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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die Kurse für Rcgiermlgsrefcrcndare

Der Lehrer zu D. hatte nun auf Grund seiner Einkommensnachweisung
an Naturalien zu beanspruchen:

50 Scheffel Kartoffeln, 50 Scheffel Hafer, 5 Scheffel Gerste, ein Fuder
Heu, ein Fuder Gerstenstroh.

Zu dieser Lieferung war der fiskalische Grundbesitz auf Grund alten Her¬
kommens verpflichtet. Bei der Veräußerung wurde nun diese Last auf die ein¬
zelnen Parzellen -- im ganzen waren es 15 -- verteilt.

In den schriftlichen Kaufkontrakten aus dem Jahre 1831 heißt es zum
Beispiel:

"Der Bauernhof Ur. 1 hat dem Lehrer jährlich zu liefern:

10 Scheffel Kartoffeln. 10 Scheffel Hafer,
10 ,. Gerste. ^<> Fuder Heu.
^ Fuder Gerstenstroh."

Im Laufe der Zeit wurden die 15 Parzellen weiter parzelliert und ver¬
ändert, ohne daß dabei zugleich eine weitere Verteilung der dem Lehrer zu
liefernden Naturalien auf die neuen Parzellen stattfand.

So entwickelte sich allmählich der Rechtszustand, daß der Lehrer von den ihm
vokationsmüßig zustehenden Naturalien überhaupt fast gar nichts mehr erhielt.

Er wandte sich darum im Jahre 1893 an die Negierung mit der Bitte um
Hilfe Die Angelegenheit wurde in der Sitzung vorgetragen. Welches Gut¬
achten gab wohl der Berichterstatter ab? Ist eine Ablösung der Reallasten
nach Maßgabe des Gesetzes betreffend die Ablösung der Reallasten vom 2. März
1850 (Gesetzsammlung S. 77) statthaft?

Es fand darauf eine nachträgliche Verteilung der Naturallasten auf die
einzelnen Parzellen nach Maßgabe des Gesetzes betreffend die Verteilung öffent¬
licher Lasten bei Grundstücksteilungen usw. vom 25. August 1876 (Gesetzsamm¬
lung S. 405) statt. Gegen den Verteilungsplan wurde von einigen Parzellen¬
besitzern ohne Erfolg die Klage bei dem Krcisausschuß erhoben. Die Entscheidung
des Kreisausschusses hatte die Rechtskraft beschütten. Darauf beschwerten sich
einzelne Parzcllenbesitzer bei dem Provinzialrat.

Welchen Beschluß faßte wohl der Provinzialrat?

Einige Parzellenbesitzer weigerten sich zu zahlen -- mit der Begründung,
es sei "eine privatrechtliche Last", und erhoben die Klage bei dem Amtsgericht.
Das Amtsgericht erkannte zugunsten der Kläger dahin, daß in der Tat eine
privatrechtliche Last vorliege.

Der Rechtsanwalt des Schulvorstandcs wandte sich darauf an die Ne¬
gierung mit der Bitte, den Kompetenzkonflikt zu erheben. Die Sache wurde
in der Sitzung vorgetragen. Welches Gutachten gab wohl der Berichterstatter
ab, und welchen Beschluß faßte wohl das Kollegium? Welchen praktischen
Ausweg ergriff schließlich der Dezernent, um den endlosen Streit ein für alle¬
mal aus der Welt zu schaffen?

Der Leser wird wohl nicht in Abrede stellen, daß sich an diesen Fall eine
Anzahl Fragen knüpfen, die wohl geeignet sind, zum Denken anzuregen und den


Die Kurse für Rcgiermlgsrefcrcndare

Der Lehrer zu D. hatte nun auf Grund seiner Einkommensnachweisung
an Naturalien zu beanspruchen:

50 Scheffel Kartoffeln, 50 Scheffel Hafer, 5 Scheffel Gerste, ein Fuder
Heu, ein Fuder Gerstenstroh.

Zu dieser Lieferung war der fiskalische Grundbesitz auf Grund alten Her¬
kommens verpflichtet. Bei der Veräußerung wurde nun diese Last auf die ein¬
zelnen Parzellen — im ganzen waren es 15 — verteilt.

In den schriftlichen Kaufkontrakten aus dem Jahre 1831 heißt es zum
Beispiel:

„Der Bauernhof Ur. 1 hat dem Lehrer jährlich zu liefern:

10 Scheffel Kartoffeln. 10 Scheffel Hafer,
10 ,. Gerste. ^<> Fuder Heu.
^ Fuder Gerstenstroh."

Im Laufe der Zeit wurden die 15 Parzellen weiter parzelliert und ver¬
ändert, ohne daß dabei zugleich eine weitere Verteilung der dem Lehrer zu
liefernden Naturalien auf die neuen Parzellen stattfand.

So entwickelte sich allmählich der Rechtszustand, daß der Lehrer von den ihm
vokationsmüßig zustehenden Naturalien überhaupt fast gar nichts mehr erhielt.

Er wandte sich darum im Jahre 1893 an die Negierung mit der Bitte um
Hilfe Die Angelegenheit wurde in der Sitzung vorgetragen. Welches Gut¬
achten gab wohl der Berichterstatter ab? Ist eine Ablösung der Reallasten
nach Maßgabe des Gesetzes betreffend die Ablösung der Reallasten vom 2. März
1850 (Gesetzsammlung S. 77) statthaft?

Es fand darauf eine nachträgliche Verteilung der Naturallasten auf die
einzelnen Parzellen nach Maßgabe des Gesetzes betreffend die Verteilung öffent¬
licher Lasten bei Grundstücksteilungen usw. vom 25. August 1876 (Gesetzsamm¬
lung S. 405) statt. Gegen den Verteilungsplan wurde von einigen Parzellen¬
besitzern ohne Erfolg die Klage bei dem Krcisausschuß erhoben. Die Entscheidung
des Kreisausschusses hatte die Rechtskraft beschütten. Darauf beschwerten sich
einzelne Parzcllenbesitzer bei dem Provinzialrat.

Welchen Beschluß faßte wohl der Provinzialrat?

Einige Parzellenbesitzer weigerten sich zu zahlen — mit der Begründung,
es sei „eine privatrechtliche Last", und erhoben die Klage bei dem Amtsgericht.
Das Amtsgericht erkannte zugunsten der Kläger dahin, daß in der Tat eine
privatrechtliche Last vorliege.

Der Rechtsanwalt des Schulvorstandcs wandte sich darauf an die Ne¬
gierung mit der Bitte, den Kompetenzkonflikt zu erheben. Die Sache wurde
in der Sitzung vorgetragen. Welches Gutachten gab wohl der Berichterstatter
ab, und welchen Beschluß faßte wohl das Kollegium? Welchen praktischen
Ausweg ergriff schließlich der Dezernent, um den endlosen Streit ein für alle¬
mal aus der Welt zu schaffen?

Der Leser wird wohl nicht in Abrede stellen, daß sich an diesen Fall eine
Anzahl Fragen knüpfen, die wohl geeignet sind, zum Denken anzuregen und den


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[0291] Die Kurse für Rcgiermlgsrefcrcndare Der Lehrer zu D. hatte nun auf Grund seiner Einkommensnachweisung an Naturalien zu beanspruchen: 50 Scheffel Kartoffeln, 50 Scheffel Hafer, 5 Scheffel Gerste, ein Fuder Heu, ein Fuder Gerstenstroh. Zu dieser Lieferung war der fiskalische Grundbesitz auf Grund alten Her¬ kommens verpflichtet. Bei der Veräußerung wurde nun diese Last auf die ein¬ zelnen Parzellen — im ganzen waren es 15 — verteilt. In den schriftlichen Kaufkontrakten aus dem Jahre 1831 heißt es zum Beispiel: „Der Bauernhof Ur. 1 hat dem Lehrer jährlich zu liefern: 10 Scheffel Kartoffeln. 10 Scheffel Hafer, 10 ,. Gerste. ^<> Fuder Heu. ^ Fuder Gerstenstroh." Im Laufe der Zeit wurden die 15 Parzellen weiter parzelliert und ver¬ ändert, ohne daß dabei zugleich eine weitere Verteilung der dem Lehrer zu liefernden Naturalien auf die neuen Parzellen stattfand. So entwickelte sich allmählich der Rechtszustand, daß der Lehrer von den ihm vokationsmüßig zustehenden Naturalien überhaupt fast gar nichts mehr erhielt. Er wandte sich darum im Jahre 1893 an die Negierung mit der Bitte um Hilfe Die Angelegenheit wurde in der Sitzung vorgetragen. Welches Gut¬ achten gab wohl der Berichterstatter ab? Ist eine Ablösung der Reallasten nach Maßgabe des Gesetzes betreffend die Ablösung der Reallasten vom 2. März 1850 (Gesetzsammlung S. 77) statthaft? Es fand darauf eine nachträgliche Verteilung der Naturallasten auf die einzelnen Parzellen nach Maßgabe des Gesetzes betreffend die Verteilung öffent¬ licher Lasten bei Grundstücksteilungen usw. vom 25. August 1876 (Gesetzsamm¬ lung S. 405) statt. Gegen den Verteilungsplan wurde von einigen Parzellen¬ besitzern ohne Erfolg die Klage bei dem Krcisausschuß erhoben. Die Entscheidung des Kreisausschusses hatte die Rechtskraft beschütten. Darauf beschwerten sich einzelne Parzcllenbesitzer bei dem Provinzialrat. Welchen Beschluß faßte wohl der Provinzialrat? Einige Parzellenbesitzer weigerten sich zu zahlen — mit der Begründung, es sei „eine privatrechtliche Last", und erhoben die Klage bei dem Amtsgericht. Das Amtsgericht erkannte zugunsten der Kläger dahin, daß in der Tat eine privatrechtliche Last vorliege. Der Rechtsanwalt des Schulvorstandcs wandte sich darauf an die Ne¬ gierung mit der Bitte, den Kompetenzkonflikt zu erheben. Die Sache wurde in der Sitzung vorgetragen. Welches Gutachten gab wohl der Berichterstatter ab, und welchen Beschluß faßte wohl das Kollegium? Welchen praktischen Ausweg ergriff schließlich der Dezernent, um den endlosen Streit ein für alle¬ mal aus der Welt zu schaffen? Der Leser wird wohl nicht in Abrede stellen, daß sich an diesen Fall eine Anzahl Fragen knüpfen, die wohl geeignet sind, zum Denken anzuregen und den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/291>, abgerufen am 17.06.2024.