prägung und von hinreißender Kraft.
Beide haben sie ihrem Volke und ihrer Zeit im Herzen gelesen und haben dann
beide das lösende Wort gesprochen. Gebunden waren sie beide mit Herz und
Gewissen an den einen Meister, und beide waren sie Kinder des einen Gottes!

Und dennoch waren sie wieder so grundverschieden! Gab der eine, Franziskus,
dem Menschen die Natur zurück, die weite herrliche Gotteswelt, so hat der
andre den Menschen auf der eingeschlagnen Bahn höher hinaufgeführt, hat ihn
frei gemacht von der römisch-mönchischen Beurteilung der höchsten Kulturgüter,
hat ihn gelehrt, um nur zweierlei zu nennen, in Beruf und Haus Gaben
Gottes und Aufgaben für die Menschen zu sehen.

Aus welschem Blute der heilige Franz — Luther aber ein deutscher Mann;
Franziskus ein Kind des Friedens — Luther aber ein Held mit gepanzerter
Faust; Franziskus sich selbst verzehrend im Gefühl — Luther aber bei aller
Tiefe des Gemüts ein Mann des Willens und der Tat; Franziskus gehorsam,
sich beugend unter menschliche Autorität, und sei es auch unter dem Opfer
seines Herzens — Luther aber ein aufrechter Mann, ein Herold und Bringer
der Freiheit, die allein gebunden ist in Gott.

Franziskus und Luther: mögen die Römischen uns unsern Luther schmähen,
wir wollen handeln nach dem Gebote der Gerechtigkeit. Römisch mag es sein,
allein zu entscheiden nach der kirchlichen Etikette; evangelisch aber ist es, zu
fragen, wo immer wir sie finden, nach der in Gott gegründeten Menschengröße!




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[0686] Franziskus von Assise erst ganz die Zertrümmerung jener Ketten und die Befreiung der Persönlichkeit erfolgen konnte und erfolgen kann. So hat es sich auch an ihm erfüllt, wie an all den Großen, die die Träger neuer Ideen gewesen sind: „Ihr seid es nicht, die da reden, sondern meines Vaters Geist ist es, der dnrch euch redet!" Und das andre, das wohl auf keinem Gebiete so deutlich zur Anschauung kommt, wie auf dem Gebiete der Kunst. Bei den künstlerischen Borstellungen aus dem Leben des heiligen Franz in den Freskogemälden der imposanten Franziskanerkirche in Assisi kommt zum erstenmal die Landschaft, die Natur zu ihrem Rechte. Bis dahin galt die Natur als etwas, was dieser im Banne der Sünde gefangnen Welt angehört, und was darum der gottgeweihte Künstler scheuen muß. Franziskus hat die Natur aus ihrem Bann erlöst. Von ihm erst haben die Menschen wieder gelernt, daß die Blumen blühten und die Vögel sangen, daß die Sonne strahlte und der Himmel blaute. Er hat den Tag herauf¬ geführt, an dem „ein Versöhnungsfest gefeiert wurde, wie es nicht ergreifender und nicht freudiger sich denken läßt", das Friedensfest zwischen der Natur und dem Menschen! Franziskus und Luther haben vieles gemein! Welteroberer sind sie beide gewesen, Persönlichkeiten von klarer Prägung und von hinreißender Kraft. Beide haben sie ihrem Volke und ihrer Zeit im Herzen gelesen und haben dann beide das lösende Wort gesprochen. Gebunden waren sie beide mit Herz und Gewissen an den einen Meister, und beide waren sie Kinder des einen Gottes! Und dennoch waren sie wieder so grundverschieden! Gab der eine, Franziskus, dem Menschen die Natur zurück, die weite herrliche Gotteswelt, so hat der andre den Menschen auf der eingeschlagnen Bahn höher hinaufgeführt, hat ihn frei gemacht von der römisch-mönchischen Beurteilung der höchsten Kulturgüter, hat ihn gelehrt, um nur zweierlei zu nennen, in Beruf und Haus Gaben Gottes und Aufgaben für die Menschen zu sehen. Aus welschem Blute der heilige Franz — Luther aber ein deutscher Mann; Franziskus ein Kind des Friedens — Luther aber ein Held mit gepanzerter Faust; Franziskus sich selbst verzehrend im Gefühl — Luther aber bei aller Tiefe des Gemüts ein Mann des Willens und der Tat; Franziskus gehorsam, sich beugend unter menschliche Autorität, und sei es auch unter dem Opfer seines Herzens — Luther aber ein aufrechter Mann, ein Herold und Bringer der Freiheit, die allein gebunden ist in Gott. Franziskus und Luther: mögen die Römischen uns unsern Luther schmähen, wir wollen handeln nach dem Gebote der Gerechtigkeit. Römisch mag es sein, allein zu entscheiden nach der kirchlichen Etikette; evangelisch aber ist es, zu fragen, wo immer wir sie finden, nach der in Gott gegründeten Menschengröße!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/686>, abgerufen am 14.05.2024.