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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Das Problei" der Leringsmeer - Eisenbahn

der sibirischen Strecke sein. Die Linie würde an der nördlichsten Station der
großen transsibirischen Bahn, in Kainsk (westlich vom Baiknlsee) unter dem
55. Grad nördlicher Breite, 5000 Kilometer von Moskau entfernt, beginnen
und dann über Jakutsk zur Tschuktschenhalbinsel und zum Ostkap geführt
werden. Diese Strecke dürfte für Bahnkanten eine der schwierigsten sein, die
irgendwo auf Erden zu finden ist: führt doch ihr Weg erstens bei Jakutsk
dicht an den Gegenden des Kältepols der Erde vorbei, wo man mit absoluten
Temperaturschwankungen von vollen 100 Grad zu rechnen hat, nämlich
-- 62 Grad Celsius im Januar und -j-39 Grad Celsius im Juli! Weiter
aber muß die Bahn mitten durch die unendlichen Sumpfgegenden der nord¬
sibirischen Tundra gebaut werden, die fast das ganze nördliche Sibirien be¬
deckt und der Anlegung eines festen Bahnkörpers voraussichtlich ganz enorme
Schwierigkeiten bereiten wird. Schließlich muß weiter im Osten die Bahn das
unwirtliche Stanowojgebirge durchziehen, in dem bisher wegen seines entsetzlichen
Klimas jeder Verkehr alljährlich viele Monate hindurch vollständig stockt.

Überschaut man alle diese Tatsachen, so kaun man sagen, daß es nur der
oft bewährten Zähigkeit der Amerikaner und ihrer hervorragenden technischen
Kunst zu danken sein wird, wenn das Unternehmen gelingt. Allerdings würden
die wirtschaftlichen Vorteile ganz unabsehbare sein, sodaß die 1100 Millionen
Mark, auf die man den Bau der insgesamt 7500 Kilometer langen Bahn
einschließlich des großen Tunnels anschlüge, eine ausreichende Verzinsung er¬
geben dürften.

Der Fernerstehende wird es zunächst kaum begreifen, was man von einer
Bahn zu hoffen hat, die durch trostlose klimatische Gebiete und auf endlose
Weiten durch nahezu menschenleere Länder führt, oder daß man von ihr gar gute
Einnahmen und eine reiche Verzinsung erwarten kann. Daß sich die Reisenden,
die von Europa nach Amerika und umgekehrt fahren wollen, in absehbarer Zeit
kaum jemals freiwillig der Bahn, sondern nach wie vor dem Schiff anvertrauen
werden, versteht sich aus mannigfachen Gründen von selbst. Trotzdem aber
wird die Bahn eine der einträglichsten Unternehmungen werden, die es über¬
haupt gibt. Denn sie würde erstens durch das reiche Goldland Alaska
führen, wo man auf der Halbinsel Seward erst kürzlich wieder neue, jung¬
fräuliche Goldlager von einem geradezu fabelhaften Reichtum gefunden hat.
Aber auch Sibirien ist ein reiches Goldland, dessen Goldwüschereien am Ober¬
lauf der Lena und des Jeuissei schon heute zwei Drittel der gesamten Gold-
Produktion Rußlands ausmachen, und dessen Ertragfühigkeit durch eine in die
Gvldlünder führende Bahn natürlich außerordentlich gesteigert werden könnte.
Der Goldreichtum der Tschuktschenhalbinsel ist bisher nur zum kleinsten Teil
erforscht; allem Anschein nach aber muß er ebenfalls ganz enorm sein und
vielleicht wieder sogar noch den des Nachbarlandes Alaska übertreffen, aus
dein die Amerikaner jetzt allein an Gold alljährlich fast die gesamte, 1867 an
Nußland gezahlte Kaufsumme (7 Millionen Mark) herauswirtschaften. Andre


Das Problei» der Leringsmeer - Eisenbahn

der sibirischen Strecke sein. Die Linie würde an der nördlichsten Station der
großen transsibirischen Bahn, in Kainsk (westlich vom Baiknlsee) unter dem
55. Grad nördlicher Breite, 5000 Kilometer von Moskau entfernt, beginnen
und dann über Jakutsk zur Tschuktschenhalbinsel und zum Ostkap geführt
werden. Diese Strecke dürfte für Bahnkanten eine der schwierigsten sein, die
irgendwo auf Erden zu finden ist: führt doch ihr Weg erstens bei Jakutsk
dicht an den Gegenden des Kältepols der Erde vorbei, wo man mit absoluten
Temperaturschwankungen von vollen 100 Grad zu rechnen hat, nämlich
— 62 Grad Celsius im Januar und -j-39 Grad Celsius im Juli! Weiter
aber muß die Bahn mitten durch die unendlichen Sumpfgegenden der nord¬
sibirischen Tundra gebaut werden, die fast das ganze nördliche Sibirien be¬
deckt und der Anlegung eines festen Bahnkörpers voraussichtlich ganz enorme
Schwierigkeiten bereiten wird. Schließlich muß weiter im Osten die Bahn das
unwirtliche Stanowojgebirge durchziehen, in dem bisher wegen seines entsetzlichen
Klimas jeder Verkehr alljährlich viele Monate hindurch vollständig stockt.

Überschaut man alle diese Tatsachen, so kaun man sagen, daß es nur der
oft bewährten Zähigkeit der Amerikaner und ihrer hervorragenden technischen
Kunst zu danken sein wird, wenn das Unternehmen gelingt. Allerdings würden
die wirtschaftlichen Vorteile ganz unabsehbare sein, sodaß die 1100 Millionen
Mark, auf die man den Bau der insgesamt 7500 Kilometer langen Bahn
einschließlich des großen Tunnels anschlüge, eine ausreichende Verzinsung er¬
geben dürften.

Der Fernerstehende wird es zunächst kaum begreifen, was man von einer
Bahn zu hoffen hat, die durch trostlose klimatische Gebiete und auf endlose
Weiten durch nahezu menschenleere Länder führt, oder daß man von ihr gar gute
Einnahmen und eine reiche Verzinsung erwarten kann. Daß sich die Reisenden,
die von Europa nach Amerika und umgekehrt fahren wollen, in absehbarer Zeit
kaum jemals freiwillig der Bahn, sondern nach wie vor dem Schiff anvertrauen
werden, versteht sich aus mannigfachen Gründen von selbst. Trotzdem aber
wird die Bahn eine der einträglichsten Unternehmungen werden, die es über¬
haupt gibt. Denn sie würde erstens durch das reiche Goldland Alaska
führen, wo man auf der Halbinsel Seward erst kürzlich wieder neue, jung¬
fräuliche Goldlager von einem geradezu fabelhaften Reichtum gefunden hat.
Aber auch Sibirien ist ein reiches Goldland, dessen Goldwüschereien am Ober¬
lauf der Lena und des Jeuissei schon heute zwei Drittel der gesamten Gold-
Produktion Rußlands ausmachen, und dessen Ertragfühigkeit durch eine in die
Gvldlünder führende Bahn natürlich außerordentlich gesteigert werden könnte.
Der Goldreichtum der Tschuktschenhalbinsel ist bisher nur zum kleinsten Teil
erforscht; allem Anschein nach aber muß er ebenfalls ganz enorm sein und
vielleicht wieder sogar noch den des Nachbarlandes Alaska übertreffen, aus
dein die Amerikaner jetzt allein an Gold alljährlich fast die gesamte, 1867 an
Nußland gezahlte Kaufsumme (7 Millionen Mark) herauswirtschaften. Andre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/287>, abgerufen am 17.06.2024.