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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die Polenfrage in Preußen

Durchaus zutreffend ignoriert der Verfasser die Behauptung, irgendein National¬
fonds spende den Polen Geld zum Ankauf deutschen Bodens. Es gibt wohl
Fonds, aus denen gewisse Unternehmungen der Polen unterstützt werden, die
aber sind so minimal, daß eine nennenswerte wirtschaftliche Aktion von ihnen nicht
durchgehalten werden könnte. Auch in den Ersparnissen der Sachsengänger
sieht der Herr Verfasser den Hauptpunkt des polnischen Nationalvermögens
anscheinend nicht. Die sich bei den Genossenschaftsbanken konzentrierenden Ein¬
lagen dieser Leute werden nach seiner Ansicht (S. 424) durch die Schulden
hervorgerufen, die sie bei Beginn ihrer Wanderung gewöhnlich eingehn. Hiermit
im Widerspruch steht die ebenfalls vom Verfasser angeführte Tatsache, daß die
Polnischen Banken von den bei ihnen verschuldeten Häuslern, aus denen sich
bekanntlich das Gros der Sachsengänger ergänzt, 7 bis 8 Prozent nehmen
(S. 435). Später bestätigt der Verfasser diese Auffassung noch einmal, indem
er schreibt: "Sie -- die Polenbanken -- müssen einen Teil ihrer Mitglieder
bedrücken, damit sie dem andern um so wirksamer helfen können; sie müssen
vom Häusler 7 Prozent nehmen, damit sie sich beim Darlehn an Kaufleute
und Handwerker auf 4 Prozent beschränken können" (S. 436). Somit gibt der
Verfasser selbst die große Bedeutung der Sachsengängerersparnisse zu und zeigt
nur den Weg, auf dem sie für die Polen nutzbar gemacht werden.

Die gewaltigen Zuschüsse, die die deutschen Kapitalisten aller Grade den
Polen in Form von Hypotheken gewähren, erwähnt der Verfasser nur nebenbei,
und er gibt auch nicht eine Schätzung des Umfangs der in Frage kommenden
Summen an. Mit Hilfe des Grundbuchs waren Feststellungen in dieser Richtung
möglich. Infolge solcher Beschränkung ist auch von gewerblichen Krediten an
Polnische kaufmännische Unternehmungen nur einseitig in Verbindung mit
Finanzierung durch die polnischen Banken die Rede. Daß der überwiegend
größte Teil der von Polen gehandelten Waren deutschen Ursprungs ist, daß
die deutschen Produzenten langfristige Kredite gewähren müssen, die zum
größten Teil durch die polnischen Banken sichergestellt werden, daß die deutschen
Produzenten zum bessern Absatz ihrer Waren unter den Polen auch bares Geld
an gut empfohln? Persönlichkeiten polnischen Ursprungs geben und denen erst
die Begründung einer bürgerlichen Existenz möglich machen -- das alles erwähnt
Bernhardt nicht. Warum? Zweifellos deshalb, weil all das ihm so selbst¬
verständlich und natürlich erscheint, wie jedem Kaufmann. "Wer kreditwürdig
ist und bereit, Zinsen zu zahlen, erhält, was er braucht" (S. 389). Posen und
Westpreußen sind ein Teil des deutschen Wirtschaftsgebiets und mit diesem eng
verbunden durch tausend Fäden. Hieran scheitert alle unsre Polenpolitik.

Sollen wir nun zu Zwangsmitteln greifen, um dennoch Sieger über die
Polen zu werden? Der Autor gibt darauf leider keine Antwort. Aber er zeigt
uns den Grund, der den "Schrei nach Enteignung der Polen" hervorgerufen
hat (S. 350). Weil die Polen einen festgeschloßnen Riegel mitten durch den
Regierungsbezirk Bromberg geschoben haben, der kaum 200000 Polen ein-


Die Polenfrage in Preußen

Durchaus zutreffend ignoriert der Verfasser die Behauptung, irgendein National¬
fonds spende den Polen Geld zum Ankauf deutschen Bodens. Es gibt wohl
Fonds, aus denen gewisse Unternehmungen der Polen unterstützt werden, die
aber sind so minimal, daß eine nennenswerte wirtschaftliche Aktion von ihnen nicht
durchgehalten werden könnte. Auch in den Ersparnissen der Sachsengänger
sieht der Herr Verfasser den Hauptpunkt des polnischen Nationalvermögens
anscheinend nicht. Die sich bei den Genossenschaftsbanken konzentrierenden Ein¬
lagen dieser Leute werden nach seiner Ansicht (S. 424) durch die Schulden
hervorgerufen, die sie bei Beginn ihrer Wanderung gewöhnlich eingehn. Hiermit
im Widerspruch steht die ebenfalls vom Verfasser angeführte Tatsache, daß die
Polnischen Banken von den bei ihnen verschuldeten Häuslern, aus denen sich
bekanntlich das Gros der Sachsengänger ergänzt, 7 bis 8 Prozent nehmen
(S. 435). Später bestätigt der Verfasser diese Auffassung noch einmal, indem
er schreibt: „Sie — die Polenbanken — müssen einen Teil ihrer Mitglieder
bedrücken, damit sie dem andern um so wirksamer helfen können; sie müssen
vom Häusler 7 Prozent nehmen, damit sie sich beim Darlehn an Kaufleute
und Handwerker auf 4 Prozent beschränken können" (S. 436). Somit gibt der
Verfasser selbst die große Bedeutung der Sachsengängerersparnisse zu und zeigt
nur den Weg, auf dem sie für die Polen nutzbar gemacht werden.

Die gewaltigen Zuschüsse, die die deutschen Kapitalisten aller Grade den
Polen in Form von Hypotheken gewähren, erwähnt der Verfasser nur nebenbei,
und er gibt auch nicht eine Schätzung des Umfangs der in Frage kommenden
Summen an. Mit Hilfe des Grundbuchs waren Feststellungen in dieser Richtung
möglich. Infolge solcher Beschränkung ist auch von gewerblichen Krediten an
Polnische kaufmännische Unternehmungen nur einseitig in Verbindung mit
Finanzierung durch die polnischen Banken die Rede. Daß der überwiegend
größte Teil der von Polen gehandelten Waren deutschen Ursprungs ist, daß
die deutschen Produzenten langfristige Kredite gewähren müssen, die zum
größten Teil durch die polnischen Banken sichergestellt werden, daß die deutschen
Produzenten zum bessern Absatz ihrer Waren unter den Polen auch bares Geld
an gut empfohln? Persönlichkeiten polnischen Ursprungs geben und denen erst
die Begründung einer bürgerlichen Existenz möglich machen — das alles erwähnt
Bernhardt nicht. Warum? Zweifellos deshalb, weil all das ihm so selbst¬
verständlich und natürlich erscheint, wie jedem Kaufmann. „Wer kreditwürdig
ist und bereit, Zinsen zu zahlen, erhält, was er braucht" (S. 389). Posen und
Westpreußen sind ein Teil des deutschen Wirtschaftsgebiets und mit diesem eng
verbunden durch tausend Fäden. Hieran scheitert alle unsre Polenpolitik.

Sollen wir nun zu Zwangsmitteln greifen, um dennoch Sieger über die
Polen zu werden? Der Autor gibt darauf leider keine Antwort. Aber er zeigt
uns den Grund, der den „Schrei nach Enteignung der Polen" hervorgerufen
hat (S. 350). Weil die Polen einen festgeschloßnen Riegel mitten durch den
Regierungsbezirk Bromberg geschoben haben, der kaum 200000 Polen ein-


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[0561] Die Polenfrage in Preußen Durchaus zutreffend ignoriert der Verfasser die Behauptung, irgendein National¬ fonds spende den Polen Geld zum Ankauf deutschen Bodens. Es gibt wohl Fonds, aus denen gewisse Unternehmungen der Polen unterstützt werden, die aber sind so minimal, daß eine nennenswerte wirtschaftliche Aktion von ihnen nicht durchgehalten werden könnte. Auch in den Ersparnissen der Sachsengänger sieht der Herr Verfasser den Hauptpunkt des polnischen Nationalvermögens anscheinend nicht. Die sich bei den Genossenschaftsbanken konzentrierenden Ein¬ lagen dieser Leute werden nach seiner Ansicht (S. 424) durch die Schulden hervorgerufen, die sie bei Beginn ihrer Wanderung gewöhnlich eingehn. Hiermit im Widerspruch steht die ebenfalls vom Verfasser angeführte Tatsache, daß die Polnischen Banken von den bei ihnen verschuldeten Häuslern, aus denen sich bekanntlich das Gros der Sachsengänger ergänzt, 7 bis 8 Prozent nehmen (S. 435). Später bestätigt der Verfasser diese Auffassung noch einmal, indem er schreibt: „Sie — die Polenbanken — müssen einen Teil ihrer Mitglieder bedrücken, damit sie dem andern um so wirksamer helfen können; sie müssen vom Häusler 7 Prozent nehmen, damit sie sich beim Darlehn an Kaufleute und Handwerker auf 4 Prozent beschränken können" (S. 436). Somit gibt der Verfasser selbst die große Bedeutung der Sachsengängerersparnisse zu und zeigt nur den Weg, auf dem sie für die Polen nutzbar gemacht werden. Die gewaltigen Zuschüsse, die die deutschen Kapitalisten aller Grade den Polen in Form von Hypotheken gewähren, erwähnt der Verfasser nur nebenbei, und er gibt auch nicht eine Schätzung des Umfangs der in Frage kommenden Summen an. Mit Hilfe des Grundbuchs waren Feststellungen in dieser Richtung möglich. Infolge solcher Beschränkung ist auch von gewerblichen Krediten an Polnische kaufmännische Unternehmungen nur einseitig in Verbindung mit Finanzierung durch die polnischen Banken die Rede. Daß der überwiegend größte Teil der von Polen gehandelten Waren deutschen Ursprungs ist, daß die deutschen Produzenten langfristige Kredite gewähren müssen, die zum größten Teil durch die polnischen Banken sichergestellt werden, daß die deutschen Produzenten zum bessern Absatz ihrer Waren unter den Polen auch bares Geld an gut empfohln? Persönlichkeiten polnischen Ursprungs geben und denen erst die Begründung einer bürgerlichen Existenz möglich machen — das alles erwähnt Bernhardt nicht. Warum? Zweifellos deshalb, weil all das ihm so selbst¬ verständlich und natürlich erscheint, wie jedem Kaufmann. „Wer kreditwürdig ist und bereit, Zinsen zu zahlen, erhält, was er braucht" (S. 389). Posen und Westpreußen sind ein Teil des deutschen Wirtschaftsgebiets und mit diesem eng verbunden durch tausend Fäden. Hieran scheitert alle unsre Polenpolitik. Sollen wir nun zu Zwangsmitteln greifen, um dennoch Sieger über die Polen zu werden? Der Autor gibt darauf leider keine Antwort. Aber er zeigt uns den Grund, der den „Schrei nach Enteignung der Polen" hervorgerufen hat (S. 350). Weil die Polen einen festgeschloßnen Riegel mitten durch den Regierungsbezirk Bromberg geschoben haben, der kaum 200000 Polen ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/561>, abgerufen am 17.06.2024.