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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Napoleonbriefe

seinen Minister des Äußern Talleyrand: "Ich wünsche drei Länder zu haben,
um den Prinzen Murat (damals Großherzog von Berg) zu arrondieren; erstens
die Abteien Essen und Werden, diese betragen nur zwanzigtausend Seelen;
dann die Grafschaft Mark und endlich die Grafschaft Wittgenstein. Die beiden
ersten gehören Preußen; ich weiß nicht recht, wem die dritte gehört; berichten
Sie mir darüber. Ich wünsche, daß Sie untersuchen, was man Preußen dagegen
geben könnte; es liegen um dasselbe kleine Fürsten, deren Staaten ihm an¬
stehen würden." So genau also sonst Napoleon war -- um die Details der
buntgestickter Karte des damals in den letzten Zügen liegenden Heiligen Römischen
Reichs sich zu kümmern, überließ er doch lieber seinem Gehilfen.

Das waren übrigens friedliche Rechtsverletzungen, die Napoleon so mit einigen
Federstrichen diktierte. Andre Briefe aber finden wir, die sind wie mit Blut
geschrieben. Den lassen Sie verhaften, heißt es, den lassen Sie füsilieren. Die
Knappheit und Kürze solcher schriftlicher Befehle zeigt noch stärker als ge¬
wöhnlich die Festigkeit des kaiserlichen Entschlusses, seinen Wunsch raschester
Ausführung. Der Kampf Napoleons gegen die heldenmütig ihre Freiheit und
ihre angestammte Dynastie verteidigenden Spanier war an derlei Blutsentenzen
besonders reich. So schreibt er unter anderen aus Valladolid, 12. Januar 1809
an Brcchier: "Der General Mampetil soll den Chef der Empörer in Zamosa,
Don Henri spinosa, erschießen lassen. Er soll mich die Zahl der Einwohner,
die man mit den Waffen in der Hand ergriffen hat, wissen lassen. Lassen
Sie die schuldigster und die Führer erschießen." Auch zwei der schrecklichsten
Briefe -- schrecklich auch für den Namen Napoleon -- finden sich in der
Sammlung. Sie betreffen Taten, über die auch die begeistertsten Napoleon¬
anbeter nicht hinauskommen, und die Napoleon zu beschönigen und zu erklären
noch viel später für notwendig hielt. Es sind die Fälle Enghien und Palm.

Wir begleiten, indem wir die Briefe durchblättern, den größten Eroberer
der neuen Zeit durch halb Europa und übers Meer. Lodi und Arcole, die
Pyramiden, Marengo, Jena, Wagram, und wie sie alle heißen die Haupt-
stationeu der napoleonischen Epopöe, ziehen rasch an uns vorüber. Manch
intimes Detail kommt zum Vorschein; so wenn der Kaiser nach der Schlacht
von Austerlitz an seinen Bruder Joseph schreibt: "Ob ich gleich die letzten acht
Tage in der freien Luft biwakiert habe (im Dezember), befinde ich mich doch
wohl. Diesen Abend liege ich in einem Bett im schönen Schloß des Herrn
von Kemnitz in Austerlitz, und ich habe ein frisches Hemd angezogen, was mir
seit acht Tagen nicht begegnet war."

Weiter geht es von Sieg zu Sieg, endlich über eine Reihe von neuen
Erfolgen in das russische Verderben. Und dann lesen wir die Entsagungsakte
von Fontainebleau, den Abschied von der Garde, einiges aus den Hundert
Tagen, einen Brief nach dem Tage von Waterloo mit der trügerischen Selbst¬
tröstung: "Alles ist noch nicht verloren", zuletzt das Schreiben von der Insel
Aix, 14. Juli 1815, an den Prinzregenten von England: "Ich komme, wie


Grenzboten IV 1907 S
Napoleonbriefe

seinen Minister des Äußern Talleyrand: „Ich wünsche drei Länder zu haben,
um den Prinzen Murat (damals Großherzog von Berg) zu arrondieren; erstens
die Abteien Essen und Werden, diese betragen nur zwanzigtausend Seelen;
dann die Grafschaft Mark und endlich die Grafschaft Wittgenstein. Die beiden
ersten gehören Preußen; ich weiß nicht recht, wem die dritte gehört; berichten
Sie mir darüber. Ich wünsche, daß Sie untersuchen, was man Preußen dagegen
geben könnte; es liegen um dasselbe kleine Fürsten, deren Staaten ihm an¬
stehen würden." So genau also sonst Napoleon war — um die Details der
buntgestickter Karte des damals in den letzten Zügen liegenden Heiligen Römischen
Reichs sich zu kümmern, überließ er doch lieber seinem Gehilfen.

Das waren übrigens friedliche Rechtsverletzungen, die Napoleon so mit einigen
Federstrichen diktierte. Andre Briefe aber finden wir, die sind wie mit Blut
geschrieben. Den lassen Sie verhaften, heißt es, den lassen Sie füsilieren. Die
Knappheit und Kürze solcher schriftlicher Befehle zeigt noch stärker als ge¬
wöhnlich die Festigkeit des kaiserlichen Entschlusses, seinen Wunsch raschester
Ausführung. Der Kampf Napoleons gegen die heldenmütig ihre Freiheit und
ihre angestammte Dynastie verteidigenden Spanier war an derlei Blutsentenzen
besonders reich. So schreibt er unter anderen aus Valladolid, 12. Januar 1809
an Brcchier: „Der General Mampetil soll den Chef der Empörer in Zamosa,
Don Henri spinosa, erschießen lassen. Er soll mich die Zahl der Einwohner,
die man mit den Waffen in der Hand ergriffen hat, wissen lassen. Lassen
Sie die schuldigster und die Führer erschießen." Auch zwei der schrecklichsten
Briefe — schrecklich auch für den Namen Napoleon — finden sich in der
Sammlung. Sie betreffen Taten, über die auch die begeistertsten Napoleon¬
anbeter nicht hinauskommen, und die Napoleon zu beschönigen und zu erklären
noch viel später für notwendig hielt. Es sind die Fälle Enghien und Palm.

Wir begleiten, indem wir die Briefe durchblättern, den größten Eroberer
der neuen Zeit durch halb Europa und übers Meer. Lodi und Arcole, die
Pyramiden, Marengo, Jena, Wagram, und wie sie alle heißen die Haupt-
stationeu der napoleonischen Epopöe, ziehen rasch an uns vorüber. Manch
intimes Detail kommt zum Vorschein; so wenn der Kaiser nach der Schlacht
von Austerlitz an seinen Bruder Joseph schreibt: „Ob ich gleich die letzten acht
Tage in der freien Luft biwakiert habe (im Dezember), befinde ich mich doch
wohl. Diesen Abend liege ich in einem Bett im schönen Schloß des Herrn
von Kemnitz in Austerlitz, und ich habe ein frisches Hemd angezogen, was mir
seit acht Tagen nicht begegnet war."

Weiter geht es von Sieg zu Sieg, endlich über eine Reihe von neuen
Erfolgen in das russische Verderben. Und dann lesen wir die Entsagungsakte
von Fontainebleau, den Abschied von der Garde, einiges aus den Hundert
Tagen, einen Brief nach dem Tage von Waterloo mit der trügerischen Selbst¬
tröstung: „Alles ist noch nicht verloren", zuletzt das Schreiben von der Insel
Aix, 14. Juli 1815, an den Prinzregenten von England: „Ich komme, wie


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[0041] Napoleonbriefe seinen Minister des Äußern Talleyrand: „Ich wünsche drei Länder zu haben, um den Prinzen Murat (damals Großherzog von Berg) zu arrondieren; erstens die Abteien Essen und Werden, diese betragen nur zwanzigtausend Seelen; dann die Grafschaft Mark und endlich die Grafschaft Wittgenstein. Die beiden ersten gehören Preußen; ich weiß nicht recht, wem die dritte gehört; berichten Sie mir darüber. Ich wünsche, daß Sie untersuchen, was man Preußen dagegen geben könnte; es liegen um dasselbe kleine Fürsten, deren Staaten ihm an¬ stehen würden." So genau also sonst Napoleon war — um die Details der buntgestickter Karte des damals in den letzten Zügen liegenden Heiligen Römischen Reichs sich zu kümmern, überließ er doch lieber seinem Gehilfen. Das waren übrigens friedliche Rechtsverletzungen, die Napoleon so mit einigen Federstrichen diktierte. Andre Briefe aber finden wir, die sind wie mit Blut geschrieben. Den lassen Sie verhaften, heißt es, den lassen Sie füsilieren. Die Knappheit und Kürze solcher schriftlicher Befehle zeigt noch stärker als ge¬ wöhnlich die Festigkeit des kaiserlichen Entschlusses, seinen Wunsch raschester Ausführung. Der Kampf Napoleons gegen die heldenmütig ihre Freiheit und ihre angestammte Dynastie verteidigenden Spanier war an derlei Blutsentenzen besonders reich. So schreibt er unter anderen aus Valladolid, 12. Januar 1809 an Brcchier: „Der General Mampetil soll den Chef der Empörer in Zamosa, Don Henri spinosa, erschießen lassen. Er soll mich die Zahl der Einwohner, die man mit den Waffen in der Hand ergriffen hat, wissen lassen. Lassen Sie die schuldigster und die Führer erschießen." Auch zwei der schrecklichsten Briefe — schrecklich auch für den Namen Napoleon — finden sich in der Sammlung. Sie betreffen Taten, über die auch die begeistertsten Napoleon¬ anbeter nicht hinauskommen, und die Napoleon zu beschönigen und zu erklären noch viel später für notwendig hielt. Es sind die Fälle Enghien und Palm. Wir begleiten, indem wir die Briefe durchblättern, den größten Eroberer der neuen Zeit durch halb Europa und übers Meer. Lodi und Arcole, die Pyramiden, Marengo, Jena, Wagram, und wie sie alle heißen die Haupt- stationeu der napoleonischen Epopöe, ziehen rasch an uns vorüber. Manch intimes Detail kommt zum Vorschein; so wenn der Kaiser nach der Schlacht von Austerlitz an seinen Bruder Joseph schreibt: „Ob ich gleich die letzten acht Tage in der freien Luft biwakiert habe (im Dezember), befinde ich mich doch wohl. Diesen Abend liege ich in einem Bett im schönen Schloß des Herrn von Kemnitz in Austerlitz, und ich habe ein frisches Hemd angezogen, was mir seit acht Tagen nicht begegnet war." Weiter geht es von Sieg zu Sieg, endlich über eine Reihe von neuen Erfolgen in das russische Verderben. Und dann lesen wir die Entsagungsakte von Fontainebleau, den Abschied von der Garde, einiges aus den Hundert Tagen, einen Brief nach dem Tage von Waterloo mit der trügerischen Selbst¬ tröstung: „Alles ist noch nicht verloren", zuletzt das Schreiben von der Insel Aix, 14. Juli 1815, an den Prinzregenten von England: „Ich komme, wie Grenzboten IV 1907 S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/41>, abgerufen am 17.06.2024.