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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

Und als der Jahrestag der Schlacht von Jena kommt, da erneuen sich
ihm die furchtbaren Bilder der Vergangenheit und formen sich um zu einer
ernsten Bußpredigt in dem Gedicht "Erinnerung" (II, 292 f.).

O wie graunvoll die Erinnrung von dem Tag naht, wo das Volk sank,
Wo der Bergstrom von dem Blut rot in die Herbstflur sich herabgoß
Und die Glut hoch zu Gewölk stieg:
Wo die Lust weit vom Gekrach scholl und vom Schlachtruf die Gebirgswand,
Wo der Angstruf mit Geheul laut im Palast tönt', und zum Altar
Das Gestöhn drang der Verzweiflung,
Wo das Kriegsheer um die Freiheit von Korinthos sich den Tod focht,
Und der Feldherr, o wie schändlich, dem Verrat feil, um den Kaufpreis
In die Knechtschaft es dahingab.
Wo die Freiheit in Entrüstung von dem schmachvollen Geschlecht wich,
Und das Land Raub der Gewalt ward, und entgöttert der Altar stand,
Und das Volk tief in Erniedrung
Zu dem Feind floh und Verrat sann, und die Braut selbst die Umarmung
Um Gewinn gab, um ein Lächeln von dem Fremdling zur Belohnung
Und mit Dank nahm die Beschimpfung,
Mit Gewölk trübt um des Volks Schmach in der Luftbahn sich der Lichtkreis,
Da die Herbstflur in dem Jahrlauf sich erneut, nicht mit dem Antlitz
Zu erschau'n mehr die Entwürdigung.

Auch für Apel war der heldenmütige Widerstand der kleinen Festung
Kolberg gegen die französischen Belagerer ein Lichtblick in trüber Zeit: er
verherrlicht ihn in den "Cicaden" (I, 313) durch die schlichte Erzählung
"Attila und die Azimunter". Manchmal ist auch ein Gedicht erst für den
Druck von ihm scheinbar auf antike Verhältnisse bezogen worden, das seinen
Haß gegen die Franzosen ursprünglich ganz unverhüllt zeigte. So ist ein Ge¬
dicht I, 294 als "Hellas letzte Gabe 1806" bezeichnet, die darin erwähnten
Feinde heißen "Räuber" und "Barbaren". Dasselbe Gedicht steht auf einem
mir vorliegenden Konzeptblatt in folgender Form:

Letzte Gabe
Kleider und Gold, frostscheuchendes Holz, volknährende Feldfrucht,
Wein und der Freiheit Stolz raubtet Teutonien ihr;
Franken, das letzte Geschenk mit frohhingebendem Herzen
Bent sie es euch, ein Grab tief im geschändeten Schoß.

Von den auf diesem Blatte geschriebnen Epigrammen möchte ich noch
vier hervorheben, die ihm die schmerzlichen Erfahrungen erpreßten, die er als
Leipziger Ratsherr während der französischen Erpressungen 1806/07 machen

Mußte:

Feierlichkeiten
Läutet vom Turm, laßt krachen Geschütz, oft scheucht es die Wolken,
Bringet Metall, ablenkt goldener Leiter den Blitz.
Resolution
Geben wirs? oder auch nicht! Es war nur so ein Gedanke.
Schlagen wirs ab! Indes -- geben wirs! Oder auch nicht?

August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

Und als der Jahrestag der Schlacht von Jena kommt, da erneuen sich
ihm die furchtbaren Bilder der Vergangenheit und formen sich um zu einer
ernsten Bußpredigt in dem Gedicht „Erinnerung" (II, 292 f.).

O wie graunvoll die Erinnrung von dem Tag naht, wo das Volk sank,
Wo der Bergstrom von dem Blut rot in die Herbstflur sich herabgoß
Und die Glut hoch zu Gewölk stieg:
Wo die Lust weit vom Gekrach scholl und vom Schlachtruf die Gebirgswand,
Wo der Angstruf mit Geheul laut im Palast tönt', und zum Altar
Das Gestöhn drang der Verzweiflung,
Wo das Kriegsheer um die Freiheit von Korinthos sich den Tod focht,
Und der Feldherr, o wie schändlich, dem Verrat feil, um den Kaufpreis
In die Knechtschaft es dahingab.
Wo die Freiheit in Entrüstung von dem schmachvollen Geschlecht wich,
Und das Land Raub der Gewalt ward, und entgöttert der Altar stand,
Und das Volk tief in Erniedrung
Zu dem Feind floh und Verrat sann, und die Braut selbst die Umarmung
Um Gewinn gab, um ein Lächeln von dem Fremdling zur Belohnung
Und mit Dank nahm die Beschimpfung,
Mit Gewölk trübt um des Volks Schmach in der Luftbahn sich der Lichtkreis,
Da die Herbstflur in dem Jahrlauf sich erneut, nicht mit dem Antlitz
Zu erschau'n mehr die Entwürdigung.

Auch für Apel war der heldenmütige Widerstand der kleinen Festung
Kolberg gegen die französischen Belagerer ein Lichtblick in trüber Zeit: er
verherrlicht ihn in den „Cicaden" (I, 313) durch die schlichte Erzählung
„Attila und die Azimunter". Manchmal ist auch ein Gedicht erst für den
Druck von ihm scheinbar auf antike Verhältnisse bezogen worden, das seinen
Haß gegen die Franzosen ursprünglich ganz unverhüllt zeigte. So ist ein Ge¬
dicht I, 294 als „Hellas letzte Gabe 1806" bezeichnet, die darin erwähnten
Feinde heißen „Räuber" und „Barbaren". Dasselbe Gedicht steht auf einem
mir vorliegenden Konzeptblatt in folgender Form:

Letzte Gabe
Kleider und Gold, frostscheuchendes Holz, volknährende Feldfrucht,
Wein und der Freiheit Stolz raubtet Teutonien ihr;
Franken, das letzte Geschenk mit frohhingebendem Herzen
Bent sie es euch, ein Grab tief im geschändeten Schoß.

Von den auf diesem Blatte geschriebnen Epigrammen möchte ich noch
vier hervorheben, die ihm die schmerzlichen Erfahrungen erpreßten, die er als
Leipziger Ratsherr während der französischen Erpressungen 1806/07 machen

Mußte:

Feierlichkeiten
Läutet vom Turm, laßt krachen Geschütz, oft scheucht es die Wolken,
Bringet Metall, ablenkt goldener Leiter den Blitz.
Resolution
Geben wirs? oder auch nicht! Es war nur so ein Gedanke.
Schlagen wirs ab! Indes — geben wirs! Oder auch nicht?

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[0421] August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig Und als der Jahrestag der Schlacht von Jena kommt, da erneuen sich ihm die furchtbaren Bilder der Vergangenheit und formen sich um zu einer ernsten Bußpredigt in dem Gedicht „Erinnerung" (II, 292 f.). O wie graunvoll die Erinnrung von dem Tag naht, wo das Volk sank, Wo der Bergstrom von dem Blut rot in die Herbstflur sich herabgoß Und die Glut hoch zu Gewölk stieg: Wo die Lust weit vom Gekrach scholl und vom Schlachtruf die Gebirgswand, Wo der Angstruf mit Geheul laut im Palast tönt', und zum Altar Das Gestöhn drang der Verzweiflung, Wo das Kriegsheer um die Freiheit von Korinthos sich den Tod focht, Und der Feldherr, o wie schändlich, dem Verrat feil, um den Kaufpreis In die Knechtschaft es dahingab. Wo die Freiheit in Entrüstung von dem schmachvollen Geschlecht wich, Und das Land Raub der Gewalt ward, und entgöttert der Altar stand, Und das Volk tief in Erniedrung Zu dem Feind floh und Verrat sann, und die Braut selbst die Umarmung Um Gewinn gab, um ein Lächeln von dem Fremdling zur Belohnung Und mit Dank nahm die Beschimpfung, Mit Gewölk trübt um des Volks Schmach in der Luftbahn sich der Lichtkreis, Da die Herbstflur in dem Jahrlauf sich erneut, nicht mit dem Antlitz Zu erschau'n mehr die Entwürdigung. Auch für Apel war der heldenmütige Widerstand der kleinen Festung Kolberg gegen die französischen Belagerer ein Lichtblick in trüber Zeit: er verherrlicht ihn in den „Cicaden" (I, 313) durch die schlichte Erzählung „Attila und die Azimunter". Manchmal ist auch ein Gedicht erst für den Druck von ihm scheinbar auf antike Verhältnisse bezogen worden, das seinen Haß gegen die Franzosen ursprünglich ganz unverhüllt zeigte. So ist ein Ge¬ dicht I, 294 als „Hellas letzte Gabe 1806" bezeichnet, die darin erwähnten Feinde heißen „Räuber" und „Barbaren". Dasselbe Gedicht steht auf einem mir vorliegenden Konzeptblatt in folgender Form: Letzte Gabe Kleider und Gold, frostscheuchendes Holz, volknährende Feldfrucht, Wein und der Freiheit Stolz raubtet Teutonien ihr; Franken, das letzte Geschenk mit frohhingebendem Herzen Bent sie es euch, ein Grab tief im geschändeten Schoß. Von den auf diesem Blatte geschriebnen Epigrammen möchte ich noch vier hervorheben, die ihm die schmerzlichen Erfahrungen erpreßten, die er als Leipziger Ratsherr während der französischen Erpressungen 1806/07 machen Mußte: Feierlichkeiten Läutet vom Turm, laßt krachen Geschütz, oft scheucht es die Wolken, Bringet Metall, ablenkt goldener Leiter den Blitz. Resolution Geben wirs? oder auch nicht! Es war nur so ein Gedanke. Schlagen wirs ab! Indes — geben wirs! Oder auch nicht?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/421>, abgerufen am 17.06.2024.