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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert

den gemeinsamen Gegensatz beider Reiche gegen die Türken und das Interesse
an der polnischen Königswahl, die 1573 nach dem Aussterben der Jagelloneir
vorgenommen wurde. Hier machte Maximilian den Versuch, seinen Sohn, den
Erzherzog Ernst, auf den erledigten Thron zu bringen (wie Maximilian der
Erste seinen Sohn Philipp einmal nach Stockholm hat bringen wollen): Ware
das geglückt, so hätte ein österreichisch-polnisch-russisches Bündnis gegen die Türken
zustande kommen mögen, während die Wahl Heinrichs von Anjou, die bekanntlich
im Mai 1573 erfolgte, die entgegengesetzte Lage schuf: ein Bourbon bedrohte
Österreich mit einem polnisch-türkisch-siebenbürgischen Bündnis. In dieser Lage
ist sogar die Kandidatur des Zaren um den polnischen Thron einen Augenblick
aufgetaucht, stieß aber sofort auf den Widerstand des polnischen Adels, der kein
zarisches Regiment ertragen wollte. Nach wiederholter Thronerlcdigung wurde
Stephan Bathory 1574 zum polnischen Könige gewählt, "der letzte Mann, wie
ein Historiker sagt, der bei längerm Leben Polen hätte vom Untergange retten
können": den Gedanken, ihm mit Gewalt zu begegnen, mußte Maximilian auf¬
geben, weil der deutsche Reichstag durch das Verlangen der Protestanten, jeder
Geldbewilligung müsse die Annahme ihrer religiösen Forderungen vorausgchn,
und die starre Ablehnung dieser Forderungen durch die von Kardinal Morone
geleiteten Katholiken völlig leistungsunfähig war. Rußland aber wurde von
Bathory in drei Feldzügen so mitgenommen, daß es 1580 auf ganz Livland ver¬
zichten mußte, und daß sein Vordringen nach Westen auf siebzig Jahre stillstand.
Der polnische König hat damals zum erstenmal die moderne europäische Krieg¬
führung, die im Westen längst durchgedrungen war, und die auf einem gut¬
geschulten Fußvolk und einer vorzüglichen Artillerie beruhte, auf den Osten über¬
tragen, wo man im Kriege nur schlecht bewaffnete und noch schlechter disziplinierte
Reitermassen zu verwenden gewöhnt war. In Rußland erlosch dann 1598 das
Haus Rjnrik mit Zar Feodor am 17. Januar 1598, und sein Schwager Boris Gn-
dunow, der als Bruder der Zarin Irma gewählt wurde, suchte sofort Anlehnung
an Kaiser Rudolf den Zweiten, um dadurch seine Stellung zu festigen; er dachte
daran, seine Tochter Tenia mit einem Habsburger zu vermählen und so das
Ansehen seines Hauses zu stärken -- wie später Napoleon der Erste; es wurde
dabei Maximilian Ernst ins Auge gefaßt, der 1583 geborne zweite Sohn Karls
von Steiermark. Ehe aber die Verhandlungen zum Abschluß kamen, erlag Zar
Boris 1605 seinem Gegner Demetrius: "Österreich kam wieder zu spät". Mit
diesem Ereignis, dem Emporkommen des falschen Demetrius, schließt der erste
Band Übersbcrgs ab. Der zweite soll die Zeit von 1605 bis 1689, bis zum
Regierungsantritt Peters des Großen, behandeln und steht in nicht zu ferner Zeit in
Aussicht. Vielleicht können wir auch über ihn in diesen Blättern einst berichten.


Gottlob Egelhaaf


Grenzboten IV 190733
Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert

den gemeinsamen Gegensatz beider Reiche gegen die Türken und das Interesse
an der polnischen Königswahl, die 1573 nach dem Aussterben der Jagelloneir
vorgenommen wurde. Hier machte Maximilian den Versuch, seinen Sohn, den
Erzherzog Ernst, auf den erledigten Thron zu bringen (wie Maximilian der
Erste seinen Sohn Philipp einmal nach Stockholm hat bringen wollen): Ware
das geglückt, so hätte ein österreichisch-polnisch-russisches Bündnis gegen die Türken
zustande kommen mögen, während die Wahl Heinrichs von Anjou, die bekanntlich
im Mai 1573 erfolgte, die entgegengesetzte Lage schuf: ein Bourbon bedrohte
Österreich mit einem polnisch-türkisch-siebenbürgischen Bündnis. In dieser Lage
ist sogar die Kandidatur des Zaren um den polnischen Thron einen Augenblick
aufgetaucht, stieß aber sofort auf den Widerstand des polnischen Adels, der kein
zarisches Regiment ertragen wollte. Nach wiederholter Thronerlcdigung wurde
Stephan Bathory 1574 zum polnischen Könige gewählt, „der letzte Mann, wie
ein Historiker sagt, der bei längerm Leben Polen hätte vom Untergange retten
können": den Gedanken, ihm mit Gewalt zu begegnen, mußte Maximilian auf¬
geben, weil der deutsche Reichstag durch das Verlangen der Protestanten, jeder
Geldbewilligung müsse die Annahme ihrer religiösen Forderungen vorausgchn,
und die starre Ablehnung dieser Forderungen durch die von Kardinal Morone
geleiteten Katholiken völlig leistungsunfähig war. Rußland aber wurde von
Bathory in drei Feldzügen so mitgenommen, daß es 1580 auf ganz Livland ver¬
zichten mußte, und daß sein Vordringen nach Westen auf siebzig Jahre stillstand.
Der polnische König hat damals zum erstenmal die moderne europäische Krieg¬
führung, die im Westen längst durchgedrungen war, und die auf einem gut¬
geschulten Fußvolk und einer vorzüglichen Artillerie beruhte, auf den Osten über¬
tragen, wo man im Kriege nur schlecht bewaffnete und noch schlechter disziplinierte
Reitermassen zu verwenden gewöhnt war. In Rußland erlosch dann 1598 das
Haus Rjnrik mit Zar Feodor am 17. Januar 1598, und sein Schwager Boris Gn-
dunow, der als Bruder der Zarin Irma gewählt wurde, suchte sofort Anlehnung
an Kaiser Rudolf den Zweiten, um dadurch seine Stellung zu festigen; er dachte
daran, seine Tochter Tenia mit einem Habsburger zu vermählen und so das
Ansehen seines Hauses zu stärken — wie später Napoleon der Erste; es wurde
dabei Maximilian Ernst ins Auge gefaßt, der 1583 geborne zweite Sohn Karls
von Steiermark. Ehe aber die Verhandlungen zum Abschluß kamen, erlag Zar
Boris 1605 seinem Gegner Demetrius: „Österreich kam wieder zu spät". Mit
diesem Ereignis, dem Emporkommen des falschen Demetrius, schließt der erste
Band Übersbcrgs ab. Der zweite soll die Zeit von 1605 bis 1689, bis zum
Regierungsantritt Peters des Großen, behandeln und steht in nicht zu ferner Zeit in
Aussicht. Vielleicht können wir auch über ihn in diesen Blättern einst berichten.


Gottlob Egelhaaf


Grenzboten IV 190733
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[0301] Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert den gemeinsamen Gegensatz beider Reiche gegen die Türken und das Interesse an der polnischen Königswahl, die 1573 nach dem Aussterben der Jagelloneir vorgenommen wurde. Hier machte Maximilian den Versuch, seinen Sohn, den Erzherzog Ernst, auf den erledigten Thron zu bringen (wie Maximilian der Erste seinen Sohn Philipp einmal nach Stockholm hat bringen wollen): Ware das geglückt, so hätte ein österreichisch-polnisch-russisches Bündnis gegen die Türken zustande kommen mögen, während die Wahl Heinrichs von Anjou, die bekanntlich im Mai 1573 erfolgte, die entgegengesetzte Lage schuf: ein Bourbon bedrohte Österreich mit einem polnisch-türkisch-siebenbürgischen Bündnis. In dieser Lage ist sogar die Kandidatur des Zaren um den polnischen Thron einen Augenblick aufgetaucht, stieß aber sofort auf den Widerstand des polnischen Adels, der kein zarisches Regiment ertragen wollte. Nach wiederholter Thronerlcdigung wurde Stephan Bathory 1574 zum polnischen Könige gewählt, „der letzte Mann, wie ein Historiker sagt, der bei längerm Leben Polen hätte vom Untergange retten können": den Gedanken, ihm mit Gewalt zu begegnen, mußte Maximilian auf¬ geben, weil der deutsche Reichstag durch das Verlangen der Protestanten, jeder Geldbewilligung müsse die Annahme ihrer religiösen Forderungen vorausgchn, und die starre Ablehnung dieser Forderungen durch die von Kardinal Morone geleiteten Katholiken völlig leistungsunfähig war. Rußland aber wurde von Bathory in drei Feldzügen so mitgenommen, daß es 1580 auf ganz Livland ver¬ zichten mußte, und daß sein Vordringen nach Westen auf siebzig Jahre stillstand. Der polnische König hat damals zum erstenmal die moderne europäische Krieg¬ führung, die im Westen längst durchgedrungen war, und die auf einem gut¬ geschulten Fußvolk und einer vorzüglichen Artillerie beruhte, auf den Osten über¬ tragen, wo man im Kriege nur schlecht bewaffnete und noch schlechter disziplinierte Reitermassen zu verwenden gewöhnt war. In Rußland erlosch dann 1598 das Haus Rjnrik mit Zar Feodor am 17. Januar 1598, und sein Schwager Boris Gn- dunow, der als Bruder der Zarin Irma gewählt wurde, suchte sofort Anlehnung an Kaiser Rudolf den Zweiten, um dadurch seine Stellung zu festigen; er dachte daran, seine Tochter Tenia mit einem Habsburger zu vermählen und so das Ansehen seines Hauses zu stärken — wie später Napoleon der Erste; es wurde dabei Maximilian Ernst ins Auge gefaßt, der 1583 geborne zweite Sohn Karls von Steiermark. Ehe aber die Verhandlungen zum Abschluß kamen, erlag Zar Boris 1605 seinem Gegner Demetrius: „Österreich kam wieder zu spät". Mit diesem Ereignis, dem Emporkommen des falschen Demetrius, schließt der erste Band Übersbcrgs ab. Der zweite soll die Zeit von 1605 bis 1689, bis zum Regierungsantritt Peters des Großen, behandeln und steht in nicht zu ferner Zeit in Aussicht. Vielleicht können wir auch über ihn in diesen Blättern einst berichten. Gottlob Egelhaaf Grenzboten IV 190733

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/301>, abgerufen am 09.06.2024.