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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Adolf Stern

Beeinflussung annehme, es ist mehr ein Nebeneinander; dagegen glaube ich hier
an einen Einfluß Heyses und halte es nicht für zufällig oder rein von literar¬
historischen Interessen eingegeben, daß Stern gerade Heyse mit so großer Aus¬
führlichkeit und mit einer gewissen, kaum verhüllten Leidenschaft charakterisierte
und verteidigte zu einer Zeit, wo man auf diesen Dichter losschlug wie auf
wenige. Die Grundverschiedenheit beider Naturen in vielem ist nicht zu leugnen
und bedarf für den Kenner keiner Ausführung, aber ich empfinde gerade in
Sterns besten Novellen aus jüngerer Zeit und der Gegenwart eine starke Ver¬
wandtschaft mit Heyses Kunst. "Maria vom Schiffchen", die in ihrer Knappheit
und ihrer schweren Stimmung Herbe und Süße wundervoll vereinende römische
Novelle, und der "Pate des Todes" mit der so gar nicht sprunghafter, völlig
lebensechten, raschen Entwicklung zeigen diesen Zug und sind zugleich nach meinem
Urteil Sterns freiste und schönste Dichtungen.

Mit ihnen und mit seinen Novellen überhaupt ist Stern in den letzten
Jahren auch als Dichter mehr und mehr berühmt geworden; er mußte ja in
einer Zeit auf die Höhe kommen, die, vornehmlich dank seinem Mühen, die
Realisten aus der oft unpoetisch gescholtnen Zeit der fünfziger und sechziger
Jahre nach ihrer vollen Bedeutung erkannte. Von Sterns Lyrik wird manches
weiter leben, besonders aus den Margretliedern, die er seiner zweiten Gattin,
einer hervorragenden Pianistin, und ihrem Gedächtnis gewidmet hat. Mit
Recht hat Ludwig Jacobowski seinen "Neuen Liedern fürs Volk" Sterns
Verse eingefügt:

^e ist das Leben bitter arm!
Für so viel Liebe, soviel Harm,
Für so viel Jahre, trüb verbracht,
Für so viel Nächte, schwer durchwacht,
Ein Gruß aus Tränen, leis und matt,
Ein Druck der Hand, ein Rosenblatt.
Und doch -- die Welle schwillt und treibt:
Wer ahnt, was kommt? Wer weiß, wer bleibt?
Ob mir nicht nah der Tag gerückt,
An welchem mich allein beglückt
Die welke Rose tief im Schrein
Und jener Tränen Widerschein!

Den schweren Schickungen, die Stern, der vor Frau Margret schon eine
Gattin und sein einziges Kind begraben hatte, trafen, entspringen immer weder
dunkle Töne eines geprüften Lebensernstes, neben denen die hellen Laute
jubelnden Glücks keinen vollen Platz gewinnen.

Das ist der Nachklang dieser Liebeslieder, denen sich eine Reihe Tage¬
buchblätter anschließt, wie sie Sterns zur Verehrung bereite Phantasie großen
Eindrücken der Natur und der Kunst, großen Menschen unsers Volks und seiner


Adolf Stern

Beeinflussung annehme, es ist mehr ein Nebeneinander; dagegen glaube ich hier
an einen Einfluß Heyses und halte es nicht für zufällig oder rein von literar¬
historischen Interessen eingegeben, daß Stern gerade Heyse mit so großer Aus¬
führlichkeit und mit einer gewissen, kaum verhüllten Leidenschaft charakterisierte
und verteidigte zu einer Zeit, wo man auf diesen Dichter losschlug wie auf
wenige. Die Grundverschiedenheit beider Naturen in vielem ist nicht zu leugnen
und bedarf für den Kenner keiner Ausführung, aber ich empfinde gerade in
Sterns besten Novellen aus jüngerer Zeit und der Gegenwart eine starke Ver¬
wandtschaft mit Heyses Kunst. „Maria vom Schiffchen", die in ihrer Knappheit
und ihrer schweren Stimmung Herbe und Süße wundervoll vereinende römische
Novelle, und der „Pate des Todes" mit der so gar nicht sprunghafter, völlig
lebensechten, raschen Entwicklung zeigen diesen Zug und sind zugleich nach meinem
Urteil Sterns freiste und schönste Dichtungen.

Mit ihnen und mit seinen Novellen überhaupt ist Stern in den letzten
Jahren auch als Dichter mehr und mehr berühmt geworden; er mußte ja in
einer Zeit auf die Höhe kommen, die, vornehmlich dank seinem Mühen, die
Realisten aus der oft unpoetisch gescholtnen Zeit der fünfziger und sechziger
Jahre nach ihrer vollen Bedeutung erkannte. Von Sterns Lyrik wird manches
weiter leben, besonders aus den Margretliedern, die er seiner zweiten Gattin,
einer hervorragenden Pianistin, und ihrem Gedächtnis gewidmet hat. Mit
Recht hat Ludwig Jacobowski seinen „Neuen Liedern fürs Volk" Sterns
Verse eingefügt:

^e ist das Leben bitter arm!
Für so viel Liebe, soviel Harm,
Für so viel Jahre, trüb verbracht,
Für so viel Nächte, schwer durchwacht,
Ein Gruß aus Tränen, leis und matt,
Ein Druck der Hand, ein Rosenblatt.
Und doch — die Welle schwillt und treibt:
Wer ahnt, was kommt? Wer weiß, wer bleibt?
Ob mir nicht nah der Tag gerückt,
An welchem mich allein beglückt
Die welke Rose tief im Schrein
Und jener Tränen Widerschein!

Den schweren Schickungen, die Stern, der vor Frau Margret schon eine
Gattin und sein einziges Kind begraben hatte, trafen, entspringen immer weder
dunkle Töne eines geprüften Lebensernstes, neben denen die hellen Laute
jubelnden Glücks keinen vollen Platz gewinnen.

Das ist der Nachklang dieser Liebeslieder, denen sich eine Reihe Tage¬
buchblätter anschließt, wie sie Sterns zur Verehrung bereite Phantasie großen
Eindrücken der Natur und der Kunst, großen Menschen unsers Volks und seiner


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[0527] Adolf Stern Beeinflussung annehme, es ist mehr ein Nebeneinander; dagegen glaube ich hier an einen Einfluß Heyses und halte es nicht für zufällig oder rein von literar¬ historischen Interessen eingegeben, daß Stern gerade Heyse mit so großer Aus¬ führlichkeit und mit einer gewissen, kaum verhüllten Leidenschaft charakterisierte und verteidigte zu einer Zeit, wo man auf diesen Dichter losschlug wie auf wenige. Die Grundverschiedenheit beider Naturen in vielem ist nicht zu leugnen und bedarf für den Kenner keiner Ausführung, aber ich empfinde gerade in Sterns besten Novellen aus jüngerer Zeit und der Gegenwart eine starke Ver¬ wandtschaft mit Heyses Kunst. „Maria vom Schiffchen", die in ihrer Knappheit und ihrer schweren Stimmung Herbe und Süße wundervoll vereinende römische Novelle, und der „Pate des Todes" mit der so gar nicht sprunghafter, völlig lebensechten, raschen Entwicklung zeigen diesen Zug und sind zugleich nach meinem Urteil Sterns freiste und schönste Dichtungen. Mit ihnen und mit seinen Novellen überhaupt ist Stern in den letzten Jahren auch als Dichter mehr und mehr berühmt geworden; er mußte ja in einer Zeit auf die Höhe kommen, die, vornehmlich dank seinem Mühen, die Realisten aus der oft unpoetisch gescholtnen Zeit der fünfziger und sechziger Jahre nach ihrer vollen Bedeutung erkannte. Von Sterns Lyrik wird manches weiter leben, besonders aus den Margretliedern, die er seiner zweiten Gattin, einer hervorragenden Pianistin, und ihrem Gedächtnis gewidmet hat. Mit Recht hat Ludwig Jacobowski seinen „Neuen Liedern fürs Volk" Sterns Verse eingefügt: ^e ist das Leben bitter arm! Für so viel Liebe, soviel Harm, Für so viel Jahre, trüb verbracht, Für so viel Nächte, schwer durchwacht, Ein Gruß aus Tränen, leis und matt, Ein Druck der Hand, ein Rosenblatt. Und doch — die Welle schwillt und treibt: Wer ahnt, was kommt? Wer weiß, wer bleibt? Ob mir nicht nah der Tag gerückt, An welchem mich allein beglückt Die welke Rose tief im Schrein Und jener Tränen Widerschein! Den schweren Schickungen, die Stern, der vor Frau Margret schon eine Gattin und sein einziges Kind begraben hatte, trafen, entspringen immer weder dunkle Töne eines geprüften Lebensernstes, neben denen die hellen Laute jubelnden Glücks keinen vollen Platz gewinnen. Das ist der Nachklang dieser Liebeslieder, denen sich eine Reihe Tage¬ buchblätter anschließt, wie sie Sterns zur Verehrung bereite Phantasie großen Eindrücken der Natur und der Kunst, großen Menschen unsers Volks und seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/527>, abgerufen am 11.06.2024.