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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Seit dem 1. September 1906 ist das Gesetz von 1879 ersetzt durch ein
Gesetz vom 10. August 1906, das aus dem Entwurf von 1905 hervorgegangen
ist. Das neue Gesetz sollte im allgemeinen nur die Ausbildung der Regierungs¬
referendare und die zweite Prüfung neu ordnen. In Wirklichkeit hat es aber
diese Enthaltsamkeit gar nicht geübt, sondern eine ganze Reihe von Bestimmungen
getroffen, die viel weiter gehn und dahin führen müssen, daß manche der
größten Mißstände des bisherigen Zustands nicht nur erhalten bleiben, sondern
noch verschärft werden.

Dahin gehört vor allem, daß das Gesetz dem Lciientum zu den schon
vorhandnen eine neue Einbruchspforte eröffnet hat, indem es die Minister des
Innern und der Finanzen ermächtigte, Landrüte, die eine mindestens fünfjährige
Dienstzeit in dieser Stellung zurückgelegt haben, als befähigt für den höhern
Verwaltungsdienst zu erklären. Diese Bestimmung ist bei den Kommissions¬
beratungen über den Entwurf von 1903 in diesen hineingebracht und aus ihm
von der Regierung in den Entwurf von 1905 hinüber genommen worden.
Sie war ursprünglich das Ergebnis eines kleinen artigen Kuhhandels. Praktisch
bedeutet sie, daß nunmehr jeder, der einmal fünf Jahre Landrat war, ohne
Rücksicht auf seine Vorbildung, also vielleicht ein ehemaliger Offizier mit dem
Fähnrichexamen, Regierungsrat, Oberregierungsrat und Oberpräsidialrat werden
kann -- vorausgesetzt, daß er die nötigen "Beziehungen" hat. Damit sind
also nunmehr glücklich sämtliche Verwaltungsstellen dem Laien zugänglich
geworden, und wiederum ist damit ausgesprochen worden, daß jeder Laie gerade
gut genug für die Verwaltung ist.

Auf einer ähnlichen Grundlage sind die neuen Bestimmungen über die
Übernahme von Juristen in die Verwaltung erwachsen. Sie bedeuten einen
weitern schweren Schlag für die Verwaltungsbeamten und die Verwaltung.
Wer seit zehn Jahren Gerichtsassessor war, kann jetzt ohne weiteres in jede
Verwaltungsstelle übernommen werden. Nach dem Vorgang mit dem Kon-
sistorialrat, den ich früher erwähnt habe, werden wir also nächstens erleben,
daß irgendein Amts- oder Landgerichtsrat -- wohlverstanden nur einer mit
guten "Beziehungen", etwa ein Abgeordneter -- zum Verwaltungsgerichts¬
direktor oder Oberregierungsrat ernannt wird, um, wie die Begründung des
Entwurfs von 1903 so wunderbar schön sagte, "das Personal der Verwaltung
durch tüchtige und für den Verwaltungsdienst als geeignet erkannte Beamten-
krüfte mit juristischer Durchbildung in fruchtbringender Weise zu ergänzen".
Und warum auch nicht! Würde er doch in seiner zehnjährigen Tätigkeit als
Justizbeamter ganz zweifellos ausgezeichnete Gelegenheit gehabt haben, sich "als
für den Verwaltungsdienst geeignet" zu zeigen! Wer das Unglück hat, noch
nicht zehn Jahre Gerichtsassessor zu sein, muß noch eine Probezeit überstehen,
bevor ihm die Befähigung für die höhere Verwaltung zuerkannt werden kann.
Aber man ist gnädig gewesen; man hat die Probezeit von drei Jahren auf ein
Jahr verkürzt. Und außerdem kann sie nunmehr bei jedweder Verwaltungs-


Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Seit dem 1. September 1906 ist das Gesetz von 1879 ersetzt durch ein
Gesetz vom 10. August 1906, das aus dem Entwurf von 1905 hervorgegangen
ist. Das neue Gesetz sollte im allgemeinen nur die Ausbildung der Regierungs¬
referendare und die zweite Prüfung neu ordnen. In Wirklichkeit hat es aber
diese Enthaltsamkeit gar nicht geübt, sondern eine ganze Reihe von Bestimmungen
getroffen, die viel weiter gehn und dahin führen müssen, daß manche der
größten Mißstände des bisherigen Zustands nicht nur erhalten bleiben, sondern
noch verschärft werden.

Dahin gehört vor allem, daß das Gesetz dem Lciientum zu den schon
vorhandnen eine neue Einbruchspforte eröffnet hat, indem es die Minister des
Innern und der Finanzen ermächtigte, Landrüte, die eine mindestens fünfjährige
Dienstzeit in dieser Stellung zurückgelegt haben, als befähigt für den höhern
Verwaltungsdienst zu erklären. Diese Bestimmung ist bei den Kommissions¬
beratungen über den Entwurf von 1903 in diesen hineingebracht und aus ihm
von der Regierung in den Entwurf von 1905 hinüber genommen worden.
Sie war ursprünglich das Ergebnis eines kleinen artigen Kuhhandels. Praktisch
bedeutet sie, daß nunmehr jeder, der einmal fünf Jahre Landrat war, ohne
Rücksicht auf seine Vorbildung, also vielleicht ein ehemaliger Offizier mit dem
Fähnrichexamen, Regierungsrat, Oberregierungsrat und Oberpräsidialrat werden
kann — vorausgesetzt, daß er die nötigen „Beziehungen" hat. Damit sind
also nunmehr glücklich sämtliche Verwaltungsstellen dem Laien zugänglich
geworden, und wiederum ist damit ausgesprochen worden, daß jeder Laie gerade
gut genug für die Verwaltung ist.

Auf einer ähnlichen Grundlage sind die neuen Bestimmungen über die
Übernahme von Juristen in die Verwaltung erwachsen. Sie bedeuten einen
weitern schweren Schlag für die Verwaltungsbeamten und die Verwaltung.
Wer seit zehn Jahren Gerichtsassessor war, kann jetzt ohne weiteres in jede
Verwaltungsstelle übernommen werden. Nach dem Vorgang mit dem Kon-
sistorialrat, den ich früher erwähnt habe, werden wir also nächstens erleben,
daß irgendein Amts- oder Landgerichtsrat — wohlverstanden nur einer mit
guten „Beziehungen", etwa ein Abgeordneter — zum Verwaltungsgerichts¬
direktor oder Oberregierungsrat ernannt wird, um, wie die Begründung des
Entwurfs von 1903 so wunderbar schön sagte, „das Personal der Verwaltung
durch tüchtige und für den Verwaltungsdienst als geeignet erkannte Beamten-
krüfte mit juristischer Durchbildung in fruchtbringender Weise zu ergänzen".
Und warum auch nicht! Würde er doch in seiner zehnjährigen Tätigkeit als
Justizbeamter ganz zweifellos ausgezeichnete Gelegenheit gehabt haben, sich „als
für den Verwaltungsdienst geeignet" zu zeigen! Wer das Unglück hat, noch
nicht zehn Jahre Gerichtsassessor zu sein, muß noch eine Probezeit überstehen,
bevor ihm die Befähigung für die höhere Verwaltung zuerkannt werden kann.
Aber man ist gnädig gewesen; man hat die Probezeit von drei Jahren auf ein
Jahr verkürzt. Und außerdem kann sie nunmehr bei jedweder Verwaltungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/78>, abgerufen am 14.05.2024.