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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Napoleonbriefe

Es sind wohl die ältesten Zeilen, die man von Napoleon kennt. Den
Brief schrieb er zwölfjährig aus der Militärschule von Bcienne an seinen Vater
und fertigt ganz stolz: Luona xarts -- die italienische Schreibart seines Namens,
die er noch 1796 anwandte. uvAus leousin! möchte man von dieser Schüler¬
epistel sagen. In der Tat spiegeln sich in den Zeilen des Knaben Selbstgefühl
und vorzeitige Willensbestimmtheit sowie die Anfänge jener Kunst, die man
an allen spätern Napoleonbriefen bewundert: die Kongruenz zwischen dem
Gedanken und seinem Ausdrucke zu finden, kein Wort zu verlieren und immer
die Wirkung des Geschriebnen im Auge zu behalten. Wenn man ihn nicht
standesgemäß erziehen könne, schreibt er, wolleer lieber ein Handwerk lernen:
"Aus diesem Anerbieten können Sie auf meine Verzweiflung schließen." Auch
die temperamentvolle rhetorische Frage, die Napoleon später in Briefen und
im Gespräche so liebt, kommt hier schon vor.

Napoleons des Ersten Korrespondenz wurde 1858 und 1859 von Napoleon
dem Dritten in 32 Bänden herausgegeben, ohne auch mir entfernt vollständig
zu sein. Auch andre Sammlungen, so von Heinrich Kurz, Lecestre, Brotonne u. a.
erschienen. Es war eine verdienstvolle Tat, aus diesem ungeheuern und nicht
mehr zu überblickenden Material die interessantesten und charakteristischen Stücke
auszuwählen.*) Sie bilden noch immer einen stattlichen Band von 391 Briefen,
darunter einige, die hier zum erstenmal in deutscher Übersetzung erscheinen.
Das Ganze ist eine Napoleonselbstbiographie unmittelbarster Art.

Die Privatbriefe machen keinen Anspruch auf stilistische Schönheit. Man
sieht den meisten an, daß sie flüchtig hingeworfen oder ebenso rasch diktiert
sind. Und doch sind sie, auch von ihrem Inhalt abgesehen, schriftstellerisch
bedeutend, weil sie fast durchweg als Muster eines knappen, klaren Ausdrucks
gelten können. Nur hier und da kommen längere Tiraden, wie sie Napoleon
auch im Gespräche liebte, wenn sein korsisches Blut ihn fortriß. Dann durch¬
bricht der Stil die Schranken der Konvention, ein Kraftausdruck oder geradezu
ein Schimpfwort erhöht die Wirkung. Fast allen Briefen aber sieht man an,
daß ihrem Schreiber, der mit sechsundzwanzig Jahren Hewöral en, etiek war,
das Befehlen zur Gewohnheit und zum Bedürfnis geworden war.

In die Landsbergsche Sammlung sind auch einige Proklamationen, Tages¬
befehle und Staatsschreiben aufgenommen. Die ersten tragen den bekannten
etwas bombastischer Charakter, der aber nicht immer der innern Kraft und
des natürlichen Schwunges entbehrt. Auch die offiziellen Schreiben sind oft
meisterlich entworfen. Da verstand es Napoleon zu schmeicheln oder zu drohen,
hohe, selbstlose Ideen zu entwickeln oder mit dem Säbel zu rasseln. Man
vergleiche zum Beispiel den Brief, den Vonaparte im Oktober 1796 an den
in Mcintua eingeschlossenen uralten und tapfern Feldmarschall Wurmser



Nnpoleon-Briefe. Gesammelt und herausgegeben von Hans Landsberg. Berlin, Pan¬
Verlag, 1906. Die Sammlung bildet den ersten Band einer Napoleonbibliothek, die als zweiten
Band Napoleon von Taine, als Schlußband Napoleons Schriften und Gespräche bringen soll.
Napoleonbriefe

Es sind wohl die ältesten Zeilen, die man von Napoleon kennt. Den
Brief schrieb er zwölfjährig aus der Militärschule von Bcienne an seinen Vater
und fertigt ganz stolz: Luona xarts — die italienische Schreibart seines Namens,
die er noch 1796 anwandte. uvAus leousin! möchte man von dieser Schüler¬
epistel sagen. In der Tat spiegeln sich in den Zeilen des Knaben Selbstgefühl
und vorzeitige Willensbestimmtheit sowie die Anfänge jener Kunst, die man
an allen spätern Napoleonbriefen bewundert: die Kongruenz zwischen dem
Gedanken und seinem Ausdrucke zu finden, kein Wort zu verlieren und immer
die Wirkung des Geschriebnen im Auge zu behalten. Wenn man ihn nicht
standesgemäß erziehen könne, schreibt er, wolleer lieber ein Handwerk lernen:
„Aus diesem Anerbieten können Sie auf meine Verzweiflung schließen." Auch
die temperamentvolle rhetorische Frage, die Napoleon später in Briefen und
im Gespräche so liebt, kommt hier schon vor.

Napoleons des Ersten Korrespondenz wurde 1858 und 1859 von Napoleon
dem Dritten in 32 Bänden herausgegeben, ohne auch mir entfernt vollständig
zu sein. Auch andre Sammlungen, so von Heinrich Kurz, Lecestre, Brotonne u. a.
erschienen. Es war eine verdienstvolle Tat, aus diesem ungeheuern und nicht
mehr zu überblickenden Material die interessantesten und charakteristischen Stücke
auszuwählen.*) Sie bilden noch immer einen stattlichen Band von 391 Briefen,
darunter einige, die hier zum erstenmal in deutscher Übersetzung erscheinen.
Das Ganze ist eine Napoleonselbstbiographie unmittelbarster Art.

Die Privatbriefe machen keinen Anspruch auf stilistische Schönheit. Man
sieht den meisten an, daß sie flüchtig hingeworfen oder ebenso rasch diktiert
sind. Und doch sind sie, auch von ihrem Inhalt abgesehen, schriftstellerisch
bedeutend, weil sie fast durchweg als Muster eines knappen, klaren Ausdrucks
gelten können. Nur hier und da kommen längere Tiraden, wie sie Napoleon
auch im Gespräche liebte, wenn sein korsisches Blut ihn fortriß. Dann durch¬
bricht der Stil die Schranken der Konvention, ein Kraftausdruck oder geradezu
ein Schimpfwort erhöht die Wirkung. Fast allen Briefen aber sieht man an,
daß ihrem Schreiber, der mit sechsundzwanzig Jahren Hewöral en, etiek war,
das Befehlen zur Gewohnheit und zum Bedürfnis geworden war.

In die Landsbergsche Sammlung sind auch einige Proklamationen, Tages¬
befehle und Staatsschreiben aufgenommen. Die ersten tragen den bekannten
etwas bombastischer Charakter, der aber nicht immer der innern Kraft und
des natürlichen Schwunges entbehrt. Auch die offiziellen Schreiben sind oft
meisterlich entworfen. Da verstand es Napoleon zu schmeicheln oder zu drohen,
hohe, selbstlose Ideen zu entwickeln oder mit dem Säbel zu rasseln. Man
vergleiche zum Beispiel den Brief, den Vonaparte im Oktober 1796 an den
in Mcintua eingeschlossenen uralten und tapfern Feldmarschall Wurmser



Nnpoleon-Briefe. Gesammelt und herausgegeben von Hans Landsberg. Berlin, Pan¬
Verlag, 1906. Die Sammlung bildet den ersten Band einer Napoleonbibliothek, die als zweiten
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[0036] Napoleonbriefe Es sind wohl die ältesten Zeilen, die man von Napoleon kennt. Den Brief schrieb er zwölfjährig aus der Militärschule von Bcienne an seinen Vater und fertigt ganz stolz: Luona xarts — die italienische Schreibart seines Namens, die er noch 1796 anwandte. uvAus leousin! möchte man von dieser Schüler¬ epistel sagen. In der Tat spiegeln sich in den Zeilen des Knaben Selbstgefühl und vorzeitige Willensbestimmtheit sowie die Anfänge jener Kunst, die man an allen spätern Napoleonbriefen bewundert: die Kongruenz zwischen dem Gedanken und seinem Ausdrucke zu finden, kein Wort zu verlieren und immer die Wirkung des Geschriebnen im Auge zu behalten. Wenn man ihn nicht standesgemäß erziehen könne, schreibt er, wolleer lieber ein Handwerk lernen: „Aus diesem Anerbieten können Sie auf meine Verzweiflung schließen." Auch die temperamentvolle rhetorische Frage, die Napoleon später in Briefen und im Gespräche so liebt, kommt hier schon vor. Napoleons des Ersten Korrespondenz wurde 1858 und 1859 von Napoleon dem Dritten in 32 Bänden herausgegeben, ohne auch mir entfernt vollständig zu sein. Auch andre Sammlungen, so von Heinrich Kurz, Lecestre, Brotonne u. a. erschienen. Es war eine verdienstvolle Tat, aus diesem ungeheuern und nicht mehr zu überblickenden Material die interessantesten und charakteristischen Stücke auszuwählen.*) Sie bilden noch immer einen stattlichen Band von 391 Briefen, darunter einige, die hier zum erstenmal in deutscher Übersetzung erscheinen. Das Ganze ist eine Napoleonselbstbiographie unmittelbarster Art. Die Privatbriefe machen keinen Anspruch auf stilistische Schönheit. Man sieht den meisten an, daß sie flüchtig hingeworfen oder ebenso rasch diktiert sind. Und doch sind sie, auch von ihrem Inhalt abgesehen, schriftstellerisch bedeutend, weil sie fast durchweg als Muster eines knappen, klaren Ausdrucks gelten können. Nur hier und da kommen längere Tiraden, wie sie Napoleon auch im Gespräche liebte, wenn sein korsisches Blut ihn fortriß. Dann durch¬ bricht der Stil die Schranken der Konvention, ein Kraftausdruck oder geradezu ein Schimpfwort erhöht die Wirkung. Fast allen Briefen aber sieht man an, daß ihrem Schreiber, der mit sechsundzwanzig Jahren Hewöral en, etiek war, das Befehlen zur Gewohnheit und zum Bedürfnis geworden war. In die Landsbergsche Sammlung sind auch einige Proklamationen, Tages¬ befehle und Staatsschreiben aufgenommen. Die ersten tragen den bekannten etwas bombastischer Charakter, der aber nicht immer der innern Kraft und des natürlichen Schwunges entbehrt. Auch die offiziellen Schreiben sind oft meisterlich entworfen. Da verstand es Napoleon zu schmeicheln oder zu drohen, hohe, selbstlose Ideen zu entwickeln oder mit dem Säbel zu rasseln. Man vergleiche zum Beispiel den Brief, den Vonaparte im Oktober 1796 an den in Mcintua eingeschlossenen uralten und tapfern Feldmarschall Wurmser Nnpoleon-Briefe. Gesammelt und herausgegeben von Hans Landsberg. Berlin, Pan¬ Verlag, 1906. Die Sammlung bildet den ersten Band einer Napoleonbibliothek, die als zweiten Band Napoleon von Taine, als Schlußband Napoleons Schriften und Gespräche bringen soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/36>, abgerufen am 09.06.2024.