Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Englische Gedanken über kriegerische Macht

einer Germania ziemlich ähnlich sieht, und zu deren Häupten der Spruch
steht: Vor XinZ s.na Oounti^ (Für König und Vaterland).

Da das Buch von der Rational Lsrvivs I^aZnö herausgegeben worden
ist, so versteht es sich von selbst, daß diese ihr Hauptziel, eine allgemeine
militärische Volkserziehung, die allgemeine Wehrpflicht, wie sie sie auffaßt,
obenanstellt. Auch Lord Roberts betont in seinem Vorwort diesen Punkt,
führt aber nachdrücklich zur Beruhigung aller derer, die immer im Hintergrunde
die Zwangsaushebung wittern, aus, die Mtional Lorvios likÄAue denke nicht
im entferntesten daran, einen Bürger zwangsweise ausheben und im Dienst
außerhalb des Landes verwenden zu wollen -- diese Verwendung müsse, wie
bisher, stets freiwillig bleiben -- sie strebe nur danach, alle tauglichen Leute
so weit militärisch auszubilden, daß sie im Falle eines feindlichen Angriffs bei
der Verteidigung des Landes brauchbares zu leisten imstande wären.

Nicht uninteressant ist es auch, wie sich der Lord mit der Schiedsgerichts-
frage abfindet. Wenn auch alle Mitglieder der Liga unbedingte Anhänger
der Entscheidung von Streitigkeiten durch Schiedsspruch seien, so müsse man
doch in Betracht ziehen, daß man nur bei genügender eigner Stärke darauf
rechnen könne, daß sich der Gegner auf eine schiedsrichterliche Entscheidung
einlasse; einem schwachen Großbritannien gegenüber werde jeder starke Gegner
den Kampf mit dem Schwert vorziehen. Diese Beweisführung ist so gut,
daß auch die deutschen Friedensschwärmer, die in der Abrüstung und in der
Errichtung von Schiedsgerichten das alleinige Heilmittel sehen, sie sich wohl
merken dürfen!

In England wird den Bestrebungen um Ausbau des Verteidigungswesens
häufig auch entgegengetreten mit der Behauptung, diese Dinge dürften erst in
zweiter Linie kommen; zuerst handle es sich darum, im Innern bessere Ver¬
hältnisse zu schaffen. Man weist hier auf die entsetzliche Armut vieler Millionen
britischer Untertanen, auf die tief daniederliegende Wohnungsfrage, auf die
ungeheure Zahl der Stellenlosen und ähnliches hin. Dem setzt Lord Roberts
den Satz gegenüber, zuerst müsse man sein Dach wasserdicht machen, ehe man
das Innere des Hauses wohnlich einrichten könne. Die militärische Ausbildung
jedes Untertanen für Zwecke des Heimatschutzes verbessere den Charakter, die
Moral und die Körperverhältnisse der Nation und helfe so ihrerseits auch an
der Lösung der sozialen Frage mit.

Wenden wir uns nun von den einführenden Worten des Feldmarschalls
Lord Roberts dem Buche selbst zu.

Wie ernst es seine Aufgabe anfaßt, und wie wenig es geneigt ist, zu be¬
schönigen, geht schon aus den ersten Worten hervor, in denen es als besonders
eigenartige Erscheinung für die Geschichte Großbritanniens im neunzehnten
Jahrhundert bezeichnet wird, daß ein so riesiges Staatengefüge auf einer so
schwankenden Grundlage Bestand zu haben vermochte. Im vergangnen Jahr¬
hundert hat das britische Reich im weitesten Maße an den zahlreichen Fort-


Englische Gedanken über kriegerische Macht

einer Germania ziemlich ähnlich sieht, und zu deren Häupten der Spruch
steht: Vor XinZ s.na Oounti^ (Für König und Vaterland).

Da das Buch von der Rational Lsrvivs I^aZnö herausgegeben worden
ist, so versteht es sich von selbst, daß diese ihr Hauptziel, eine allgemeine
militärische Volkserziehung, die allgemeine Wehrpflicht, wie sie sie auffaßt,
obenanstellt. Auch Lord Roberts betont in seinem Vorwort diesen Punkt,
führt aber nachdrücklich zur Beruhigung aller derer, die immer im Hintergrunde
die Zwangsaushebung wittern, aus, die Mtional Lorvios likÄAue denke nicht
im entferntesten daran, einen Bürger zwangsweise ausheben und im Dienst
außerhalb des Landes verwenden zu wollen — diese Verwendung müsse, wie
bisher, stets freiwillig bleiben — sie strebe nur danach, alle tauglichen Leute
so weit militärisch auszubilden, daß sie im Falle eines feindlichen Angriffs bei
der Verteidigung des Landes brauchbares zu leisten imstande wären.

Nicht uninteressant ist es auch, wie sich der Lord mit der Schiedsgerichts-
frage abfindet. Wenn auch alle Mitglieder der Liga unbedingte Anhänger
der Entscheidung von Streitigkeiten durch Schiedsspruch seien, so müsse man
doch in Betracht ziehen, daß man nur bei genügender eigner Stärke darauf
rechnen könne, daß sich der Gegner auf eine schiedsrichterliche Entscheidung
einlasse; einem schwachen Großbritannien gegenüber werde jeder starke Gegner
den Kampf mit dem Schwert vorziehen. Diese Beweisführung ist so gut,
daß auch die deutschen Friedensschwärmer, die in der Abrüstung und in der
Errichtung von Schiedsgerichten das alleinige Heilmittel sehen, sie sich wohl
merken dürfen!

In England wird den Bestrebungen um Ausbau des Verteidigungswesens
häufig auch entgegengetreten mit der Behauptung, diese Dinge dürften erst in
zweiter Linie kommen; zuerst handle es sich darum, im Innern bessere Ver¬
hältnisse zu schaffen. Man weist hier auf die entsetzliche Armut vieler Millionen
britischer Untertanen, auf die tief daniederliegende Wohnungsfrage, auf die
ungeheure Zahl der Stellenlosen und ähnliches hin. Dem setzt Lord Roberts
den Satz gegenüber, zuerst müsse man sein Dach wasserdicht machen, ehe man
das Innere des Hauses wohnlich einrichten könne. Die militärische Ausbildung
jedes Untertanen für Zwecke des Heimatschutzes verbessere den Charakter, die
Moral und die Körperverhältnisse der Nation und helfe so ihrerseits auch an
der Lösung der sozialen Frage mit.

Wenden wir uns nun von den einführenden Worten des Feldmarschalls
Lord Roberts dem Buche selbst zu.

Wie ernst es seine Aufgabe anfaßt, und wie wenig es geneigt ist, zu be¬
schönigen, geht schon aus den ersten Worten hervor, in denen es als besonders
eigenartige Erscheinung für die Geschichte Großbritanniens im neunzehnten
Jahrhundert bezeichnet wird, daß ein so riesiges Staatengefüge auf einer so
schwankenden Grundlage Bestand zu haben vermochte. Im vergangnen Jahr¬
hundert hat das britische Reich im weitesten Maße an den zahlreichen Fort-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0666" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/304082"/>
          <fw type="header" place="top"> Englische Gedanken über kriegerische Macht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2873" prev="#ID_2872"> einer Germania ziemlich ähnlich sieht, und zu deren Häupten der Spruch<lb/>
steht: Vor XinZ s.na Oounti^ (Für König und Vaterland).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2874"> Da das Buch von der Rational Lsrvivs I^aZnö herausgegeben worden<lb/>
ist, so versteht es sich von selbst, daß diese ihr Hauptziel, eine allgemeine<lb/>
militärische Volkserziehung, die allgemeine Wehrpflicht, wie sie sie auffaßt,<lb/>
obenanstellt. Auch Lord Roberts betont in seinem Vorwort diesen Punkt,<lb/>
führt aber nachdrücklich zur Beruhigung aller derer, die immer im Hintergrunde<lb/>
die Zwangsaushebung wittern, aus, die Mtional Lorvios likÄAue denke nicht<lb/>
im entferntesten daran, einen Bürger zwangsweise ausheben und im Dienst<lb/>
außerhalb des Landes verwenden zu wollen &#x2014; diese Verwendung müsse, wie<lb/>
bisher, stets freiwillig bleiben &#x2014; sie strebe nur danach, alle tauglichen Leute<lb/>
so weit militärisch auszubilden, daß sie im Falle eines feindlichen Angriffs bei<lb/>
der Verteidigung des Landes brauchbares zu leisten imstande wären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2875"> Nicht uninteressant ist es auch, wie sich der Lord mit der Schiedsgerichts-<lb/>
frage abfindet. Wenn auch alle Mitglieder der Liga unbedingte Anhänger<lb/>
der Entscheidung von Streitigkeiten durch Schiedsspruch seien, so müsse man<lb/>
doch in Betracht ziehen, daß man nur bei genügender eigner Stärke darauf<lb/>
rechnen könne, daß sich der Gegner auf eine schiedsrichterliche Entscheidung<lb/>
einlasse; einem schwachen Großbritannien gegenüber werde jeder starke Gegner<lb/>
den Kampf mit dem Schwert vorziehen. Diese Beweisführung ist so gut,<lb/>
daß auch die deutschen Friedensschwärmer, die in der Abrüstung und in der<lb/>
Errichtung von Schiedsgerichten das alleinige Heilmittel sehen, sie sich wohl<lb/>
merken dürfen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2876"> In England wird den Bestrebungen um Ausbau des Verteidigungswesens<lb/>
häufig auch entgegengetreten mit der Behauptung, diese Dinge dürften erst in<lb/>
zweiter Linie kommen; zuerst handle es sich darum, im Innern bessere Ver¬<lb/>
hältnisse zu schaffen. Man weist hier auf die entsetzliche Armut vieler Millionen<lb/>
britischer Untertanen, auf die tief daniederliegende Wohnungsfrage, auf die<lb/>
ungeheure Zahl der Stellenlosen und ähnliches hin. Dem setzt Lord Roberts<lb/>
den Satz gegenüber, zuerst müsse man sein Dach wasserdicht machen, ehe man<lb/>
das Innere des Hauses wohnlich einrichten könne. Die militärische Ausbildung<lb/>
jedes Untertanen für Zwecke des Heimatschutzes verbessere den Charakter, die<lb/>
Moral und die Körperverhältnisse der Nation und helfe so ihrerseits auch an<lb/>
der Lösung der sozialen Frage mit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2877"> Wenden wir uns nun von den einführenden Worten des Feldmarschalls<lb/>
Lord Roberts dem Buche selbst zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2878" next="#ID_2879"> Wie ernst es seine Aufgabe anfaßt, und wie wenig es geneigt ist, zu be¬<lb/>
schönigen, geht schon aus den ersten Worten hervor, in denen es als besonders<lb/>
eigenartige Erscheinung für die Geschichte Großbritanniens im neunzehnten<lb/>
Jahrhundert bezeichnet wird, daß ein so riesiges Staatengefüge auf einer so<lb/>
schwankenden Grundlage Bestand zu haben vermochte. Im vergangnen Jahr¬<lb/>
hundert hat das britische Reich im weitesten Maße an den zahlreichen Fort-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0666] Englische Gedanken über kriegerische Macht einer Germania ziemlich ähnlich sieht, und zu deren Häupten der Spruch steht: Vor XinZ s.na Oounti^ (Für König und Vaterland). Da das Buch von der Rational Lsrvivs I^aZnö herausgegeben worden ist, so versteht es sich von selbst, daß diese ihr Hauptziel, eine allgemeine militärische Volkserziehung, die allgemeine Wehrpflicht, wie sie sie auffaßt, obenanstellt. Auch Lord Roberts betont in seinem Vorwort diesen Punkt, führt aber nachdrücklich zur Beruhigung aller derer, die immer im Hintergrunde die Zwangsaushebung wittern, aus, die Mtional Lorvios likÄAue denke nicht im entferntesten daran, einen Bürger zwangsweise ausheben und im Dienst außerhalb des Landes verwenden zu wollen — diese Verwendung müsse, wie bisher, stets freiwillig bleiben — sie strebe nur danach, alle tauglichen Leute so weit militärisch auszubilden, daß sie im Falle eines feindlichen Angriffs bei der Verteidigung des Landes brauchbares zu leisten imstande wären. Nicht uninteressant ist es auch, wie sich der Lord mit der Schiedsgerichts- frage abfindet. Wenn auch alle Mitglieder der Liga unbedingte Anhänger der Entscheidung von Streitigkeiten durch Schiedsspruch seien, so müsse man doch in Betracht ziehen, daß man nur bei genügender eigner Stärke darauf rechnen könne, daß sich der Gegner auf eine schiedsrichterliche Entscheidung einlasse; einem schwachen Großbritannien gegenüber werde jeder starke Gegner den Kampf mit dem Schwert vorziehen. Diese Beweisführung ist so gut, daß auch die deutschen Friedensschwärmer, die in der Abrüstung und in der Errichtung von Schiedsgerichten das alleinige Heilmittel sehen, sie sich wohl merken dürfen! In England wird den Bestrebungen um Ausbau des Verteidigungswesens häufig auch entgegengetreten mit der Behauptung, diese Dinge dürften erst in zweiter Linie kommen; zuerst handle es sich darum, im Innern bessere Ver¬ hältnisse zu schaffen. Man weist hier auf die entsetzliche Armut vieler Millionen britischer Untertanen, auf die tief daniederliegende Wohnungsfrage, auf die ungeheure Zahl der Stellenlosen und ähnliches hin. Dem setzt Lord Roberts den Satz gegenüber, zuerst müsse man sein Dach wasserdicht machen, ehe man das Innere des Hauses wohnlich einrichten könne. Die militärische Ausbildung jedes Untertanen für Zwecke des Heimatschutzes verbessere den Charakter, die Moral und die Körperverhältnisse der Nation und helfe so ihrerseits auch an der Lösung der sozialen Frage mit. Wenden wir uns nun von den einführenden Worten des Feldmarschalls Lord Roberts dem Buche selbst zu. Wie ernst es seine Aufgabe anfaßt, und wie wenig es geneigt ist, zu be¬ schönigen, geht schon aus den ersten Worten hervor, in denen es als besonders eigenartige Erscheinung für die Geschichte Großbritanniens im neunzehnten Jahrhundert bezeichnet wird, daß ein so riesiges Staatengefüge auf einer so schwankenden Grundlage Bestand zu haben vermochte. Im vergangnen Jahr¬ hundert hat das britische Reich im weitesten Maße an den zahlreichen Fort-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/666
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/666>, abgerufen am 17.06.2024.