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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

in etwa fünf Kilometer Entfernung Gewitter mit leuchtenden Blitzen, über uns
zwar Sternenhimmel, unter uns aber eine schwere, dem Auge undurchdringliche
Dunstschicht, auf der unser Ballon in 100 bis 150 Meter Höhe vortrefflich
schwamm. So kam ich um das Wiedersehen mit den auf einer frühern Fahrt,
nach Wiesenburg in der Mark, geschauten Landschaften auf der Grenze zwischen
Anhalt und der Provinz Sachsen; bewegten wir uns doch nur wenig west¬
licher als damals, wie wir aus dem bisweilen zu uns herauftönenden Rauschen
eines Muldenwehres schließen konnten. Nach vierzig Minuten lag die Elbe
unter uns östlich von ihrer Vereinigung mit der Mulde. Der verschleierte
Lichtschein einer größern Stadt zu unsrer Linken hatte uns verraten, daß wir
an Dessau vorüberkamen.

Die Geschwindigkeit beträgt 42 Kilometer in der Stunde. Forst reiht
sich an Forst, von allen Wildarten belebt, dazwischen einige Blößen mit je
einer Ortschaft in der Mitte. Früh ^3 Uhr kreuzen wir die den Wald,
Brandes Heide, durchschneidende Bahn Berlin - Frankfurt am Main, drei
Viertelstunden später die Linie Berlin - Magdeburg und gleich darauf den
Pläner Kanal, eine abkürzende Verbindung zwischen Havel und Elbe.

Schon vorher hatten wir im ersten Morgengrauen einen Wasserspiegel
östlich von uns bemerkt, jetzt schauen wir, durch die langgezognen Töne von
Dampfersirenen aufmerksam gemacht, See an See. Es sind die Havelseen
westlich von Brandenburg, vor allen der weitverzweigte Pläner See mit seinen
beiden großen Werbern und mehreren kleinen Inseln, an dessen Südrande die
eben von uns überflogne Bahn weiterführt. Damit erschließt sich uns das
erste große Landschaftsbild auf dieser Fahrt, wenn auch noch immer in
Dämmerung verschwimmend. Dem Pläner See entströmt nordwärts, also nach
derselben Richtung, aus der sie jenseit des nach ihr benannten Havelländischen
Luchs hergekommen ist, die Havel, die hier selbst einem langgestreckten, nur
einigemal sich etwas verengenden See gleicht. Bei Pritzerbe wendet sie sich
in großen Schlangenwindungen und vielen Parallelläufen nach Westen.

Dort fliegen wir, immer noch in 100 Meter Höhe, über sie weg. Vor
uns steigen bewaldete Hügel auf, die Premnitzer und die Wolfsberge, hinter
ihnen dehnt sich, zunächst scheinbar endlos, der Grünauer und der Rathenower
Forst, von der Berlin-Lehrter Bahn in eine große südliche und eine kleinere
nördliche Hälfte zerschnitten. Ansiedlungen fehlen gänzlich. Moosgrüne Flächen
schauen freundlich aus dem dunkeln Nadelwalde hervor, der im Norden dicht
bis an den sichelförmigen Hohennauener See heranreicht.

Beim Dorfe Wassersuppe -- wie mag der unschuldige Ort zu diesem noch
unschuldigem Namen gekommen sein? -- trägt uns der Wind über den See
nach dem gebirgigen, aber sandigen und baumarmen "Ländchen Rhinow", das
sich im Nordosten mit dem Gollenberg bis zu 110 Meter erhebt und ziemlich
steil nach dem Rhinluch zu abfüllt. Dieses geht nach Norden in eine weite,
mit Wiesen und Gebüsch bedeckte Sumpfniederung, den Dosfebruch über, Scharen


Luftreisen

in etwa fünf Kilometer Entfernung Gewitter mit leuchtenden Blitzen, über uns
zwar Sternenhimmel, unter uns aber eine schwere, dem Auge undurchdringliche
Dunstschicht, auf der unser Ballon in 100 bis 150 Meter Höhe vortrefflich
schwamm. So kam ich um das Wiedersehen mit den auf einer frühern Fahrt,
nach Wiesenburg in der Mark, geschauten Landschaften auf der Grenze zwischen
Anhalt und der Provinz Sachsen; bewegten wir uns doch nur wenig west¬
licher als damals, wie wir aus dem bisweilen zu uns herauftönenden Rauschen
eines Muldenwehres schließen konnten. Nach vierzig Minuten lag die Elbe
unter uns östlich von ihrer Vereinigung mit der Mulde. Der verschleierte
Lichtschein einer größern Stadt zu unsrer Linken hatte uns verraten, daß wir
an Dessau vorüberkamen.

Die Geschwindigkeit beträgt 42 Kilometer in der Stunde. Forst reiht
sich an Forst, von allen Wildarten belebt, dazwischen einige Blößen mit je
einer Ortschaft in der Mitte. Früh ^3 Uhr kreuzen wir die den Wald,
Brandes Heide, durchschneidende Bahn Berlin - Frankfurt am Main, drei
Viertelstunden später die Linie Berlin - Magdeburg und gleich darauf den
Pläner Kanal, eine abkürzende Verbindung zwischen Havel und Elbe.

Schon vorher hatten wir im ersten Morgengrauen einen Wasserspiegel
östlich von uns bemerkt, jetzt schauen wir, durch die langgezognen Töne von
Dampfersirenen aufmerksam gemacht, See an See. Es sind die Havelseen
westlich von Brandenburg, vor allen der weitverzweigte Pläner See mit seinen
beiden großen Werbern und mehreren kleinen Inseln, an dessen Südrande die
eben von uns überflogne Bahn weiterführt. Damit erschließt sich uns das
erste große Landschaftsbild auf dieser Fahrt, wenn auch noch immer in
Dämmerung verschwimmend. Dem Pläner See entströmt nordwärts, also nach
derselben Richtung, aus der sie jenseit des nach ihr benannten Havelländischen
Luchs hergekommen ist, die Havel, die hier selbst einem langgestreckten, nur
einigemal sich etwas verengenden See gleicht. Bei Pritzerbe wendet sie sich
in großen Schlangenwindungen und vielen Parallelläufen nach Westen.

Dort fliegen wir, immer noch in 100 Meter Höhe, über sie weg. Vor
uns steigen bewaldete Hügel auf, die Premnitzer und die Wolfsberge, hinter
ihnen dehnt sich, zunächst scheinbar endlos, der Grünauer und der Rathenower
Forst, von der Berlin-Lehrter Bahn in eine große südliche und eine kleinere
nördliche Hälfte zerschnitten. Ansiedlungen fehlen gänzlich. Moosgrüne Flächen
schauen freundlich aus dem dunkeln Nadelwalde hervor, der im Norden dicht
bis an den sichelförmigen Hohennauener See heranreicht.

Beim Dorfe Wassersuppe — wie mag der unschuldige Ort zu diesem noch
unschuldigem Namen gekommen sein? — trägt uns der Wind über den See
nach dem gebirgigen, aber sandigen und baumarmen „Ländchen Rhinow", das
sich im Nordosten mit dem Gollenberg bis zu 110 Meter erhebt und ziemlich
steil nach dem Rhinluch zu abfüllt. Dieses geht nach Norden in eine weite,
mit Wiesen und Gebüsch bedeckte Sumpfniederung, den Dosfebruch über, Scharen


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[0203] Luftreisen in etwa fünf Kilometer Entfernung Gewitter mit leuchtenden Blitzen, über uns zwar Sternenhimmel, unter uns aber eine schwere, dem Auge undurchdringliche Dunstschicht, auf der unser Ballon in 100 bis 150 Meter Höhe vortrefflich schwamm. So kam ich um das Wiedersehen mit den auf einer frühern Fahrt, nach Wiesenburg in der Mark, geschauten Landschaften auf der Grenze zwischen Anhalt und der Provinz Sachsen; bewegten wir uns doch nur wenig west¬ licher als damals, wie wir aus dem bisweilen zu uns herauftönenden Rauschen eines Muldenwehres schließen konnten. Nach vierzig Minuten lag die Elbe unter uns östlich von ihrer Vereinigung mit der Mulde. Der verschleierte Lichtschein einer größern Stadt zu unsrer Linken hatte uns verraten, daß wir an Dessau vorüberkamen. Die Geschwindigkeit beträgt 42 Kilometer in der Stunde. Forst reiht sich an Forst, von allen Wildarten belebt, dazwischen einige Blößen mit je einer Ortschaft in der Mitte. Früh ^3 Uhr kreuzen wir die den Wald, Brandes Heide, durchschneidende Bahn Berlin - Frankfurt am Main, drei Viertelstunden später die Linie Berlin - Magdeburg und gleich darauf den Pläner Kanal, eine abkürzende Verbindung zwischen Havel und Elbe. Schon vorher hatten wir im ersten Morgengrauen einen Wasserspiegel östlich von uns bemerkt, jetzt schauen wir, durch die langgezognen Töne von Dampfersirenen aufmerksam gemacht, See an See. Es sind die Havelseen westlich von Brandenburg, vor allen der weitverzweigte Pläner See mit seinen beiden großen Werbern und mehreren kleinen Inseln, an dessen Südrande die eben von uns überflogne Bahn weiterführt. Damit erschließt sich uns das erste große Landschaftsbild auf dieser Fahrt, wenn auch noch immer in Dämmerung verschwimmend. Dem Pläner See entströmt nordwärts, also nach derselben Richtung, aus der sie jenseit des nach ihr benannten Havelländischen Luchs hergekommen ist, die Havel, die hier selbst einem langgestreckten, nur einigemal sich etwas verengenden See gleicht. Bei Pritzerbe wendet sie sich in großen Schlangenwindungen und vielen Parallelläufen nach Westen. Dort fliegen wir, immer noch in 100 Meter Höhe, über sie weg. Vor uns steigen bewaldete Hügel auf, die Premnitzer und die Wolfsberge, hinter ihnen dehnt sich, zunächst scheinbar endlos, der Grünauer und der Rathenower Forst, von der Berlin-Lehrter Bahn in eine große südliche und eine kleinere nördliche Hälfte zerschnitten. Ansiedlungen fehlen gänzlich. Moosgrüne Flächen schauen freundlich aus dem dunkeln Nadelwalde hervor, der im Norden dicht bis an den sichelförmigen Hohennauener See heranreicht. Beim Dorfe Wassersuppe — wie mag der unschuldige Ort zu diesem noch unschuldigem Namen gekommen sein? — trägt uns der Wind über den See nach dem gebirgigen, aber sandigen und baumarmen „Ländchen Rhinow", das sich im Nordosten mit dem Gollenberg bis zu 110 Meter erhebt und ziemlich steil nach dem Rhinluch zu abfüllt. Dieses geht nach Norden in eine weite, mit Wiesen und Gebüsch bedeckte Sumpfniederung, den Dosfebruch über, Scharen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/203>, abgerufen am 17.06.2024.