Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuer deutscher Idealismus

Herr Sombart führt die Verflachung und Verödung unsers öffentlichen
Lebens darauf zurück, "daß kein irgendwie großes Ideal im Mittelpunkt steht,
das hoch wie niedrig packte, von dem Wärme und Leben ausstrahlten". Es
dürften sich viele finden, die sich darüber wundern, daß ein solcher Ausspruch
nach den letzten Wahlen getan werden konnte. Seit den Septennatswcchlen ist
doch kaum jemals ein einheitlicher idealer Gedanke so deutlich zum Durchbruch
gekommen wie diesmal. In einer gar nicht so einfachen und dem allgemeinen
Verständnis naheliegenden Sache hat sich das alte deutsche Flotten- und
Kolonialideal, das sich schon 1848 zur Geltung brachte, so unzweideutig wie
möglich zum Ausdruck verholfen. Unwillkürlich muß man sich dabei an die
Worte Ulrich von Huttens erinnern: "Wenn die Deutschen einmal begreifen,
was ihnen not tut, werden sie das erste Volk der Welt sein." Theoretiker
mögen sich dieser einfachen Wahrheit verschließen, der gesunde Sinn des Volks
wird ihr zum Durchbruch verhelfen. Es war doch eine alte Idee des deutschen
Liberalismus, Deutschland aufs Meer zu tragen, und nur die erbitterten Kämpfe
um Bismarcks Wirtschafts- und Reichsfinanzpolitik haben in den achtziger
Jahren die namhaftesten liberalen Führer in Opposition gegen die ersten über¬
seeischen Anfänge Deutschlands gebracht und den Eifer der Partei erstickt. Darum
ist es mit doppelter Freude zu begrüßen, daß in unsern Tagen der gesamte
deutsche Liberalismus den Rückweg gefunden hat zu seinem Ideal: Deutschland
zur See, das auch wirklich das Ideal des deutschen Volks ist vom Kaiser bis
zum letzten nationalen Wähler. Man sagt, die Deutschen hätten mehr Idealismus
als irgendein Volk der Erde. Vielfach hat man auch den deutschen Doktrinarismus
für Idealismus angesehen, oder vielmehr die Doktrinäre haben ihren Stand-
Punkt dafür ausgegeben. In diesem Sinne ist freilich der vermeintliche Idealismus
auch unser Hauptfehler gewesen, denn der ist allzugern Wege gewandelt, die
unsern politischen Verhältnissen am wenigsten zusagen. Großes können wir aber
nur leisten, wenn sich der echte deutsche Idealismus in der Richtung betätigt,
wo er am allermeisten not tut, nämlich in der Erfüllung unsrer nationalen
Pflichten. Jetzt ist wieder ein neuer Weg dazu eröffnet. Unablässig auf ihm
fortzuschreiten, muß das ernste Streben aller Gebildeten unsers Volks ohne Unter¬
schied der Partei sein. Diesmal hat die Sozialdemokratie die Zeche dafür be¬
zahlen müssen, daß sie sich dem Idealismus des deutschen Volks entgegenstellte.
Und die Reichsregierung, die nun weiß, wo der Jungbrunnen des deutschen
Idealismus fließt, möge nicht unterlassen, bei guter Gelegenheit wieder den
reichen Born zu erschließen, damit sich keine Versumpfungen bilden.




Grenzboten IV 1907S8
Neuer deutscher Idealismus

Herr Sombart führt die Verflachung und Verödung unsers öffentlichen
Lebens darauf zurück, „daß kein irgendwie großes Ideal im Mittelpunkt steht,
das hoch wie niedrig packte, von dem Wärme und Leben ausstrahlten". Es
dürften sich viele finden, die sich darüber wundern, daß ein solcher Ausspruch
nach den letzten Wahlen getan werden konnte. Seit den Septennatswcchlen ist
doch kaum jemals ein einheitlicher idealer Gedanke so deutlich zum Durchbruch
gekommen wie diesmal. In einer gar nicht so einfachen und dem allgemeinen
Verständnis naheliegenden Sache hat sich das alte deutsche Flotten- und
Kolonialideal, das sich schon 1848 zur Geltung brachte, so unzweideutig wie
möglich zum Ausdruck verholfen. Unwillkürlich muß man sich dabei an die
Worte Ulrich von Huttens erinnern: „Wenn die Deutschen einmal begreifen,
was ihnen not tut, werden sie das erste Volk der Welt sein." Theoretiker
mögen sich dieser einfachen Wahrheit verschließen, der gesunde Sinn des Volks
wird ihr zum Durchbruch verhelfen. Es war doch eine alte Idee des deutschen
Liberalismus, Deutschland aufs Meer zu tragen, und nur die erbitterten Kämpfe
um Bismarcks Wirtschafts- und Reichsfinanzpolitik haben in den achtziger
Jahren die namhaftesten liberalen Führer in Opposition gegen die ersten über¬
seeischen Anfänge Deutschlands gebracht und den Eifer der Partei erstickt. Darum
ist es mit doppelter Freude zu begrüßen, daß in unsern Tagen der gesamte
deutsche Liberalismus den Rückweg gefunden hat zu seinem Ideal: Deutschland
zur See, das auch wirklich das Ideal des deutschen Volks ist vom Kaiser bis
zum letzten nationalen Wähler. Man sagt, die Deutschen hätten mehr Idealismus
als irgendein Volk der Erde. Vielfach hat man auch den deutschen Doktrinarismus
für Idealismus angesehen, oder vielmehr die Doktrinäre haben ihren Stand-
Punkt dafür ausgegeben. In diesem Sinne ist freilich der vermeintliche Idealismus
auch unser Hauptfehler gewesen, denn der ist allzugern Wege gewandelt, die
unsern politischen Verhältnissen am wenigsten zusagen. Großes können wir aber
nur leisten, wenn sich der echte deutsche Idealismus in der Richtung betätigt,
wo er am allermeisten not tut, nämlich in der Erfüllung unsrer nationalen
Pflichten. Jetzt ist wieder ein neuer Weg dazu eröffnet. Unablässig auf ihm
fortzuschreiten, muß das ernste Streben aller Gebildeten unsers Volks ohne Unter¬
schied der Partei sein. Diesmal hat die Sozialdemokratie die Zeche dafür be¬
zahlen müssen, daß sie sich dem Idealismus des deutschen Volks entgegenstellte.
Und die Reichsregierung, die nun weiß, wo der Jungbrunnen des deutschen
Idealismus fließt, möge nicht unterlassen, bei guter Gelegenheit wieder den
reichen Born zu erschließen, damit sich keine Versumpfungen bilden.




Grenzboten IV 1907S8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303869"/>
          <fw type="header" place="top"> Neuer deutscher Idealismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2032"> Herr Sombart führt die Verflachung und Verödung unsers öffentlichen<lb/>
Lebens darauf zurück, &#x201E;daß kein irgendwie großes Ideal im Mittelpunkt steht,<lb/>
das hoch wie niedrig packte, von dem Wärme und Leben ausstrahlten". Es<lb/>
dürften sich viele finden, die sich darüber wundern, daß ein solcher Ausspruch<lb/>
nach den letzten Wahlen getan werden konnte. Seit den Septennatswcchlen ist<lb/>
doch kaum jemals ein einheitlicher idealer Gedanke so deutlich zum Durchbruch<lb/>
gekommen wie diesmal. In einer gar nicht so einfachen und dem allgemeinen<lb/>
Verständnis naheliegenden Sache hat sich das alte deutsche Flotten- und<lb/>
Kolonialideal, das sich schon 1848 zur Geltung brachte, so unzweideutig wie<lb/>
möglich zum Ausdruck verholfen. Unwillkürlich muß man sich dabei an die<lb/>
Worte Ulrich von Huttens erinnern: &#x201E;Wenn die Deutschen einmal begreifen,<lb/>
was ihnen not tut, werden sie das erste Volk der Welt sein." Theoretiker<lb/>
mögen sich dieser einfachen Wahrheit verschließen, der gesunde Sinn des Volks<lb/>
wird ihr zum Durchbruch verhelfen. Es war doch eine alte Idee des deutschen<lb/>
Liberalismus, Deutschland aufs Meer zu tragen, und nur die erbitterten Kämpfe<lb/>
um Bismarcks Wirtschafts- und Reichsfinanzpolitik haben in den achtziger<lb/>
Jahren die namhaftesten liberalen Führer in Opposition gegen die ersten über¬<lb/>
seeischen Anfänge Deutschlands gebracht und den Eifer der Partei erstickt. Darum<lb/>
ist es mit doppelter Freude zu begrüßen, daß in unsern Tagen der gesamte<lb/>
deutsche Liberalismus den Rückweg gefunden hat zu seinem Ideal: Deutschland<lb/>
zur See, das auch wirklich das Ideal des deutschen Volks ist vom Kaiser bis<lb/>
zum letzten nationalen Wähler. Man sagt, die Deutschen hätten mehr Idealismus<lb/>
als irgendein Volk der Erde. Vielfach hat man auch den deutschen Doktrinarismus<lb/>
für Idealismus angesehen, oder vielmehr die Doktrinäre haben ihren Stand-<lb/>
Punkt dafür ausgegeben. In diesem Sinne ist freilich der vermeintliche Idealismus<lb/>
auch unser Hauptfehler gewesen, denn der ist allzugern Wege gewandelt, die<lb/>
unsern politischen Verhältnissen am wenigsten zusagen. Großes können wir aber<lb/>
nur leisten, wenn sich der echte deutsche Idealismus in der Richtung betätigt,<lb/>
wo er am allermeisten not tut, nämlich in der Erfüllung unsrer nationalen<lb/>
Pflichten. Jetzt ist wieder ein neuer Weg dazu eröffnet. Unablässig auf ihm<lb/>
fortzuschreiten, muß das ernste Streben aller Gebildeten unsers Volks ohne Unter¬<lb/>
schied der Partei sein. Diesmal hat die Sozialdemokratie die Zeche dafür be¬<lb/>
zahlen müssen, daß sie sich dem Idealismus des deutschen Volks entgegenstellte.<lb/>
Und die Reichsregierung, die nun weiß, wo der Jungbrunnen des deutschen<lb/>
Idealismus fließt, möge nicht unterlassen, bei guter Gelegenheit wieder den<lb/>
reichen Born zu erschließen, damit sich keine Versumpfungen bilden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1907S8</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] Neuer deutscher Idealismus Herr Sombart führt die Verflachung und Verödung unsers öffentlichen Lebens darauf zurück, „daß kein irgendwie großes Ideal im Mittelpunkt steht, das hoch wie niedrig packte, von dem Wärme und Leben ausstrahlten". Es dürften sich viele finden, die sich darüber wundern, daß ein solcher Ausspruch nach den letzten Wahlen getan werden konnte. Seit den Septennatswcchlen ist doch kaum jemals ein einheitlicher idealer Gedanke so deutlich zum Durchbruch gekommen wie diesmal. In einer gar nicht so einfachen und dem allgemeinen Verständnis naheliegenden Sache hat sich das alte deutsche Flotten- und Kolonialideal, das sich schon 1848 zur Geltung brachte, so unzweideutig wie möglich zum Ausdruck verholfen. Unwillkürlich muß man sich dabei an die Worte Ulrich von Huttens erinnern: „Wenn die Deutschen einmal begreifen, was ihnen not tut, werden sie das erste Volk der Welt sein." Theoretiker mögen sich dieser einfachen Wahrheit verschließen, der gesunde Sinn des Volks wird ihr zum Durchbruch verhelfen. Es war doch eine alte Idee des deutschen Liberalismus, Deutschland aufs Meer zu tragen, und nur die erbitterten Kämpfe um Bismarcks Wirtschafts- und Reichsfinanzpolitik haben in den achtziger Jahren die namhaftesten liberalen Führer in Opposition gegen die ersten über¬ seeischen Anfänge Deutschlands gebracht und den Eifer der Partei erstickt. Darum ist es mit doppelter Freude zu begrüßen, daß in unsern Tagen der gesamte deutsche Liberalismus den Rückweg gefunden hat zu seinem Ideal: Deutschland zur See, das auch wirklich das Ideal des deutschen Volks ist vom Kaiser bis zum letzten nationalen Wähler. Man sagt, die Deutschen hätten mehr Idealismus als irgendein Volk der Erde. Vielfach hat man auch den deutschen Doktrinarismus für Idealismus angesehen, oder vielmehr die Doktrinäre haben ihren Stand- Punkt dafür ausgegeben. In diesem Sinne ist freilich der vermeintliche Idealismus auch unser Hauptfehler gewesen, denn der ist allzugern Wege gewandelt, die unsern politischen Verhältnissen am wenigsten zusagen. Großes können wir aber nur leisten, wenn sich der echte deutsche Idealismus in der Richtung betätigt, wo er am allermeisten not tut, nämlich in der Erfüllung unsrer nationalen Pflichten. Jetzt ist wieder ein neuer Weg dazu eröffnet. Unablässig auf ihm fortzuschreiten, muß das ernste Streben aller Gebildeten unsers Volks ohne Unter¬ schied der Partei sein. Diesmal hat die Sozialdemokratie die Zeche dafür be¬ zahlen müssen, daß sie sich dem Idealismus des deutschen Volks entgegenstellte. Und die Reichsregierung, die nun weiß, wo der Jungbrunnen des deutschen Idealismus fließt, möge nicht unterlassen, bei guter Gelegenheit wieder den reichen Born zu erschließen, damit sich keine Versumpfungen bilden. Grenzboten IV 1907S8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/453>, abgerufen am 17.06.2024.