Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Russische Briefe

War und seine doppelzüngige Politik führte, waren die Sozialisten Herren im
Lande, und keine bürgerliche Partei einschließlich der Kadetten konnte sich zu
Praktischen politischem Einfluß erheben. In der ersten Duma (Sommer 1906)
gab es keine Monarchisten. Um so eifriger ging die Arbeit in der Provinz.
Mit Hilfe der oben gekennzeichneten Landhauptleute und konservativer Adels-
marschcille wurde das Land bearbeitet. "Alle Konstitutionalisten sind Juden!"
das war die wirksame, von Gringmut ausgegebne Parole. Sie zog! Als
nach Auflösung der ersten Duma viele ihrer Mitglieder die Torheit begingen,
den Wiborger Aufruf zu unterzeichnen, da setzten die Adelsmarschälle ein und
sorgten für Streichung der betreffenden Namen aus den Adelslisten der
einzelnen Gouvernements. Graf Dorrere-Kursk ging am schärfsten vor und
fand Nachahmer in Tula, Poltawa, Kaluga und vielen andern Orten. Die
Zahl der Volksverbändler wurde immer größer. Ihnen schlössen sich die
Bischöfe von Kijew, Chota, Orjol, Moskau, Nishni-Nowgorod an, gefolgt
von der Mehrzahl der Geistlichkeit ihrer Eparchien. In Petersburg entstand,
von Dr. Dubrowin und Purischkewitsch geleitet, die Rußkoje Snamja, in
Moskau Wjetsche und in der Provinz noch ein halbes hundert Blätter des
Allrussischen Volksverbandes. Ihnen schloß sich auch die Wochenschrift Okrainy
Rossiji an, geleitet von den bekannten Nussifikatoren Kulakowski, Budilowitsch
und Bywalkewitsch, sowie der Warschauer und der Nigaer Dnjewnik. Dennoch
vermochte der Verband bei den Wahlen für die zweite Duma nichts auszu¬
richten. Die Organisation der Kadetten und der Sozialisten war zu mächtig,
denn dahinter stand wirklich die Mehrzahl der gebildeten und halbgebildeter
Gesellschaft und ein wesentlicher Teil der Bauern. Dieser Organisation war
nicht anders als durch Beschneidung des Wahlrechts beizukommen, also mit
demselben Mittel, das im Jahre 1890 die Opposition aus der Sjemstwo
hatte vertreiben sollen. Den Bemühungen des Allrussischen Volksverbandes
ganz ausschließlich ist die Wahlrechtsünderung vom 3. (16.) Juni 1907 zuzu¬
schreiben.*) Die Leser der Grenzboten kennen das Gesetz aus meinem Russischen
Brief Ur. 7. Gringmut, der Begründer des Allrussischen Verbandes, lebt
nicht mehr, aber sein Geist lebt fort und damit der Tolstois, Katkows, Po-
bjedonostzews, Plehwes. Er zieht ein in die dritte Reichsduma, getragen von
183 Abgeordneten der monarchistischen Verbände.**)




Somit sind wir bei dem vorläufigen Ergebnis der politischen Tätigkeit
des bureaukratischen Adels angelangt, bei der dritten Reichsduma. Sie
setzt sich nach meinen eignen Beobachtungen wie folgt zusammen: Allrussischer




*) Näheres findet sich in meinem soeben erschienenen Buche "Verfassungskämpfe", Berlin,
is07, letztes Kapitel.
**) Diese Zahl gibt unter Angabe der Namen das Zentralblatt des Allrussischen Ver¬
bandes Nuszkoje Snamja Ur. 230.
Russische Briefe

War und seine doppelzüngige Politik führte, waren die Sozialisten Herren im
Lande, und keine bürgerliche Partei einschließlich der Kadetten konnte sich zu
Praktischen politischem Einfluß erheben. In der ersten Duma (Sommer 1906)
gab es keine Monarchisten. Um so eifriger ging die Arbeit in der Provinz.
Mit Hilfe der oben gekennzeichneten Landhauptleute und konservativer Adels-
marschcille wurde das Land bearbeitet. „Alle Konstitutionalisten sind Juden!"
das war die wirksame, von Gringmut ausgegebne Parole. Sie zog! Als
nach Auflösung der ersten Duma viele ihrer Mitglieder die Torheit begingen,
den Wiborger Aufruf zu unterzeichnen, da setzten die Adelsmarschälle ein und
sorgten für Streichung der betreffenden Namen aus den Adelslisten der
einzelnen Gouvernements. Graf Dorrere-Kursk ging am schärfsten vor und
fand Nachahmer in Tula, Poltawa, Kaluga und vielen andern Orten. Die
Zahl der Volksverbändler wurde immer größer. Ihnen schlössen sich die
Bischöfe von Kijew, Chota, Orjol, Moskau, Nishni-Nowgorod an, gefolgt
von der Mehrzahl der Geistlichkeit ihrer Eparchien. In Petersburg entstand,
von Dr. Dubrowin und Purischkewitsch geleitet, die Rußkoje Snamja, in
Moskau Wjetsche und in der Provinz noch ein halbes hundert Blätter des
Allrussischen Volksverbandes. Ihnen schloß sich auch die Wochenschrift Okrainy
Rossiji an, geleitet von den bekannten Nussifikatoren Kulakowski, Budilowitsch
und Bywalkewitsch, sowie der Warschauer und der Nigaer Dnjewnik. Dennoch
vermochte der Verband bei den Wahlen für die zweite Duma nichts auszu¬
richten. Die Organisation der Kadetten und der Sozialisten war zu mächtig,
denn dahinter stand wirklich die Mehrzahl der gebildeten und halbgebildeter
Gesellschaft und ein wesentlicher Teil der Bauern. Dieser Organisation war
nicht anders als durch Beschneidung des Wahlrechts beizukommen, also mit
demselben Mittel, das im Jahre 1890 die Opposition aus der Sjemstwo
hatte vertreiben sollen. Den Bemühungen des Allrussischen Volksverbandes
ganz ausschließlich ist die Wahlrechtsünderung vom 3. (16.) Juni 1907 zuzu¬
schreiben.*) Die Leser der Grenzboten kennen das Gesetz aus meinem Russischen
Brief Ur. 7. Gringmut, der Begründer des Allrussischen Verbandes, lebt
nicht mehr, aber sein Geist lebt fort und damit der Tolstois, Katkows, Po-
bjedonostzews, Plehwes. Er zieht ein in die dritte Reichsduma, getragen von
183 Abgeordneten der monarchistischen Verbände.**)




Somit sind wir bei dem vorläufigen Ergebnis der politischen Tätigkeit
des bureaukratischen Adels angelangt, bei der dritten Reichsduma. Sie
setzt sich nach meinen eignen Beobachtungen wie folgt zusammen: Allrussischer




*) Näheres findet sich in meinem soeben erschienenen Buche „Verfassungskämpfe", Berlin,
is07, letztes Kapitel.
**) Diese Zahl gibt unter Angabe der Namen das Zentralblatt des Allrussischen Ver¬
bandes Nuszkoje Snamja Ur. 230.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303815"/>
          <fw type="header" place="top"> Russische Briefe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1763" prev="#ID_1762"> War und seine doppelzüngige Politik führte, waren die Sozialisten Herren im<lb/>
Lande, und keine bürgerliche Partei einschließlich der Kadetten konnte sich zu<lb/>
Praktischen politischem Einfluß erheben. In der ersten Duma (Sommer 1906)<lb/>
gab es keine Monarchisten. Um so eifriger ging die Arbeit in der Provinz.<lb/>
Mit Hilfe der oben gekennzeichneten Landhauptleute und konservativer Adels-<lb/>
marschcille wurde das Land bearbeitet. &#x201E;Alle Konstitutionalisten sind Juden!"<lb/>
das war die wirksame, von Gringmut ausgegebne Parole. Sie zog! Als<lb/>
nach Auflösung der ersten Duma viele ihrer Mitglieder die Torheit begingen,<lb/>
den Wiborger Aufruf zu unterzeichnen, da setzten die Adelsmarschälle ein und<lb/>
sorgten für Streichung der betreffenden Namen aus den Adelslisten der<lb/>
einzelnen Gouvernements. Graf Dorrere-Kursk ging am schärfsten vor und<lb/>
fand Nachahmer in Tula, Poltawa, Kaluga und vielen andern Orten. Die<lb/>
Zahl der Volksverbändler wurde immer größer. Ihnen schlössen sich die<lb/>
Bischöfe von Kijew, Chota, Orjol, Moskau, Nishni-Nowgorod an, gefolgt<lb/>
von der Mehrzahl der Geistlichkeit ihrer Eparchien. In Petersburg entstand,<lb/>
von Dr. Dubrowin und Purischkewitsch geleitet, die Rußkoje Snamja, in<lb/>
Moskau Wjetsche und in der Provinz noch ein halbes hundert Blätter des<lb/>
Allrussischen Volksverbandes. Ihnen schloß sich auch die Wochenschrift Okrainy<lb/>
Rossiji an, geleitet von den bekannten Nussifikatoren Kulakowski, Budilowitsch<lb/>
und Bywalkewitsch, sowie der Warschauer und der Nigaer Dnjewnik. Dennoch<lb/>
vermochte der Verband bei den Wahlen für die zweite Duma nichts auszu¬<lb/>
richten. Die Organisation der Kadetten und der Sozialisten war zu mächtig,<lb/>
denn dahinter stand wirklich die Mehrzahl der gebildeten und halbgebildeter<lb/>
Gesellschaft und ein wesentlicher Teil der Bauern. Dieser Organisation war<lb/>
nicht anders als durch Beschneidung des Wahlrechts beizukommen, also mit<lb/>
demselben Mittel, das im Jahre 1890 die Opposition aus der Sjemstwo<lb/>
hatte vertreiben sollen. Den Bemühungen des Allrussischen Volksverbandes<lb/>
ganz ausschließlich ist die Wahlrechtsünderung vom 3. (16.) Juni 1907 zuzu¬<lb/>
schreiben.*) Die Leser der Grenzboten kennen das Gesetz aus meinem Russischen<lb/>
Brief Ur. 7. Gringmut, der Begründer des Allrussischen Verbandes, lebt<lb/>
nicht mehr, aber sein Geist lebt fort und damit der Tolstois, Katkows, Po-<lb/>
bjedonostzews, Plehwes. Er zieht ein in die dritte Reichsduma, getragen von<lb/>
183 Abgeordneten der monarchistischen Verbände.**)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1764" next="#ID_1765"> Somit sind wir bei dem vorläufigen Ergebnis der politischen Tätigkeit<lb/>
des bureaukratischen Adels angelangt, bei der dritten Reichsduma. Sie<lb/>
setzt sich nach meinen eignen Beobachtungen wie folgt zusammen: Allrussischer</p><lb/>
          <note xml:id="FID_38" place="foot"> *) Näheres findet sich in meinem soeben erschienenen Buche &#x201E;Verfassungskämpfe", Berlin,<lb/>
is07, letztes Kapitel.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_39" place="foot"> **) Diese Zahl gibt unter Angabe der Namen das Zentralblatt des Allrussischen Ver¬<lb/>
bandes Nuszkoje Snamja Ur. 230.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0399] Russische Briefe War und seine doppelzüngige Politik führte, waren die Sozialisten Herren im Lande, und keine bürgerliche Partei einschließlich der Kadetten konnte sich zu Praktischen politischem Einfluß erheben. In der ersten Duma (Sommer 1906) gab es keine Monarchisten. Um so eifriger ging die Arbeit in der Provinz. Mit Hilfe der oben gekennzeichneten Landhauptleute und konservativer Adels- marschcille wurde das Land bearbeitet. „Alle Konstitutionalisten sind Juden!" das war die wirksame, von Gringmut ausgegebne Parole. Sie zog! Als nach Auflösung der ersten Duma viele ihrer Mitglieder die Torheit begingen, den Wiborger Aufruf zu unterzeichnen, da setzten die Adelsmarschälle ein und sorgten für Streichung der betreffenden Namen aus den Adelslisten der einzelnen Gouvernements. Graf Dorrere-Kursk ging am schärfsten vor und fand Nachahmer in Tula, Poltawa, Kaluga und vielen andern Orten. Die Zahl der Volksverbändler wurde immer größer. Ihnen schlössen sich die Bischöfe von Kijew, Chota, Orjol, Moskau, Nishni-Nowgorod an, gefolgt von der Mehrzahl der Geistlichkeit ihrer Eparchien. In Petersburg entstand, von Dr. Dubrowin und Purischkewitsch geleitet, die Rußkoje Snamja, in Moskau Wjetsche und in der Provinz noch ein halbes hundert Blätter des Allrussischen Volksverbandes. Ihnen schloß sich auch die Wochenschrift Okrainy Rossiji an, geleitet von den bekannten Nussifikatoren Kulakowski, Budilowitsch und Bywalkewitsch, sowie der Warschauer und der Nigaer Dnjewnik. Dennoch vermochte der Verband bei den Wahlen für die zweite Duma nichts auszu¬ richten. Die Organisation der Kadetten und der Sozialisten war zu mächtig, denn dahinter stand wirklich die Mehrzahl der gebildeten und halbgebildeter Gesellschaft und ein wesentlicher Teil der Bauern. Dieser Organisation war nicht anders als durch Beschneidung des Wahlrechts beizukommen, also mit demselben Mittel, das im Jahre 1890 die Opposition aus der Sjemstwo hatte vertreiben sollen. Den Bemühungen des Allrussischen Volksverbandes ganz ausschließlich ist die Wahlrechtsünderung vom 3. (16.) Juni 1907 zuzu¬ schreiben.*) Die Leser der Grenzboten kennen das Gesetz aus meinem Russischen Brief Ur. 7. Gringmut, der Begründer des Allrussischen Verbandes, lebt nicht mehr, aber sein Geist lebt fort und damit der Tolstois, Katkows, Po- bjedonostzews, Plehwes. Er zieht ein in die dritte Reichsduma, getragen von 183 Abgeordneten der monarchistischen Verbände.**) Somit sind wir bei dem vorläufigen Ergebnis der politischen Tätigkeit des bureaukratischen Adels angelangt, bei der dritten Reichsduma. Sie setzt sich nach meinen eignen Beobachtungen wie folgt zusammen: Allrussischer *) Näheres findet sich in meinem soeben erschienenen Buche „Verfassungskämpfe", Berlin, is07, letztes Kapitel. **) Diese Zahl gibt unter Angabe der Namen das Zentralblatt des Allrussischen Ver¬ bandes Nuszkoje Snamja Ur. 230.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/399
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/399>, abgerufen am 17.06.2024.