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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Englands Vordringen in Verhielt

Im östlichen Persien hatte sich England ebenfalls Gelegenheit geboten, sich
den veränderten Machtverhältnissen entsprechend in Erinnerung zu bringen und
sein Ansehen zu heben, indem es sich auf Grund des Vertrages von 1857 in
seiner Rolle als Schiedsrichter zwischen Persien und Afghanistan zum ersten¬
male beendigen konnte, und zwar in folgender Weise: Die Grenzen zwischen
beiden Ländern waren 1872 zwar festgelegt, aber nicht genügend genau be¬
zeichnet worden, sodaß seitdem fortwährend kleine Grenzstreitigkeiten vorkamen.
Diese nahmen eine größere Bedeutung an, als sich im Sommer 1902 die
Wasserverhältnisse des Grenzflusses Helmont infolge von starker Trockenheit
geändert hatten und jede Partei der andern das Wasser zur Bewässerung ihrer
Felder abspenstig machen wollte. Auf Ansuchen Persiens übernahm England
die Schlichtung des Streites, und zwar in der gründlichsten Weise, indem es
die Grenze durch eine Kommission nochmals vermessen ließ. Die Kommission,
unter Führung eines Obersten Mac Mahon, brauchte zu ihrem Werk zwei
Jahre. Sie wurde von einer kleinen Armee von Infanterie, Kavallerie und
einem Kameltransportkorps begleitet, alles zusammen 11 Offiziere, 1440 Manu,
156 Pferde und 2250 Kamele, und hatte genügende Gelegenheit, das ganze
Gebiet gründlich zu erforschen und die Einwohner Seistcms gegen die ge-
fürchteten russischen Einflüsse zu festigen sowie sich auch den Afghanen freund¬
schaftlich zu nähern. Der Emir ließ die Engländer durch einen hohen Be¬
amten, der ebenfalls von einer großen Eskorte von Infanterie und Kavallerie
begleitet war, begrüßen und behandelte sie, solange sie sich auf afghanischen
Gebiet befanden, als seine Gäste. Ganz anders war das Verhalten der per¬
sischen Regierung, die den Arbeiten der Kommission alle möglichen Schwierig¬
keiten bereitet haben soll, was natürlich in englischen Blättern russischen Ein¬
flüssen zugeschrieben wurde. Die Expedition traf erst im Juni 1905 in Quella
wieder ein. Ihre Entscheidungen wurden von beiden Seiten acceptiert, in per¬
sischen Zeitungen aber als ungerecht gegen Persien hingestellt.

Ende 1904 wurde das östliche Persien von einer Handelsmission bereist,
die von den vereinigten Handelskammern Indiens unter Beihilfe des Staates
ausgerüstet worden war. Die Times sprachen damals noch ganz bescheiden von
dieser Mission, daß sie nicht ein Vorbild einer xs.i(Z6lo.1 psnötration, sondern
eines ehrlichen kaufmännischen Unternehmens sei, das den indischen Handel ver¬
anlassen möge, den Mut bei den feindlichen persischen Zollerhöhungen nicht
sinken zu lassen.

Soweit die Hauptschachzüge, die aus dem langjährigen Ringen zwischen
Nußland und England hervorragen. Mit dem Ausfall des russisch-japanischen
Krieges neigte sich das Übergewicht in allen drei Grenzstaaten, in Persien,
Afghanistan und Tibet, England zu. Der erste, der aus der veränderten Lage
die richtige Schlußfolgerung zog, war Persiens Nachbar, der Emir von Afghanistan.
Er schickte schon im ersten Teile des Krieges seinen Sohn Jnayatullan Khan
nach Indien zum Besuch bei dem Vizekönig und ließ sich im Frühjahr 1905


Grenzboten IV 1907 51
Englands Vordringen in Verhielt

Im östlichen Persien hatte sich England ebenfalls Gelegenheit geboten, sich
den veränderten Machtverhältnissen entsprechend in Erinnerung zu bringen und
sein Ansehen zu heben, indem es sich auf Grund des Vertrages von 1857 in
seiner Rolle als Schiedsrichter zwischen Persien und Afghanistan zum ersten¬
male beendigen konnte, und zwar in folgender Weise: Die Grenzen zwischen
beiden Ländern waren 1872 zwar festgelegt, aber nicht genügend genau be¬
zeichnet worden, sodaß seitdem fortwährend kleine Grenzstreitigkeiten vorkamen.
Diese nahmen eine größere Bedeutung an, als sich im Sommer 1902 die
Wasserverhältnisse des Grenzflusses Helmont infolge von starker Trockenheit
geändert hatten und jede Partei der andern das Wasser zur Bewässerung ihrer
Felder abspenstig machen wollte. Auf Ansuchen Persiens übernahm England
die Schlichtung des Streites, und zwar in der gründlichsten Weise, indem es
die Grenze durch eine Kommission nochmals vermessen ließ. Die Kommission,
unter Führung eines Obersten Mac Mahon, brauchte zu ihrem Werk zwei
Jahre. Sie wurde von einer kleinen Armee von Infanterie, Kavallerie und
einem Kameltransportkorps begleitet, alles zusammen 11 Offiziere, 1440 Manu,
156 Pferde und 2250 Kamele, und hatte genügende Gelegenheit, das ganze
Gebiet gründlich zu erforschen und die Einwohner Seistcms gegen die ge-
fürchteten russischen Einflüsse zu festigen sowie sich auch den Afghanen freund¬
schaftlich zu nähern. Der Emir ließ die Engländer durch einen hohen Be¬
amten, der ebenfalls von einer großen Eskorte von Infanterie und Kavallerie
begleitet war, begrüßen und behandelte sie, solange sie sich auf afghanischen
Gebiet befanden, als seine Gäste. Ganz anders war das Verhalten der per¬
sischen Regierung, die den Arbeiten der Kommission alle möglichen Schwierig¬
keiten bereitet haben soll, was natürlich in englischen Blättern russischen Ein¬
flüssen zugeschrieben wurde. Die Expedition traf erst im Juni 1905 in Quella
wieder ein. Ihre Entscheidungen wurden von beiden Seiten acceptiert, in per¬
sischen Zeitungen aber als ungerecht gegen Persien hingestellt.

Ende 1904 wurde das östliche Persien von einer Handelsmission bereist,
die von den vereinigten Handelskammern Indiens unter Beihilfe des Staates
ausgerüstet worden war. Die Times sprachen damals noch ganz bescheiden von
dieser Mission, daß sie nicht ein Vorbild einer xs.i(Z6lo.1 psnötration, sondern
eines ehrlichen kaufmännischen Unternehmens sei, das den indischen Handel ver¬
anlassen möge, den Mut bei den feindlichen persischen Zollerhöhungen nicht
sinken zu lassen.

Soweit die Hauptschachzüge, die aus dem langjährigen Ringen zwischen
Nußland und England hervorragen. Mit dem Ausfall des russisch-japanischen
Krieges neigte sich das Übergewicht in allen drei Grenzstaaten, in Persien,
Afghanistan und Tibet, England zu. Der erste, der aus der veränderten Lage
die richtige Schlußfolgerung zog, war Persiens Nachbar, der Emir von Afghanistan.
Er schickte schon im ersten Teile des Krieges seinen Sohn Jnayatullan Khan
nach Indien zum Besuch bei dem Vizekönig und ließ sich im Frühjahr 1905


Grenzboten IV 1907 51
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[0401] Englands Vordringen in Verhielt Im östlichen Persien hatte sich England ebenfalls Gelegenheit geboten, sich den veränderten Machtverhältnissen entsprechend in Erinnerung zu bringen und sein Ansehen zu heben, indem es sich auf Grund des Vertrages von 1857 in seiner Rolle als Schiedsrichter zwischen Persien und Afghanistan zum ersten¬ male beendigen konnte, und zwar in folgender Weise: Die Grenzen zwischen beiden Ländern waren 1872 zwar festgelegt, aber nicht genügend genau be¬ zeichnet worden, sodaß seitdem fortwährend kleine Grenzstreitigkeiten vorkamen. Diese nahmen eine größere Bedeutung an, als sich im Sommer 1902 die Wasserverhältnisse des Grenzflusses Helmont infolge von starker Trockenheit geändert hatten und jede Partei der andern das Wasser zur Bewässerung ihrer Felder abspenstig machen wollte. Auf Ansuchen Persiens übernahm England die Schlichtung des Streites, und zwar in der gründlichsten Weise, indem es die Grenze durch eine Kommission nochmals vermessen ließ. Die Kommission, unter Führung eines Obersten Mac Mahon, brauchte zu ihrem Werk zwei Jahre. Sie wurde von einer kleinen Armee von Infanterie, Kavallerie und einem Kameltransportkorps begleitet, alles zusammen 11 Offiziere, 1440 Manu, 156 Pferde und 2250 Kamele, und hatte genügende Gelegenheit, das ganze Gebiet gründlich zu erforschen und die Einwohner Seistcms gegen die ge- fürchteten russischen Einflüsse zu festigen sowie sich auch den Afghanen freund¬ schaftlich zu nähern. Der Emir ließ die Engländer durch einen hohen Be¬ amten, der ebenfalls von einer großen Eskorte von Infanterie und Kavallerie begleitet war, begrüßen und behandelte sie, solange sie sich auf afghanischen Gebiet befanden, als seine Gäste. Ganz anders war das Verhalten der per¬ sischen Regierung, die den Arbeiten der Kommission alle möglichen Schwierig¬ keiten bereitet haben soll, was natürlich in englischen Blättern russischen Ein¬ flüssen zugeschrieben wurde. Die Expedition traf erst im Juni 1905 in Quella wieder ein. Ihre Entscheidungen wurden von beiden Seiten acceptiert, in per¬ sischen Zeitungen aber als ungerecht gegen Persien hingestellt. Ende 1904 wurde das östliche Persien von einer Handelsmission bereist, die von den vereinigten Handelskammern Indiens unter Beihilfe des Staates ausgerüstet worden war. Die Times sprachen damals noch ganz bescheiden von dieser Mission, daß sie nicht ein Vorbild einer xs.i(Z6lo.1 psnötration, sondern eines ehrlichen kaufmännischen Unternehmens sei, das den indischen Handel ver¬ anlassen möge, den Mut bei den feindlichen persischen Zollerhöhungen nicht sinken zu lassen. Soweit die Hauptschachzüge, die aus dem langjährigen Ringen zwischen Nußland und England hervorragen. Mit dem Ausfall des russisch-japanischen Krieges neigte sich das Übergewicht in allen drei Grenzstaaten, in Persien, Afghanistan und Tibet, England zu. Der erste, der aus der veränderten Lage die richtige Schlußfolgerung zog, war Persiens Nachbar, der Emir von Afghanistan. Er schickte schon im ersten Teile des Krieges seinen Sohn Jnayatullan Khan nach Indien zum Besuch bei dem Vizekönig und ließ sich im Frühjahr 1905 Grenzboten IV 1907 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/401>, abgerufen am 17.06.2024.