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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Adolf Stern

Sie Wenden beide damals im Kreise der Altenburg, unter dem Zauber Liszts
und der Prinzessin Wittgenstein, der spätern Fürstin Chlodwig Hohenlohe. "Unter
den vielen Personen, schreibt Kuh, die Hebbel in Weimar bei Festakten und bei
Festabenden kennen lernte, hebe ich den jungen Poeten Adolf Stern hervor,
weil derselbe nachmals in freundschaftliche Beziehungen zu Hebbel trat. Dieser
hatte jüngst in der Illustrierten Zeitung Adolf Sterns episches Gedicht
("Jerusalem" s. oben) anerkennend besprochen. Stern flog an allen Gliedern
und war totenbleich, als er Hebbel vorgestellt wurde." Dieses Verhältnis zu
Hebbel war der eine Ausgangspunkt von Sterns literarhistorischer Betrachtungs¬
weise, und der Aufblick zu dem gewaltigen Dichter, der solange Zeit verkannt
war, hat es Stern leicht gemacht, die Wege zu gehn, die heute in seinen Spuren
die wahrhaft fruchtbare Literaturgeschichte gehn muß.


Mu Friedrich Hebbel 1SKS)

Die hier poetisch ausgesprochne Auffassung hat Adolf Stern nicht nur in
den beiden großen, unübertroffner Aufsätzen über Hebbel festgehalten, sondern
sie auch an allen Orten, wo sich die Gelegenheit bot, vertreten und begründet.
Und die Anschauung, die noch seiner ältesten Arbeit angehört, daß nämlich
Hebbel "zu jenen großen Talenten der deutschen Literatur gehört habe, welche
nur in einem kleinen Kreis volle Würdigung und ganzes Verständnis fanden
und finden können" (geschrieben 1880), wich mit den Jahren mehr und mehr
der uns heute erfüllenden Erkenntnis, daß Hebbel doch durchaus der ganzen
Nation gehört, daß er weiter zeigt, und daß das Drama der Gegenwart und
Zukunft auf ihm weiterbauen muß. Wie aus dem Werk Emil Kuss, obwohl
dieser Sterns erste Ausfassung teilte, gewinnen wir diese Lehre auch aus
Sterns Arbeit für Hebbel, mag er sie auch nie mit solcher Schärfe aus¬
gesprochen haben.

Denn sein Herzenspoet war doch wohl Otto Ludwig, den ich absichtlich
oben bei Sterns Novellen und bei seiner Lyrik noch nicht genannt habe, weil
ich den großen Eindruck, den der vertraute Umgang mit diesem Dichter in
Adolf Stern hinterließ, hier auf einmal hervorheben wollte. Der Neigung für
Ludwig, dem tief eindringenden Verständnis für dieses Dichters Lebenswerk
verdanken wir das Beste unter Sterns größern einheitlichen literarhistorischen
Werken, Otto Ludwigs Biographie, die er als Einleitung zu der von ihm und
Erich Schmidt besorgten Gesamtausgabe und auch selbständig herausgab. Es
ist besonders in der zweiten, durchgearbeiteten und erweiterten Auflage ein
Werk, das man schwer überschätzen kann. Künstlerisch geschlossen im Stil, ist
dieses Buch ein schönes Beispiel dafür, daß, wie sich Stern selbst ausdrückt,
"es in diesen Dingen ein künstlerisches Maß und ein künstlerisches Muß


Adolf Stern

Sie Wenden beide damals im Kreise der Altenburg, unter dem Zauber Liszts
und der Prinzessin Wittgenstein, der spätern Fürstin Chlodwig Hohenlohe. „Unter
den vielen Personen, schreibt Kuh, die Hebbel in Weimar bei Festakten und bei
Festabenden kennen lernte, hebe ich den jungen Poeten Adolf Stern hervor,
weil derselbe nachmals in freundschaftliche Beziehungen zu Hebbel trat. Dieser
hatte jüngst in der Illustrierten Zeitung Adolf Sterns episches Gedicht
(»Jerusalem« s. oben) anerkennend besprochen. Stern flog an allen Gliedern
und war totenbleich, als er Hebbel vorgestellt wurde." Dieses Verhältnis zu
Hebbel war der eine Ausgangspunkt von Sterns literarhistorischer Betrachtungs¬
weise, und der Aufblick zu dem gewaltigen Dichter, der solange Zeit verkannt
war, hat es Stern leicht gemacht, die Wege zu gehn, die heute in seinen Spuren
die wahrhaft fruchtbare Literaturgeschichte gehn muß.


Mu Friedrich Hebbel 1SKS)

Die hier poetisch ausgesprochne Auffassung hat Adolf Stern nicht nur in
den beiden großen, unübertroffner Aufsätzen über Hebbel festgehalten, sondern
sie auch an allen Orten, wo sich die Gelegenheit bot, vertreten und begründet.
Und die Anschauung, die noch seiner ältesten Arbeit angehört, daß nämlich
Hebbel „zu jenen großen Talenten der deutschen Literatur gehört habe, welche
nur in einem kleinen Kreis volle Würdigung und ganzes Verständnis fanden
und finden können" (geschrieben 1880), wich mit den Jahren mehr und mehr
der uns heute erfüllenden Erkenntnis, daß Hebbel doch durchaus der ganzen
Nation gehört, daß er weiter zeigt, und daß das Drama der Gegenwart und
Zukunft auf ihm weiterbauen muß. Wie aus dem Werk Emil Kuss, obwohl
dieser Sterns erste Ausfassung teilte, gewinnen wir diese Lehre auch aus
Sterns Arbeit für Hebbel, mag er sie auch nie mit solcher Schärfe aus¬
gesprochen haben.

Denn sein Herzenspoet war doch wohl Otto Ludwig, den ich absichtlich
oben bei Sterns Novellen und bei seiner Lyrik noch nicht genannt habe, weil
ich den großen Eindruck, den der vertraute Umgang mit diesem Dichter in
Adolf Stern hinterließ, hier auf einmal hervorheben wollte. Der Neigung für
Ludwig, dem tief eindringenden Verständnis für dieses Dichters Lebenswerk
verdanken wir das Beste unter Sterns größern einheitlichen literarhistorischen
Werken, Otto Ludwigs Biographie, die er als Einleitung zu der von ihm und
Erich Schmidt besorgten Gesamtausgabe und auch selbständig herausgab. Es
ist besonders in der zweiten, durchgearbeiteten und erweiterten Auflage ein
Werk, das man schwer überschätzen kann. Künstlerisch geschlossen im Stil, ist
dieses Buch ein schönes Beispiel dafür, daß, wie sich Stern selbst ausdrückt,
„es in diesen Dingen ein künstlerisches Maß und ein künstlerisches Muß


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[0582] Adolf Stern Sie Wenden beide damals im Kreise der Altenburg, unter dem Zauber Liszts und der Prinzessin Wittgenstein, der spätern Fürstin Chlodwig Hohenlohe. „Unter den vielen Personen, schreibt Kuh, die Hebbel in Weimar bei Festakten und bei Festabenden kennen lernte, hebe ich den jungen Poeten Adolf Stern hervor, weil derselbe nachmals in freundschaftliche Beziehungen zu Hebbel trat. Dieser hatte jüngst in der Illustrierten Zeitung Adolf Sterns episches Gedicht (»Jerusalem« s. oben) anerkennend besprochen. Stern flog an allen Gliedern und war totenbleich, als er Hebbel vorgestellt wurde." Dieses Verhältnis zu Hebbel war der eine Ausgangspunkt von Sterns literarhistorischer Betrachtungs¬ weise, und der Aufblick zu dem gewaltigen Dichter, der solange Zeit verkannt war, hat es Stern leicht gemacht, die Wege zu gehn, die heute in seinen Spuren die wahrhaft fruchtbare Literaturgeschichte gehn muß. Mu Friedrich Hebbel 1SKS) Die hier poetisch ausgesprochne Auffassung hat Adolf Stern nicht nur in den beiden großen, unübertroffner Aufsätzen über Hebbel festgehalten, sondern sie auch an allen Orten, wo sich die Gelegenheit bot, vertreten und begründet. Und die Anschauung, die noch seiner ältesten Arbeit angehört, daß nämlich Hebbel „zu jenen großen Talenten der deutschen Literatur gehört habe, welche nur in einem kleinen Kreis volle Würdigung und ganzes Verständnis fanden und finden können" (geschrieben 1880), wich mit den Jahren mehr und mehr der uns heute erfüllenden Erkenntnis, daß Hebbel doch durchaus der ganzen Nation gehört, daß er weiter zeigt, und daß das Drama der Gegenwart und Zukunft auf ihm weiterbauen muß. Wie aus dem Werk Emil Kuss, obwohl dieser Sterns erste Ausfassung teilte, gewinnen wir diese Lehre auch aus Sterns Arbeit für Hebbel, mag er sie auch nie mit solcher Schärfe aus¬ gesprochen haben. Denn sein Herzenspoet war doch wohl Otto Ludwig, den ich absichtlich oben bei Sterns Novellen und bei seiner Lyrik noch nicht genannt habe, weil ich den großen Eindruck, den der vertraute Umgang mit diesem Dichter in Adolf Stern hinterließ, hier auf einmal hervorheben wollte. Der Neigung für Ludwig, dem tief eindringenden Verständnis für dieses Dichters Lebenswerk verdanken wir das Beste unter Sterns größern einheitlichen literarhistorischen Werken, Otto Ludwigs Biographie, die er als Einleitung zu der von ihm und Erich Schmidt besorgten Gesamtausgabe und auch selbständig herausgab. Es ist besonders in der zweiten, durchgearbeiteten und erweiterten Auflage ein Werk, das man schwer überschätzen kann. Künstlerisch geschlossen im Stil, ist dieses Buch ein schönes Beispiel dafür, daß, wie sich Stern selbst ausdrückt, „es in diesen Dingen ein künstlerisches Maß und ein künstlerisches Muß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/582>, abgerufen am 17.06.2024.