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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Großen aus ihrem satten Schlafe und legte das gleißende Schlachtschwert ein für
der Enterbten Sache. Die Würde des Dichters schätzt er aufs höchste:

Emil Prinz von Schonaich-Carolath ist ein echter Lyriker: was ihn selbst
aufs tiefste bewegt, nicht bloße Phantasiegebilde, besingt er im Liede. Früh mußte
er um Verlornes Glück klagen. Früh nahm ihm der Tod das Liebste, das er auf
Erden hatte. So fühlte er sich vereinsamt. In seinem Hause wacht des Nachts,
wenn er heimkommt, "kein Wesen, das ihn liebt, kein Lichtlein winkt, kein Lämpchen
scheint, kein Hund, der ihm die Pfote gibt, ders gut und ehrlich mit ihm meint".
Auch die Geliebte hat er verloren. Hat sie ihm die Treue gebrochen, oder seine
Neigung nicht erwidert, das bleibt zweifelhaft, denn er muß ihr gut bleiben. Er
freut sich im Traume ihres Anblicks, um sich am frühen Morgen doppelt unglücklich

zu fühlen:

Allmählich bricht sich beim Dichter die Erkenntnis Bahn, daß sein Amt Opfer¬
tat quf Erden sei, daß Gott seine Liebe zerschlagen, weil sie auf Eigenglück gerichtet,
er bittet Gott, sie möge ihn heimwärts tragen zur Menschheit, dann habe auch er
nicht vergebens gelebt und gedichtet. So heißt der letzte Teil der Gedichte auch
"Heimkehr". Aus der Übergangszeit stammen prächtige Gedichtperlen, besonders
"Sulamith" und "Philemon und Baucis" sowie die Liedercyklen "Westwärts" und
"Hans Habenichts". "Hans Fahrinsland, der Ritter der traurigen Minne" ist
der Dichter selbst, der sich und seine zahlreichen Reisen einige Jahrhunderte zurück¬
datiert, um seine Lebensanschauungen freier aussprechen zu können.
"

Ein Motto vor der "Heimkehr deutet an, daß dem Dichter das höchste
Liebesglück zuteil geworden: die geliebte Frau hat er nie besungen, weil ihr Herzens¬
reichtum weder in Worten noch in Bildern zu schildern gewesen wäre. In diesem
Teile finden sich herrliche Situationsschilderungen, die für das dichterische Können
und die glückliche Seelenstimmung des Dichters das beste Zeugnis ablegen. Es
sei vergönnt, eine davon, "Über die Moore", anzuführen, um dadurch in weitern
Kreisen das Interesse für den Dichter zu wecken.

[Beginn Spaltensatz] Ein Heidemoor fahl wie der Tod.
Riedgras auf dürft'gen Schollensod,
Ein stockendes Wagengeleise,
^ Ä ^"^"^ ^'"^
Als sprach es: Wandrer wohin geht
Deremst d-e letzte Ne,se? Die Reise geht, soweit sie mag,
Sie führt in den flimmernden Hochmittag.
Es standen am Horizonte - [Spaltenumbruch] Zwei Birkenstämmchen schwach und weiß,
Darüber die Sonne, so jach, so heiß
Sie stehen konnte. Versunken ist das letzte Dorf,
^) über einer Stapel Tor
I^ist, goldig, ein Schwarm von Immen.
Vom Hügelsaume, dürr bestockt,
Der schwefelgelbe Ginster stockt,
Fernher verschollene Stimmen. [Ende Spaltensatz]

Maßgebliches und Unmaßgebliches

Großen aus ihrem satten Schlafe und legte das gleißende Schlachtschwert ein für
der Enterbten Sache. Die Würde des Dichters schätzt er aufs höchste:

Emil Prinz von Schonaich-Carolath ist ein echter Lyriker: was ihn selbst
aufs tiefste bewegt, nicht bloße Phantasiegebilde, besingt er im Liede. Früh mußte
er um Verlornes Glück klagen. Früh nahm ihm der Tod das Liebste, das er auf
Erden hatte. So fühlte er sich vereinsamt. In seinem Hause wacht des Nachts,
wenn er heimkommt, „kein Wesen, das ihn liebt, kein Lichtlein winkt, kein Lämpchen
scheint, kein Hund, der ihm die Pfote gibt, ders gut und ehrlich mit ihm meint".
Auch die Geliebte hat er verloren. Hat sie ihm die Treue gebrochen, oder seine
Neigung nicht erwidert, das bleibt zweifelhaft, denn er muß ihr gut bleiben. Er
freut sich im Traume ihres Anblicks, um sich am frühen Morgen doppelt unglücklich

zu fühlen:

Allmählich bricht sich beim Dichter die Erkenntnis Bahn, daß sein Amt Opfer¬
tat quf Erden sei, daß Gott seine Liebe zerschlagen, weil sie auf Eigenglück gerichtet,
er bittet Gott, sie möge ihn heimwärts tragen zur Menschheit, dann habe auch er
nicht vergebens gelebt und gedichtet. So heißt der letzte Teil der Gedichte auch
„Heimkehr". Aus der Übergangszeit stammen prächtige Gedichtperlen, besonders
„Sulamith" und „Philemon und Baucis" sowie die Liedercyklen „Westwärts" und
»Hans Habenichts". „Hans Fahrinsland, der Ritter der traurigen Minne" ist
der Dichter selbst, der sich und seine zahlreichen Reisen einige Jahrhunderte zurück¬
datiert, um seine Lebensanschauungen freier aussprechen zu können.
"

Ein Motto vor der „Heimkehr deutet an, daß dem Dichter das höchste
Liebesglück zuteil geworden: die geliebte Frau hat er nie besungen, weil ihr Herzens¬
reichtum weder in Worten noch in Bildern zu schildern gewesen wäre. In diesem
Teile finden sich herrliche Situationsschilderungen, die für das dichterische Können
und die glückliche Seelenstimmung des Dichters das beste Zeugnis ablegen. Es
sei vergönnt, eine davon, „Über die Moore", anzuführen, um dadurch in weitern
Kreisen das Interesse für den Dichter zu wecken.

[Beginn Spaltensatz] Ein Heidemoor fahl wie der Tod.
Riedgras auf dürft'gen Schollensod,
Ein stockendes Wagengeleise,
^ Ä ^"^"^ ^'"^
Als sprach es: Wandrer wohin geht
Deremst d-e letzte Ne,se? Die Reise geht, soweit sie mag,
Sie führt in den flimmernden Hochmittag.
Es standen am Horizonte - [Spaltenumbruch] Zwei Birkenstämmchen schwach und weiß,
Darüber die Sonne, so jach, so heiß
Sie stehen konnte. Versunken ist das letzte Dorf,
^) über einer Stapel Tor
I^ist, goldig, ein Schwarm von Immen.
Vom Hügelsaume, dürr bestockt,
Der schwefelgelbe Ginster stockt,
Fernher verschollene Stimmen. [Ende Spaltensatz]

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[0391] Maßgebliches und Unmaßgebliches Großen aus ihrem satten Schlafe und legte das gleißende Schlachtschwert ein für der Enterbten Sache. Die Würde des Dichters schätzt er aufs höchste: Emil Prinz von Schonaich-Carolath ist ein echter Lyriker: was ihn selbst aufs tiefste bewegt, nicht bloße Phantasiegebilde, besingt er im Liede. Früh mußte er um Verlornes Glück klagen. Früh nahm ihm der Tod das Liebste, das er auf Erden hatte. So fühlte er sich vereinsamt. In seinem Hause wacht des Nachts, wenn er heimkommt, „kein Wesen, das ihn liebt, kein Lichtlein winkt, kein Lämpchen scheint, kein Hund, der ihm die Pfote gibt, ders gut und ehrlich mit ihm meint". Auch die Geliebte hat er verloren. Hat sie ihm die Treue gebrochen, oder seine Neigung nicht erwidert, das bleibt zweifelhaft, denn er muß ihr gut bleiben. Er freut sich im Traume ihres Anblicks, um sich am frühen Morgen doppelt unglücklich zu fühlen: Allmählich bricht sich beim Dichter die Erkenntnis Bahn, daß sein Amt Opfer¬ tat quf Erden sei, daß Gott seine Liebe zerschlagen, weil sie auf Eigenglück gerichtet, er bittet Gott, sie möge ihn heimwärts tragen zur Menschheit, dann habe auch er nicht vergebens gelebt und gedichtet. So heißt der letzte Teil der Gedichte auch „Heimkehr". Aus der Übergangszeit stammen prächtige Gedichtperlen, besonders „Sulamith" und „Philemon und Baucis" sowie die Liedercyklen „Westwärts" und »Hans Habenichts". „Hans Fahrinsland, der Ritter der traurigen Minne" ist der Dichter selbst, der sich und seine zahlreichen Reisen einige Jahrhunderte zurück¬ datiert, um seine Lebensanschauungen freier aussprechen zu können. " Ein Motto vor der „Heimkehr deutet an, daß dem Dichter das höchste Liebesglück zuteil geworden: die geliebte Frau hat er nie besungen, weil ihr Herzens¬ reichtum weder in Worten noch in Bildern zu schildern gewesen wäre. In diesem Teile finden sich herrliche Situationsschilderungen, die für das dichterische Können und die glückliche Seelenstimmung des Dichters das beste Zeugnis ablegen. Es sei vergönnt, eine davon, „Über die Moore", anzuführen, um dadurch in weitern Kreisen das Interesse für den Dichter zu wecken. Ein Heidemoor fahl wie der Tod. Riedgras auf dürft'gen Schollensod, Ein stockendes Wagengeleise, ^ Ä ^"^"^ ^'"^ Als sprach es: Wandrer wohin geht Deremst d-e letzte Ne,se? Die Reise geht, soweit sie mag, Sie führt in den flimmernden Hochmittag. Es standen am Horizonte - Zwei Birkenstämmchen schwach und weiß, Darüber die Sonne, so jach, so heiß Sie stehen konnte. Versunken ist das letzte Dorf, ^) über einer Stapel Tor I^ist, goldig, ein Schwarm von Immen. Vom Hügelsaume, dürr bestockt, Der schwefelgelbe Ginster stockt, Fernher verschollene Stimmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/391>, abgerufen am 10.06.2024.